"Und wenn die Wahrheit mich vernichtet"Zur Relevanz des Gottesglaubens

"Gott in die Mitte": Ein Symposion für Kardinal Kurt Koch plädierte für Theozentrik – und kam an der Frage nach der anthropologischen Relevanz nicht vorbei.

Pater George Augustin, Kardinal Kurt Koch und Bischof Heiner Wilmer beim Symposion in Vallendar
Pater George Augustin, Kardinal Kurt Koch und Bischof Heiner Wilmer beim Symposion in Vallendar© Heiko Merkelbach

Als Diskussionsveranstaltung war dieses Symposion nicht angelegt. "Gott in die Mitte" lautete der Titel der Tagung und einer Festschrift für Kardinal Kurt Koch anlässlich seines 75. Geburtstags. Organisator George Augustin, Pallottinerpater und Theologieprofessor, steht für die theozentrische Option: Alles – Welt, Mensch, Geschichte, die Kirche – muss von Gott her und auf Gott hin verstanden werden.

An der Veranstaltung, die über Allerheiligen an der Vinzenz Pallotti University, der Hochschule des Pallottiner-Ordens in Vallendar stattfand, nahmen neben Koch die katholischen Bischöfe Heiner Wilmer (Hildesheim), Bertram Meier (Augsburg) sowie Klaus Krämer (Rottenburg-Stuttgart) teil.

Koch: Die Kirche muss mehr über Gott sprechen

Die Message war eindeutig und der Geehrte sprach sie selbst aus: "Kirche kann nie ein Selbstzweck in sich sein, sondern sie ist dazu da, dass Gott in der Welt gesehen werden kann", sagte der Kardinal, der im Vatikan seit 2010 für die Ökumene mit den anderen christlichen Kirchen zuständig ist. Die "Frage nach Gott", so Koch, müsse "den Vorrang vor der Kirchenfrage haben". Ja, die Kirche lebe "nur dann evangelisch", wenn sie "möglichst wenig von sich und dafür möglichst intensiv von Gott spricht".

Für Koch hat die Theologie letztlich nur ein Thema: Sie sei "Wissenschaft von Gott".

Das gilt für Koch auch für sein Fachgebiet, die Ökumene. Er zitierte Papst Benedikt XVI., der 2011 bei seinem Besuch in Erfurt gesagt hatte: "Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit muss es sein, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht."

Folglich hat für Koch auch die Theologie letztlich nur ein Thema: Sie sei "Wissenschaft von Gott". Alles andere, also die "allgemeine, erfahrbare und auch außertheologisch reflektierte Wirklichkeit" sei von ihr "in ihrer Bezogenheit auf Gott, sub specie aeternitatis dei, zu thematisieren".

Kritische Theologie oder "Glaubenswissenschaft"?

Wenn man so will, war damit das Gegenprogramm zu einer Theologie angedeutet, die sich intensiv mit Kirchenkritik beschäftigt und Theologie nicht oder nicht mehr vorwiegend als "Glaubenswissenschaft" verstanden wissen möchte.

Für ein solches Verständnis steht beispielhaft die Theologin Julia Knop, die sich kürzlich in der "Herder Korrespondenz" geäußert hat. Laut Knop hat die Theologie die Aufgabe, "die verstörenden Dimensionen des religiösen Lebens zu identifizieren", "Wahrheitsansprüche" zu kritisieren und die "Systemfrage" zu stellen. Nach Knop (die einmal über die Ecclesia Orans – die betende Kirche gearbeitet hat) soll die Theologie ausdrücklich darauf verzichten, der "Vertiefung und Plausibilisierung des eigenen Glaubens" zu dienen. Die "alte, einigermaßen künstliche Unterscheidung von Theologie versus Religions- oder Kulturwissenschaft" hält die Theologin für fraglich.

"Linkes" Denken – von Marx, über die Kritische Theorie bis zu Foucault – interessiert sich für die Machtfrage: Was will jemand mit dem erreichen, was er sagt? Konservatives Denken stellt eher die Wahrheitsfrage: Was ist uns vorgegeben, wie kann es erkannt und angewandt werden?

