Gemeinsam durch den KiezGeflüchtete Kinder

Auf Rallyes durch die Umgebung sollen geflüchtete Kinder leichter mit einheimischen Altersgenossen in Kontakt kommen – ein Berliner Verein bietet Schulen die Organisation der Projekte an.

Gemeinsam durch den Kiez
© Sven Kästner, Berlin

Ausgrenzung oder sogar mal eine Rauferei: Integration klappt auch in der Grundschule nicht immer reibungslos. „Auf unserem Schulhof gab es durchaus Konflikte zwischen einheimischen Schülern und geflüchteten Kindern“, berichtet Gesa Thießen. Sie unterrichtet zwölf Kinder aus unterschiedlichen Herkunftsländern in einer Willkommensklasse an der Marienfelder Grundschule in Berlin. Dort sollen die neu angekommenen Schülerinnen und Schüler zunächst ungestört Deutsch lernen. Erst mit ausreichend Sprachkenntnissen werden sie für den Fächerunterricht in die Regelklassen eingegliedert.

„Trotzdem wollen wir die neu angekommenen Kinder von Anfang an mit ihren einheimischen Altersgenossen in Kontakt bringen“, sagt Thießen. Das klingt leicht, ist aber in der Praxis kein Selbstläufer – wie auch die Geflüchteten beklagen. Melanie Polaschek, Berliner Dozentin für das Fach „Deutsch als Zweitsprache“, begegneten diese Probleme schon vor einigen Jahren. Damals berichteten ihr Asyslbewerber davon, die sie unterrichtete. Aus Gesprächen mit weiteren Geflüchteten einerseits sowie mit Schulleitern, Lehrern und Erziehern auf der anderen Seite entstand die Idee zur „Kiez-Rallye“.
Ende 2013 erkundeten erstmals Kinder aus Regelklassen und einer Willkommensklasse die Umgebung ihrer Berliner Schule. „Die Mädchen und Jungen haben sofort begonnen, gemeinsam aktiv zu werden“, erinnnert sich Polaschek. Viele Interessen seien trotz der unterschiedlichen Herkunft ganz ähnlich. „Alle Kinder mögen Eis und Spiele, alle brauchen Schutz und Geborgenheit“, beschreibt Polaschek dies. Ihr sei wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler diese Gemeinsamkeiten schnell entdecken: „Wir wollen Vorurteilen begegnen, bevor sie richtig entstehen.“

KIEZ-RALLYES ETABLIEREN SICH

Mittlerweile hat sich das Projekt etabliert. 2015 organisierte der Trägerverein „YouMeWe“ 14 Entdeckungstouren an fünf Berliner Schulen. „Die Kiez-Rallye eignet sich für Gruppen von bis zu 14 Kindern – jeweils zur Hälfte einheimische und geflüchtete“, erläutert Johanna Seeger, die Touren für den Verein zusammenstellt und begleitet. Die Schülerinnen und Schüler bekommen eine Tasche mit auf den Weg; darin Kamera, Rätselkarten, Stifte und Papier. Auf ihrer Rallye müssen sie an sieben Stationen gemeinsam Aufgaben lösen.
„Dafür suchen wir in Zusammenarbeit mit den Pädagogen der jeweiligen Schule Orte aus, an denen man auch in seiner Freizeit Kinder treffen kann“, sagt Seeger. Auf diese Weise lernen die Neuankömmlinge, wo in der Umgebung ihrer neuen, möglicherweise nur zeitweiligen Heimat ein Spielplatz, ein Eisladen oder etwa ein Park liegt. Die Idee dabei: Die Kinder aus Flüchtlings- oder Asylbewerberfamilien sollen in der Lage sein, auch außerhalb der Schule Orte zu finden, an denen sie Gleichaltrigen begegnen können.
Etwa neunzig Minuten läuft eine Rallye. Für die finale Aufgabe bekommen die Kinder von den Organisatoren zehn Euro: Dafür sollen sie gemeinsam etwas kaufen. Das kann etwas Obst im kleinen Laden an der Ecke sein oder etwa ein Eis. Wichtig ist, dass sich alle einigen, wofür das Geld ausgegeben wird. „Das ist ein kleines Stück Demokratieförderung“, erklärt Seeger, „und wir zeigen ihnen: Wir vertrauen darauf, dass ihr Verantwortung für das Geld übernehmen könnt.“

SONDERANGEBOT FÜR GANZTAGSSCHULEN

Die Organisation der Rallyes übernimmt „YouMeWe“. Seeger zufolge bieten sich vor allem Schulen mit Ganztagsprogramm an. Ansprechpartner in den Schulen seien deshalb oft die Hortbetreuerinnen und -betreuer. Der Verein achtet darauf, die Kosten für die Schule im überschaubaren Rahmen zu halten. „YouMeWe“ versucht für den Großteil der 520 Euro, die für eine Tour zu Buche schlagen, Spenden und Fördermittel zu organisieren. „Meist schaffen wir es, dass die Schulen zum Beispiel über ihren Förderverein nur 15 Prozent zu tragen haben“, sagt Polaschek.
Bisher werden die Touren nur in Berlin und Brandenburg angeboten, mehr schafft der ehrenamtliche Verein nicht. Um die Idee trotzdem in andere Teile Deutschlands tragen zu können, plant Melanie Polaschek Workshops für Pädagogen. Danach könnten diese auch in Eigenregie Rallyes zusammenstellen.
Mittlerweile hat „YouMeWe“ zwei weitere Projekte entwickelt, mit denen unterschiedliche Kinder in Kontakt gebracht werden sollen: Zum einen ein Theaterprojekt mit kunstpädagogischem Ansatz, bei dem die Schülerinnen und Schüler zunächst gemeinsam großformatige Bilder malen und aus diesen dann ein Bewegungsspiel entwickeln. Am Ende steht eine Tanz- Aufführung für Lehrer, Eltern, Schüler und Förderer. Für zehn Wochen ist auch eine jeweils anderthalbstündige Veranstaltungsreihe konzipiert, in der die Kinder verschiedene Sachen gemeinsam in Angriff nehmen: Freundschaftsbänder flechten, gemeinsam Milchreis je nach Herkunft nach ganz unterschiedlichen Rezepten kochen oder auch einfach nur Fangen spielen. „Da gibt es in den verschiedenen Ländern ganz unterschiedliche Regeln. Und es ist ganz interessant, wie die Kinder das untereinander ausfechten“, sagt Johanna Seeger.
In der Schule von Gesa Thießen hat die Kiez-Rallye dazu beigetragen, dass die Kinder aus den Willkommensklassen besser als zuvor in den Schulalltag integriert sind. „Seit wir diese Projekte haben, ist grundsätzlich die gegenseitige Akzeptanz eine andere“, berichtet die Willkommensklassen-Lehrerin. „Und wir haben es geschafft, dass mehr der neu angekommenen Kinder als zuvor in die Nachmittagsbetreuung kommen.“

http://www.youmewe.de/

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