Psalm 34 – Wer sich an Gott hält, dem kann nichts schadenDer Psalter als Buch des Messias

Jeder kennt die Erfahrung, dass in aussichtsloser Lage Gott eine vollkommen unerwartete, überraschende Lösung bereit hatte. Erst durch diese im eigenen Leben und Erleben gemachte Gotteserfahrung wird Kinderglaube zum reifen Glauben eines Erwachsenen.

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"Fehlt es mir denn an Meschuggenen (Verrückten)?" fragte der Philister-König Achisch von Gat in 1 Sam 21,16 seine Leute, als David sich vor Saul nach Gat geflüchtet hatte und sich dort, als er merkte, dass ihm die Philister den Sieg über ihren Helden Goliat immer noch übelnahm, verrückt stellte. Auf diese Szene bezieht die Überschrift den Psalm:

1 Von David, als er seinen Verstand verstellte vor Abimelech, so dass der ihn vertrieb und er wegging.

Philisterkönige heißen immer wieder einmal "Abimelech", wie Gen 20; 21; 26 (hier von Gerar) zeigen. Wenn keine Verwechslung vorliegt, kann "Achisch" persönlicher Name gewesen sein und "Abimelech" ("mein Vater ist König") Thronname. Der Psalmist beginnt sein Loblied damit, dass er in Aufforderungen an sich selbst und andere sieben Wünsche formuliert: preisen – Lob – lobrühmen – hören – freuen – groß machen – erheben. Sieben ist die Zahl der Vollkommenheit.

2 (Aleph) Ich will preisen den Herrn zu aller Zeit, immer sei sein Lob in meinem Mund!
3 (Bet) Im Herrn soll sich lobrühmen meine Seele, hören sollen es Elende und sich freuen!
4 (Gimel) Macht groß den Herrn mit mir, dass wir gemeinsam seinen Namen erheben!

Alphabetisierung im Glauben

Der Beter fordert sich selber auf, Gott zu loben, dann andere ("Macht groß mit mir!"), um sich schließlich mit ihnen im gemeinsamen Rühmen zusammenzuschließen: "dass wir gemeinsam erheben!" Ps 34 ist wie Ps 25 schon ein alphabetisches Akrostichon, d.h. jede Zeile beginnt der Reihe nach mit einem Buchstaben des hebräischen Alphabets. Die erste Zeile beginnt mit "Aleph", die mittlere mit "Lamed", die letzte mit "Pe" – das ergibt das hebräische und aramäische Wort "alaph", das "lernen" bedeutet, in der Form "aleph" aber "lehren".

Der Dichter will seine Zuhörer im Glauben alphabetisieren. Konkret erzählt er in der ersten Hälfte (V. 2-11) von seiner praktischen Gotteserfahrung: Gott hat ihn all seinen Problemen immer wieder entrissen. In der zweiten Hälfte (V. 12-22) zieht er daraus eine weisheitliche Lehre an seine Schüler, wie sie diese Erfahrung ebenfalls machen können. Nach dem Lobaufruf folgt der Erfahrungsbericht:

5 (Dalet) Ich suchte den Herrn, und er antwortete mir und hat mich all meinen Befürchtungen entrissen.
6 (He) Die aufblickten zu ihm, erstrahlten, (Waw) und ihr Angesicht brauchte nicht schamrot zu werden.
7 (Zajin) Da war ein Elender, er rief, dann hat der Herr ihn erhört und aus all seinen Bedrängnissen ihn errettet.
8 (Chet) Der Engel des Herrn lagert rund um die, die diesen fürchten, und er reißt sie heraus.

Der Beter sagt nicht, was sein Problem war ("Befürchtungen"), denn es kommt nur darauf an, dass er die Erfahrung gemacht hat, dass, wer den Herrn sucht, Antwort erhält. Das ging ihm selbst so (V. 5), aber auch anderen, die die gleiche Erfahrung gemacht haben (V. 6). Das helle Aufstrahlen steht dem Dunkelrot-Werden entgegen. In V. 7 erzählt er konkret von einem Elenden (wahrscheinlich er selbst), der sich an Gott wandte und daraufhin Hilfe aus Bedrängnissen erfahren hat. Der "Engel des Herrn", der im Psalter nur hier in 34,8 und im nächsten Psalm 35,5-6 vorkommt, ist die Erfahrung der Gegenwart Gottes selbst – "rundherum", wie ein mächtiges Heerlager, das schützt. Wer Gott "fürchtet", d.h. respektiert und ihm mehr als allen anderen Hilfen vertraut, der wird seine mächtige Hand erfahren, die "herausreißt". Das war die Erfahrung des Psalmisten und vieler in seiner Umgebung. Daraus leitet er eine Aufforderung an seine Zuhörer ab:

9 (Tet) Kostet und seht, dass der Herr gut ist! Selig der Mann, der zu ihm sich flüchtet!
10 (Jod) Fürchtet den Herrn, ihr seine Heiligen! Denn es gibt keinen Mangel für die, die ihn fürchten.
11 (Kaph) Junglöwen haben schon gedarbt und gehungert, aber die den Herrn suchen, werden nicht Mangel leiden an allem Gut.

Kostet! Seht! Fürchtet!

Nur wer es probiert, wer "kostet", der wird es selbst erleben, "dass der Herr gut ist". Kostet! Seht! Fürchtet! Drei Aufforderungen richtet er an seine Zuhörer. Kostet und Sehen sind sinnliche Erfahrungen. Ihr, die ihr zu dem allein heiligen Gott gehört, "seine Heiligen", lernt, ihn mehr als alles andere zu respektieren, weil er mächtiger ist als jeder andere und Lösungen weiß, wo alles andere versagt.