Kochs Forderung nach einer "theologischeren Theologie" muss aus dieser Perspektive freilich als Immunisierungsstrategie gegen den "Reformdruck" erscheinen.

Aber so ist das eben: "Linkes" Denken – von Marx, über die Kritische Theorie bis zu Foucault – interessiert sich für die Machtfrage: Was will jemand mit dem erreichen, was er sagt? Konservatives Denken stellt eher die Wahrheitsfrage: Was ist uns vorgegeben, wie kann es erkannt und angewandt werden?

Gott egal

Struktur- und Reformthemen standen beim Symposion in Vallendar also nicht im Vordergrund. Eine andere Frage schien sich allen Teilnehmern jedoch geradezu aufzudrängen: nämlich, was es – ja, gerade auch sub specie aeternitatis dei – eigentlich zu bedeuten hat, dass immer weniger Menschen an Gott glauben, mehr noch: dass sie die Frage nach Gott als eine Frage ansehen, die für ihr Leben bedeutungslos ist. Und dabei zeichneten sich – bei aller Einigkeit – durchaus unterschiedliche Sichtweisen ab.

Sowohl Kardinal Koch als auch Bischof Bertram Meier und Bischof Heiner Wilmer kamen in ihren Vorträgen auf die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zu sprechen, die einen Rückgang nicht nur der Kirchenmitgliedschaft, sondern auch des Gottesglaubens dokumentiert.

Maßlose Sehnsucht

Die klassische Fundamentaltheologie, so Bischof Wilmer in seinem Vortrag, gehe mit der Lehre vom homo religiosus davon aus, dass "jeder Mensch eine Anlage zur Religion habe, dass jeder Mensch potenziell religiös sein, er müsse sozusagen nur daran erinnert werden." Diese Lehre müsse aber, so forderte Wilmer unter Bezug auf den Theologen Eberhard Tiefensee, "revidiert" werden: Jeder Mensch mache zwar die "Erfahrung von Kontingenz" und habe die Fähigkeit, damit deutend umzugehen, doch müsse diese Deutung nicht zwingen eine religiöse sein.

Was tun, um die Herzen wieder für die "maßlose Wirklichkeit" Gottes empfänglich zu machen?

Bei Koch klang das anders. Zwar gebe es bei vielen Zeitgenossen eine "Schwerhörigkeit oder gar Taubheit" Gott gegenüber. Dennoch sei jeder Mensch "wesensmäßig auf Gott hin offen, ob er es weiß oder nicht", zeigte sich der Kardinal überzeugt. Wer nicht an Gott glaube, der sei versucht, den "Himmel auf Erden" zu suchen. Allerdings gebe es für dieses Bemühen "heute nur wenige Betätigungsfelder": "diejenigen des Amüsements, der Arbeit und der Liebe". Daraus drohe "die große Gefahr, dass die Menschen sich zu Tode amüsieren, zu Tode arbeiten und sogar noch zu Tode lieben". Demgegenüber biete "allein die einzig maßlose Wirklichkeit die einzig maßlose Antwort auf die maßlose Sehnsucht des menschlichen Herzens".

Was aber tun, um die Herzen wieder für die "maßlose Wirklichkeit" Gottes empfänglich zu machen?

Ist die Säkularisierung Schicksal?

Die Säkularisierung kann einem wie eine schicksalhafte Naturgewalt vorkommen, auf die man sich eben einstellen muss. Der Gedanke, dass der Rückgang an kirchlichen und religiösen Bindungen nicht vorwiegend mit dem Handeln der Kirche zu tun hat, sondern gesellschaftlichen Trends geschuldet ist, entlastet kirchliche Mitarbeiter und Engagierte, wie der Religionssoziologe Detlef Pollack in einem Beitrag für COMMUNIO deutlich gemacht hat – aber er kann auch zu Resignation und Fatalismus führen.

