Förderung ohne Bürokratie und BeschämungDer Lübecker Bildungsfonds

Der Lübecker Bildungsfonds ist zum Vorbild für viele Kommunen geworden, wie Kinder aus finanziell benachteiligten Familien unterstützt werden können.

Gut 13 Jahre sind vergangen, seit der Armut- sund Sozialbericht die Hansestadt Lübeck aufgeschreckt hatte. Er dokumentierte 2006 für Kinder und Jugendliche eine Armutsquote von über 30 Prozent. Nach intensiven Diskussionen entschied sich die Stadt für einen ungewöhnlichen Ansatz: die enge Zusammenarbeit von Stiftungen und Kommune zur Förderung der Kinder und Jugendlichen. Im Klartext: Mehrere Stiftungen, die Stadt und auch private Spender füllen seit 2009 einen Etat mit Geld, das sie zuvor über Einzelmaßnahmen ohnehin in Bildung investierten. So entstand der Lübecker Bildungsfonds. Seit 2011 wird er zudem mit Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) ergänzt – eine bundesweit einzigartige Kooperation. Die Sorge, die als aufwendig empfundenen Bewilligungsverfahren könnten auch den Lübecker Bildungsfonds hemmen und ihn seiner unbürokratischen Funktionsweise berauben, löste sich schnell in Luft auf.

So müssen Eltern, deren Kinder eine Förderung erhalten sollen, nicht zum Amt. Die häufig damit verbundene Beschämung bleibt aus. Mittlerweile ist nicht mal ein gesonderter Antrag für die Gewährung von BuT-Leistungen erforderlich. Gesetzlich Berechtigte erhalten automatisch vom Jobcenter oder dem Bereich Soziale Sicherung der Hansestadt Lübeck eine Bewilligung. Lediglich im Rahmen der freiwilligen Förderung des Bildungsfonds, die bei kurzfristig auftretender Geldnot eines Elternhauses helfen soll, ist ein Antrag in Schule oder Kita auszufüllen.

Eigenes Budget für jede Schule

Das der Stadt Lübeck zustehende Geld aus dem BuT fließt in den Bildungsfonds, der mittlerweile auf über vier Millionen Euro jährlich angewachsen ist. Jede Kita und jede Schule erhält ein eigenes Budget und entscheidet eigenverantwortlich, welches Kind gefördert wird und wie dies geschehen soll. Am Ende des Jahres rechnet die Stadt, bei der die finanziellen und organisatorischen Fäden zusammenlaufen, mit dem Jobcenter ab. Refinanziert werden so jährlich rund 2,1 Millionen Euro. Rund 9.000 Kinder und Jugendliche profitieren jedes Jahr davon, sei es beim Mittagessen, dem Besuch der Offenen Ganztagsschule, dem Kauf von Arbeitsmaterial oder der Teilnahme an Ausflügen, Klassenfahrten oder Kultur. Die am Lübecker Bildungsfonds maßgeblich beteiligten Stiftungen nennen einen wesentlichen Erfolgsfaktor: „Die Hansestadt stellt die unbürokratische Abwicklung des Bildungsfonds sicher. Über Förderung wird aber nicht in Amtsstuben entschieden, sondern vor Ort vom pädagogischen Fachpersonal in den Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen.“ Das alles gelingt allerdings nur durch einen klaren Paradigmenwechsel und die Bereitschaft, gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Das weiß auch Friedrich Thorn, Bereichsleiter Schule und Sport in Lübeck. Er antwortet auf die Frage, wie es gelingen konnte, Stiftungen und Kommune zu vereinen und die Stadt dazu zu bewegen, Verantwortung und Kontrolle schrittweise an Schulen und Kitas abzugeben: „Als eingefleischter kommunaler Beamter sage ich Ihnen: Das fällt einem nicht so leicht. Doch die Erfahrung zeigt: Es lohnt sich, diese innere und gewohnte Haltung aufzugeben.“

Zu jenen, die diese Aussage dick unterstreichen würden, zählen der inzwischen 18-jährige Tigran und seine Mutter Marina. Als Tigran gerade einmal fünf Jahre alt war, entdeckte ein Grundschullehrer sein Talent für den Schachsport. Er trainierte ihn kostenlos. Aber er erkannte auch: „Der Junge braucht professionelle Förderung – dann wird etwas aus ihm.“ Doch daran war aus finanziellen Gründen nicht zu denken. Erst der Bildungsfonds öffnete neue Perspektiven. Tigran wurde gefördert, erhielt Trainingsstunden, seine Mutter Zuschüsse für Fahrten und weitere mit dem Leistungssport entstehende Kosten.

Schachkarriere dank Fonds

Die Erfolge auf Landesebene stellten sich schnell ein, ebenso die Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften. Als Höhepunkt folgte sogar der Start bei den Weltmeisterschaften in Brasilien. Marina und Tigran wissen: „Ohne den Bildungsfonds wäre es nie so weit gekommen.“ Dankbar strahlt die Mutter noch heute: „Die Menschen haben Tigran vertraut, ihm zugehört, seine Träume wahrgenommen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden wäre, wenn in der Pubertät seine Schachwelt zusammengebrochen wäre.“ Jetzt träumt Tigran von einer Karriere nach dem Medizinstudium.

Mittlerweile haben einige Städte das Lübecker Erfolgsmodell übernommen. Rheda-Wiedenbrück, Bonn, Gütersloh und Würzburg gehören dazu. Sie alle eint das Ziel: mehr Chancengleichheit für alle Kinder.

Der Lübecker Bildungsfonds …

  • wird getragen von der Hansestadt Lübeck, dem Land Schleswig-Holstein sowie einem Verbund aus sechs Stiftungen
  • verteilt auch Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabeprojekt
  • verfügt mittlerweile über einen Jahresetat von vier Millionen Euro
  • unterstützt Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, ein ermäßigtes Betreuungsentgelt bezahlen, Wohngeld erhalten und ihren Kindern wichtige Bildungsangebote nicht aus eigener Tasche ermöglichen können
  • ermöglicht die automatische Bewilligung von Leistungen über das Jobcenter oder das zuständige Amt der Stadt Lübeck

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