In Deutschland ist das Bestattungsrecht Sache der Länder. Als es kürzlich in Rheinland-Pfalz geändert und den Wünschen der Bürger angepasst wurde, wurde das sogar in der "Tagesschau" gemeldet. In der Tat gab es einige Neuerungen, die man als Modernisierung bezeichnen könnte.
Im Fall der Erdbestattung wurde die Sargpflicht aufgehoben. Die Verstorbenen dürfen nun auch in Tüchern, wie es unter Muslimen üblich ist, beigesetzt werden. Im Fall der Feuerbestattung darf man mit der Asche weitgehend nach Belieben verfahren. Man darf sie unter den Angehörigen verteilen oder auch zu Hause aufbewahren, und man kann sie den größeren Flüssen des Landes anvertrauen. Allerdings ist es nicht erlaubt, die Asche einfach in die Mosel oder in die Saar zu streuen. Es bedarf dazu einer speziellen Aschekapsel, die sich im Wasser auflöst.
Seitdem das Zweite Vatikanische Konzil die Feuerbestattung erlaubt hat, sind auch die Katholiken kaum noch an die alten Rituale gebunden. Der Glaube an die Auferstehung hat sich von der alten Vorstellung befreit, die Leiber der Toten würden sich am Jüngsten Tag aus den Gräbern winden und ihren Leib, in welcher Form auch immer, zurückbekommen. In manchen Friedhöfen findet man noch die Beinhäuser, wo die Knochen der Toten gestapelt wurden, Bein zu Bein, Schädel zu Schädel. Man vertraute darauf, dass die Teile im Ernstfall zueinander fänden.
Totenruhe?
Das neue Bestattungsrecht wirft einige Fragen auf. Wie etwa steht es mit der Totenruhe, die zu stören nach Paragraf 168 des Strafgesetzbuches verboten ist? Und wäre man im Fall einer Flussbestattung vor dem Problem des Wiedergängers geschützt, der nach altem Volksglauben immer dann gespenstisch auftaucht – zuweilen als Werwolf –, wenn erlittenes Unrecht nicht gesühnt wurde? Und wenn jemand die Asche seiner Mutter als Schmuckstein am Hals tragen will – entspräche das dem, was man Pietät nennt? Ich muss sagen, dass ich die neuen, gewissermaßen hoch entspannten Bestattungsregeln problematisch finde.
Eine mehr oder weniger aufwändige Sepulkralkultur hat es zu allen Zeiten gegeben. Neueren archäologischen Recherchen zufolge könnte das viereinhalbtausend Jahre alte Stonehenge, dieser Ringwall gigantischer Stelen im südlichen England, Friedhof und Heiligtum einer steinzeitlichen Kultur gewesen sein. Rituale des Totengedenkens sind wesentlicher Teil einer jeglichen Kultur, auch der unsrigen. Man sollte sie nicht dem zufälligen Belieben des Zeitgeistes anheimstellen.
Wer über die Friedhöfe unserer Breiten wandert, findet die Grabstätten namhafter Familien, die im Leben der örtlichen Gemeinde eine Rolle gespielt haben und oft noch spielen. Nicht selten handelt es sich dabei um veritable Mausoleen. Auch an diesem Beispiel sieht man, wie sehr sich das Bürgertum darum bemüht hat, dem Vorbild der Aristokratie, wo mächtige Grabstätten üblich waren, nachzueifern. Zwar gibt es noch bürgerliche Familiengräber, aber infolge unserer nomadischen Lebensweise sind sie seltener geworden. Oft lebt am ursprünglichen Stammplatz keiner mehr, der sich um die Grabpflege kümmern könnte.
Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, gegründet 1877, ist mit einer Fläche von 389 Hektar – das sind fast vier Quadratkilometer – der größte Parkfriedhof der Welt. Durch die Landschaft aus Mausoleen und Kapellen, aus Seen und kleinen Wäldern führen von Rhododendren gesäumte Alleen. In den Geschäftsberichten kann man nachlesen, dass der stetig sinkende Flächenbedarf den Friedhof vor Probleme stellt. Eine wachsende Neigung, die See-, Fluss- oder Waldbestattung dem traditionellen Grab vorzuziehen, macht es schwieriger, die riesige Fläche rentabel zu bewirtschaften.
Die Schriftstellerin Anne Weber erzählt in ihrem Roman "Ahnen – Ein Zeitreisetagebuch" (2015), wie sie sich auf die Spuren ihres Urgroßvaters setzt, nach Polen reist und dort Allerseelen erlebt. Bei einbrechender Dunkelheit werden Tausende von Kerzen und Lämpchen angezündet:
"Unter den Menschen, die durch diese Lichterfelder gehen und miteinander reden, gibt es niemanden, der nicht mit gedämpfter, bloß für den Allernächsten zu hörender Stimme spräche, auch die Kinder nicht, von denen manche sirrende Leuchtfäden durch das Dunkel tragen, sodass es dem durch den Friedhof Wandernden so scheinen kann, als könnte er alles auch anders sehen, nämlich in den leise Umherirrenden die Toten oder zu kurzem Mitternachtsleben erwachte Gespenster, und in den flackernden, hellen Lichtern die Lebenden."
Ich weiß nicht, in welchem Jahr Anne Weber ihre Beobachtung gemacht hat und ob solche Allerseelen-Rituale heute noch praktiziert werden. Überall, auch in Polen, setzt die moderne Welt ihren Siegeszug fort. Sich dagegen zu stemmen, wäre vergeblich. Doch bedauern darf man die Entwicklung durchaus.