Die anwesenden Bischöfe trieb das Problem erkennbar um. Dass katholische Bischöfe sich um die Weitergabe des Glaubens sorgen, ist doch selbstverständlich, mag man sagen. Kardinal Koch äußerte jedoch im Gespräch mit George Augustin die Beobachtung, in der katholischen Kirche mangele es vielfach am Willen, zu wachsen. Diesbezüglich könnten die Katholiken von der intensiven Missionstätigkeit der Pfingstkirchen lernen.

Reformorientierte Theologen würden wohl als Erstes dafür plädieren, die aus ihrer Sicht "verstörenden Dimensionen des religiösen Lebens" abzubauen. Der Einwand dagegen ist bekannt: Die weniger "verstörende" evangelische Kirche verliert auch Mitglieder. Auch der Pastoraltheologe Jan Loffeld und der tschechische Religionsphilosoph Tomáš Halík haben zuletzt davor gewarnt, sich von Reformen erneuten Zulauf zur Kirche zu erwarten.

"Niedrigschwellige Angebote"

Eine andere Strategie besteht im Bemühen um neue "Anschlussfähigkeit": Man transponiert den Religionsbegriff ins Immanente – im Sinne einer Hoffnung auf ein besseres Leben und eine gerechtere Welt etwa. Dagegen wandte sich in Vallendar der Augsburger Bischof Bertram Meier. Er verwies auf Äußerungen des Philosophen Jürgen Habermas, auf die kürzlich Christian Geyer in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aufmerksam gemacht hat. Demzufolge gehe die Konsistenz des Religionsbegriffs verloren, wenn die christliche Hoffnung auf rein menschliche Plausibilitäten reduziert werde. Ein Glaube ohne Transzendenzbezug verliere seinen Kern und seine Zukunftsperspektive.

Eine "noch niederschwelligere, noch dogmenfernere Pastoral" sei darum der falsche Weg. Meier erwähnte "diverse Vorschläge für Sakramente light": "den Segen für Neugeborene anstelle der Taufe", die "Wortgottesfeier – so wichtig sie ist – anstelle der Eucharistiefeier", den "Krankensegen anstelle der sakramentalen Krankensalbung" und so weiter. Ja, derartige "niedrigschwellige Angebote" könnten einen "Wiedereinstieg in den weiteren Glaubensweg ermöglichen". Dem stehe jedoch eine weit verbreitete Tendenz entgehen, es beim niedrigschwelligen Einstieg zu belassen: "Nicht selten bleiben wir bei den Menschen dort stehen, wo wir sie abholen, und verschweigen ihnen verschämt, dass es da noch viel Größeres gibt."

Wahrheit oder Relevanz?

Die Option von Kardinal Koch war klar: "Gott in die Mitte" – das sei das "Gebot der gegenwärtigen Kirchenstunde".

Bischof Heiner Wilmer zeigte sich überzeugt, nicht die "theoretische" Frage: "Existiert Gott – ja oder nein?", sei heute entscheidend, sondern die Frage, was der Glaube praktisch verändert.

Wie aber, so fragte Bischof Wilmer, "kann, darf und soll in der Situation, in der wir uns befinden und der wir nicht entfliehen können, von Gott gesprochen und gedacht werden?" Der Hildesheimer Bischof zeigte sich überzeugt, nicht die "theoretische" Frage: "Existiert Gott – ja oder nein?", sei heute entscheidend, sondern die Frage, was der Glaube praktisch verändert: "Wenn es Gott gibt und ich an ihn glaube – was bedeutet das und was bewirkt das? Was stellt das um in meinem Leben, in meinem Verhältnis zur Welt und zu den Menschen?"

Ist also die Gottesfrage im säkularen Zeitalter nicht getrennt von der Frage nach ihrer anthropologischen Relevanz zu beantworten?

Die Frage nach der Relevanz sei irrelevant, meinte aus dem Publikum der streitlustige Theologe, Psychiater und Publizist Manfred Lütz. Er mache Kabarettprogramme mit Beweisen für die Existenz Gottes, auch vor Schülern. Das stoße auf großes Interesse. "Wenn man die Gottesfrage auch philosophisch ernsthaft diskutiert, kann man Menschen zum Glauben bringen", so Lütz.

