Kinder würdigen und ernst nehmenErwachsene sollten Kindern auf Augenhöhe begegnen

Der Pädagoge Udo Baer wirbt dafür, Mädchen und Jungen auf Augenhöhe zu begegnen. Nötig sind dafür Offenheit, Verständnis – und ehrliche Rückmeldungen.

Kinder würdigen und ernst nehmen
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klasseKinder!: Sie erklären in Ihrem Buch „Die Weisheit der Kinder“, wie der Nachwuchs fühlt und denkt. Warum ist so ein Buch nötig? 
Udo Baer: Weil wir oft von außen schauen, wie Kinder sein sollten, statt genauer hinzusehen und zu erkennen, wie Kinder sind. Das ging und geht mir zumindest so. Allerdings steht mir ein großer Fundus zur Verfügung: Ich kann aus meinen jahrzehntelangen Erfahrungen als Vater, Großvater, Therapeut und Pädagoge schöpfen.

Warum haben wir Probleme damit, uns in ein Kind hineinzuversetzen?
Nehmen wir ein Beispiel: Ein Kind blockiert, will nicht das tun, was wir von ihm erwarten. Wir fühlen uns abgewiesen, sind also erst einmal mit uns und unseren Empfindungen beschäftigt. Diese Reaktion können wir als Hinweis verstehen: Wenn wir uns so fühlen, was fühlt dann das Kind? Wo ist es verletzt worden, was führt zu seinem Verhalten? Erwachsene sollten nicht im Eigenen verharren, sondern sowohl sich selbst und ihr Empfinden ernst nehmen als auch einen Schritt auf das Kind zugehen können.

Was bringt es mir als Betreuer, wenn ich mir diese Mühe mache?
Zum einen natürlich das Lächeln und Staunen der Kinder. Zum anderen sehen wir, was dieser bewusste Umgang mit den Mädchen und Jungen macht. Kinder wollen gehört, geachtet und gesehen werden. Dann können sie wachsen und ihr Potenzial entfalten. Sie sind neugierig, lebenslustig, wollen entdecken und lernen. Doch dafür müssen wir sie würdigen. Das ist eine gesunde Basis für ihre Entwicklung. Das heißt nicht, dem Kind nach dem Mund zu reden und alles dem Kinderwillen unterzuordnen

Wie würdige ich ein Kind im Alltag?
Eltern oder Betreuer merken ja, wenn ein Kind sich anders verhält, sich vielleicht zurückzieht oder aggressiver als sonst reagiert. Gehen Sie dann zu dem Kind. Sagen Sie: „Du hast Kummer und bist schlecht drauf. Wenn du willst, kannst du mir davon erzählen.“ Mehr nicht. Es geht darum zu sagen, dass man den Kummer wahrnimmt. Ein einziger Mensch, der dann signalisiert „Ich weiß, dass es dir nicht gut geht“ und das Kind würdigt – mit einer Geste, einem Blick –, kann einen großen Unterschied machen.

Was, wenn das Kind sich dennoch nicht öffnen und über sein Problem reden kann?
Es kann passieren, dass Kinder in ihrem Kummer erstarren. Hier kann die Triangel- Methode helfen. Man steht mit dem Kind Seite an Seite und widmet sich gemeinsam einer Aufgabe: backen, basteln, Lego spielen, Fahrrad reparieren. Der Fokus liegt dann nicht mehr auf dem Kind, sondern auf etwas Drittem. Und plötzlich fängt das Kind nebenher an zu erzählen.

Kinder tun sich schwer mit der Kommunikation?
Sie kommunizieren oft einfach anders, mit Handlungen. Mit Malen zum Beispiel – oder mit Rollenspielen. Ich habe mit einem Jungen mal lange kein Wort gewechselt, aber wir haben jede Therapiestunde Ritter gespielt. So habe ich nach und nach erfahren, wie sehr es ihn quälte, dass sein Vater die Familie verlassen hatte. Andere Kinder bauen sich ihre Welt aus Knete. Wir müssen einfach offen sein, hinschauen, hinhören und Geduld haben.

Sie haben den Begriff der Tridentität geprägt, was meinen Sie damit?
 
Jedes Kind braucht „Nahrung“, „Spiegel“ und ein „Gegenüber“. Das ist die Tridentität. Mit Nahrung ist körperliche und geistige gemeint. Viele Kinder zum Beispiel haben keine Worte für ihre Gefühle außer „cool“ und „krass“. Da brauchen sie Input, einen Diskurs über Gefühle. Auch Berührung ist eine Form von Nahrung. Viele Kinder werden in Familien groß, in denen man sich nicht gegenseitig in den Arm nimmt. Die Herausforderung von Betreuern ist es, herauszufinden, welchen Hunger ein Kind hat, was es braucht. Und dann zu schauen, wie der gestillt werden kann. Hat ein Kind beispielsweise viel Zwangsberührung erlebt, will es nicht in den Arm genommen werden. Dann berühren wir es mit den Augen und Tönen statt mit den Händen.

Was sind „Spiegel“ und „Gegenüber“?
Kinder imitieren Erwachsene. Wenn wir ihnen keine Gefühle zeigen, können sie auch nicht lernen, wie das geht. Sie brauchen ehrliche, nicht nur positive Rückmeldungen und Spiegelungen ihres Verhaltens. Sonst wissen sie nicht, woran sie sich orientieren können.
Ein „Gegenüber“ kennen viele nur im Sinne von Gewalt oder negativem Gegenteil. Kinder wollen kämpfen, streiten, gewinnen, sie lieben Wettkämpfe und wollen sich reiben. Das ist in Ordnung, denn Reibung schafft Wärme. Aber diese Reibung muss immer würdigend und respektvoll sein. Es ist absolut okay zu sagen: Ich habe diese Meinung und finde deine voll bescheuert, aber du darfst deine haben.

Das Gespräch führte Claudia Füßler.  

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