Die Gotteserkenntnis, dass "der Herr gut ist", muss auf eigener Erfahrung beruhen, das erst ist der Glaube des Erwachsenen, der nicht mehr nur mit seinen Eltern "mitglaubt" wie ein Kind. Damalige Menschen sahen, wie es Junglöwen ergehen konnte. Junglöwen sind stark wie ein Mann, aber sie lernen erst zu jagen. Die Mutter hat aufgehört, sie zu säugen. So kommt es vor, dass sie hungern müssen, weil eigene Kraft allein nichts garantiert. Wer aber den Herrn um Hilfe ansucht, geht nicht leer aus, wie so ein abgestilltes Jungtier. Auf diese Aufforderung, nun wie ein Erwachsener selbst die Erfahrung der Nähe Gottes zu machen, folgt die zweite Psalmhälfte, die Lehrhälfte (V. 11-22):

12 (Lamed) Auf, Kinder, hört mir zu! Die Furcht des Herrn will ich euch lehren!
13 (Mem) Wer ist der Mensch, der am Leben Gefallen hat, gern (viele) Tage hätte, um Gutes zu sehen?
14 (Nun) Hüte deine Zunge vor Üblem und deine Lippen davor, Hinterhältiges zu reden!
15 (Samech) Vermeide Böses und tu Gutes! Trachte nach Frieden und jage ihm nach!

Der Psalmist, der in V. 2-11 von seiner eigenen Erfahrung erzählt hat, wird jetzt zum Lehrer für Schüler, die auch zu einem erwachsenen Glauben kommen wollen: "Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit" (Ps 111,10; vgl. Spr 1,7; 9,10; Sir 1,14). "First things first!" Nur wer den Wichtigsten am wichtigsten nimmt, dem ordnet sich alles andere in der richtigen Ordnung, denn "Sache des Weisen ist es zu ordnen, sapientis est ordinare" (Thomas von Aquin, Ethica I lectio 1). Wer den Wichtigsten am wichtigsten nimmt, der wird nicht Unwichtiges oder weniger Wichtiges überschätzen, Geld, Beziehungen zu Mächtigen – alles, was irgendwann enttäuscht oder im Stich lässt.

Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit

Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit. Wer Gott in seinem Leben an die erste Stelle setzt, dem ordnet sich alles andere in seinem Leben, wie es gehört. Was muss der tun, der ein gutes Leben sucht (V. 16)? Der Lehrer antwortet zunächst praktisch: Handle richtig im Reden (V. 14) und im Tun (V. 15a). Die Grundeinstellung muss stimmen (V. 15a: Frieden). Er macht den Anfang mit dem Reden, denn den eigenen Mund unter Kontrolle zu haben, ist ein Zeichen von weit fortgeschrittener Weisheit (Spr 21,23; Sir 19,6; 28,18; Jak 3). Wer seine Zunge nicht im Zaum hält, redet sich um Kopf und Kragen. Das sind sehr allgemeine und praktische Ratschläge, die der Lehrer seinen Schülern gibt. Die Grundlage dafür entfaltet er in den V. 16-22, seine Gotteslehre. Weil Gott ist, wie er ist, bewährt sich ein moralisches Leben: Wer Gutes tut, dem tut das gut. Wer sein Leben aber auf Falschheit baut, wird scheitern, denn Gott beschützt das nicht.

16 (Ajin) Die Augen des Herrn (richten sich) auf Gerechte und seine Ohren auf ihren Schrei.
17 (Pe) Das Angesicht des Herrn (richtet sich) gegen die, die Übles tun, um die Erinnerung an sie auszutilgen von der Erde.
18 (Sade) Zeterten (jene), dann hat der Herr erhört und aus all ihren Bedrängnissen sie entrissen.
19 (Qoph) Nahe ist der Herr den Herzensgebrochenen, und die Geistzerschlagenen wird er retten.
20 (Resch) Zahlreich sind die Übel (die erleidet) ein Gerechter, aber ihnen allen wird ihn entreißen der Herr,
21 (Sin) indem er bewahrt all seine Knochen; nicht einer von ihnen ist zerbrochen.
22 (Taw) Den Todesstoß versetzen wird das Übel einem Frevler, und die einen Gerechten hassen, müssen es büßen.
23 (Pe) Der Herr erlöst die Seele (Kehle) seiner Knechte, nicht büßen müssen alle, die zu ihm sich flüchten.

Gottes Augen und Ohren, seine gesamte Aufmerksamkeit begleitet den, der recht handelt. In Not schafft er ihnen unerwartete Auswege. Wer aber Unrecht tut, wird von diesem eingeholt. Das Übel selbst versetzt ihm den Todesstoß. "Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein" (Spr 26,27; Koh 10,8; Sir 27,26). Das war die Erfahrung des Psalmisten, die er weitergibt: Gott befreit den Hals seiner Getreuen aus dem Würgegriff ihrer Angreifer (V. 23). Das stimmt im Ganzen. Im konkreten Leben aber, wird der folgende Psalm 35 darlegen, braucht man Geduld, weil die Erfahrung bisweilen auf sich warten lässt.

Der Autor des 1. Petrusbriefs war ein großer Fan von Ps 34. Er zitiert ihn permanent: 1 Petr 1,17; 2,3-4; 3,10-12. In der Kirche war Ps 34 wegen V. 6 vor allem der Gesang zum Kommuniongang: Kostet und seht, wie gut der Herr ist!

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