Sollte man die Relevanzfrage also ausklammern, vielleicht auch, weil das Streben nach Relevanz zwangsläufig in ein Christentum "zu reduzierten Preisen" führt – anbiedernd, flach und banal?

Gott und die Menschenwürde

Dass das nicht unbedingt so sein muss, machte Hubert Lenz in seinem Vortrag deutlich, Pallottinerpater und Professor für "systematische Philosophie und evangelisierende Pastoral" in Vallendar.

Für die Weitergabe des Glaubens, so Lenz, sei beides wichtig: die Wahrheit und die Lebensrelevanz des Christlichen. In einer von "Skeptizismus und Relativismus" geprägten Welt sei es schwer, Vertrauen zu haben. Die Menschen würden zurückgehalten, ihr Leben "ganz in Gottes Hand zu geben". Denn Vertrauen, sich auf Gott verlassen, das sei nur möglich, "wenn der, auf den ich mich verlasse, mich wirklich trägt, wenn das wahr ist und kein Produkt meiner Fantasie und meiner Wünsche." Nun könne man dem Relativismus zwar mit philosophischen Argumenten begegnen, ihn auf seinen Selbstwiderspruch hinweisen, nämlich dass er eine absolute Aussage ("Alles ist relativ") macht, während er zugleich behauptet, dass es keine absoluten Aussagen gibt. Doch die Erfahrung zeige, dass man mit abstrakten Diskussionen oft nicht weiterkommt. Der katholische Philosoph Robert Spaemann habe etwas anderes vorgeschlagen: Wenn jemand vom Sinn des eigenen Lebens partout nicht überzeugt ist, helfe es nicht weiter, zu argumentieren. Man solle sich stattdessen so verhalten, dass deutlich wird, dass man an den Sinn des Lebens dieses Menschen glaubt. Vielleicht glaube er dann irgendwann auch selbst daran.

Die Zeitgenossen, so Lenz mit Charles Taylor, seien "abgepuffert", vermeintlich unverletzbar. Es gebe aber "Ansprechbrücken": als eine dieser Brücken sieht Lenz den Begriff der Menschenwürde. Das klingt abstrakt, ist es aber nicht. Auf Initiative von Lenz und einigen Mitstreitern ist ein Theaterstück über den 2019 seliggesprochenen Pallottinerpater Richard Henkes entstanden – ein Einpersonenstück, das im Anschluss an den Vortrag auch aufgeführt wurde.

Das Stück dreht sich – ohne aufdringlich zu sein und es auf Überwältigung der Zuschauer anzulegen – um die Frage, warum der junge Geistliche im Nationalsozialismus immer wieder gegen die Missachtung der Würde seine Stimme erhoben hat und warum er sich schließlich im KZ Dachau freiwillig in eine Baracke voller Typhuskranker hat einschließen lassen, um die Kranken zu pflegen, wo er schließlich nach zwei Monaten selbst erkrankte und starb.

Warum hat Henkes das gemacht?

Von Richard Henkes ist der schwindelerregende Ausspruch überliefert: "Wahr bin ich und will ich sein und wenn die Wahrheit mich vernichtet …". So verstanden, ist die Frage nach der Lebensrelevanz der christlichen Wahrheit tatsächlich keine Banalität. Ganz im Gegenteil.

Das Gespräch über diese Frage, meint Lenz, kann eine Gelegenheit sein, Menschen wieder mit der Botschaft des Glaubens zu erreichen. Das Stück mit dem Titel "Abgerungen" wurde schon vor Polizeischülern, vor Angehörigen helfender Berufe oder im Mainzer Landtag gezeigt.

Von Richard Henkes ist der schwindelerregende Ausspruch überliefert: "Wahr bin ich und will ich sein und wenn die Wahrheit mich vernichtet …". So verstanden, ist die Frage nach der Lebensrelevanz der christlichen Wahrheit tatsächlich keine Banalität. Ganz im Gegenteil. Mit Bischof Wilmer gefragt: "Was stellt das um in meinem Leben?" Antwort: alles.

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