Wird künstliche Intelligenz uns abschaffen oder zumindest überholen? Gerade unter Vertretern eines naturwissenschaftlich orientierten Weltbildes ist diese Ansicht weit verbreitet. Diese Zeilen entstehen im Zug auf dem Rückweg von einer Veranstaltung, bei der Physiker und Informatiker über genau diese Themen diskutierten. Wiederkehrende Frage bei solchen Gesprächen: wann wird es so weit sein, dass künstliche Intelligenz Bewusstsein entwickelt? Eine komplexe Frage, auf die es philosophisch jedoch eine klare Antwort gibt: niemals. Denn menschliches Bewusstsein ist etwas fundamental anderes als das, was Algorithmen – verblüffend gut – imitieren.
Was also ist Bewusstsein? Das einzige Bewusstsein, über das wir wirklich etwas Belastbares sagen können, ist das je eigene. Tatsächlich könnte rein theoretisch alles Äußere eine Täuschung sein. Von der Tatsache, dass ich selbst etwas wahrnehme, kann ich jedoch nicht abstrahieren. Diese Einsicht von René Descartes gilt weiterhin. Das real existierende Bewusstsein ist also das einer subjektiven Ich-Perspektive. Würde man meine Sinneseindrücke, mein Wissen über die Welt oder meine Gefühle von der Tatsache abstrahieren, dass ich es bin, der all diese Bewusstseinszustände hat: Es bliebe etwas völlig anderes übrig. Diese meine Ich-Perspektive erfindet sich nicht selbst als Nullpunkt, sondern findet sich bereits vor.
Doch an genau dieser Stelle ist Descartes zu widersprechen. Lange bevor ich denke, bin ich schon. Tatsächlich ist das Erste, wessen das Bewusstsein gewahr wird, etwas, das mit dem denkenden Ich überhaupt nichts zu tun hat. Geräusche nimmt das Baby bereits im Mutterleib wahr. Körperliche Empfindungen, Berührungen, die Stimmen und die Gesichter anderer kommen dazu. Bewusstsein ist von Anfang an untrennbar vom Körper und untrennbar von der Außenwelt.
Unsere Wahrnehmung, unser Denken und Sprechen ist untrennbar mit der Tatsache verbunden, dass wir als raumzeitliche Wesen verleiblichter Geist sind.
Genau hier besteht der gravierende Unterschied zur KI: Wir haben einen Körper. Besser ausgedrückt wäre das mit einem leider etwas altmodischen Wort: Wir sind ein Leib. Unsere Wahrnehmung, unser Denken und Sprechen ist untrennbar mit der Tatsache verbunden, dass wir als raumzeitliche Wesen verleiblichter Geist sind.
Ganz anders die KI: Sie hat keinen Ort und hat keine definierte Zeit. Wir dagegen können nur an einem Ort gleichzeitig sein und sind durch unser körperliches Dasein der Zeit unterworfen. Wir kennen Müdigkeit, Langeweile, Vorfreude, Angst und schließlich den Tod. Wir kennen das Schwitzen, die Berührung, das Oben und das Unten, die Schmetterlinge im Bauch. Und "kennen" meint hier nicht "richtige Sätze formulieren können über", sondern die persönliche, emotionale Bekanntschaft mit einer Situation.
Zoon logon echon nannte Aristoteles den Menschen, also "Lebewesen, das Sprache (Vernunft) besitzt". Als soziale Wesen ist unser Bewusstsein untrennbar von der Sprache, in der dieses Bewusstsein zu sich selbst und in den Begriff kommt. Freilich verwendet KI Sprache auch. Doch unser Bezug zur Sprache ist ein ganz anderer: Wir lernen Wörter von anderen Menschen. Dadurch ist unsere Sprache emotional und sozial gefärbt. Muttersprache, sagen wir. Manche Wörter können uns eine Glücksverheißung sein, andere Wörter wurden uns vergällt. Auch unsere Sprache lebt vom Körper. Was es bedeutet, dass "es mit mir bergauf" geht, verstehen wir, weil wir körperlich wissen, was es bedeutet, oben und was es bedeutet, unten zu sein. Die ganze Sprache ist voll von solchen physischen Metaphern ("Inhalt", "oberflächlich", "leer", zentral", "naheliegend" etc.), die die sprachliche Welt direkt mit unserer Leiblichkeit und ihrer emotionalen Färbung verbindet.
Simulation bleibt Simulation
Treten wir anderen Menschen gegenüber, haben wir zudem moralische Intuitionen. Ich spüre, dass ich dem neben mir leidenden Menschen helfen sollte. Wir Menschen sind außerdem spirituelle Wesen. Die meisten Menschen der meisten Epochen der Menschheit hatten starke Intuitionen, dass sie den Göttern Ehre schulden, dass der Tod nicht das Ende ist und dass es mehr gibt, als was die Augen sehen können. Das, all das ist menschliches Bewusstsein.
Wird KI so perfekte Simulationen erzeugen können, dass sie im Ergebnis von Produkten menschlichen Bewusstseins nicht mehr unterscheidbar sind? Gewiss. Doch nur weil ein holografisches Video eines Wasserfalls täuschend echt aussehen könnte, bedeutet noch lange nicht, dass man nass wird, wenn man darunter steht. Nur echtes Wasser stillt den Durst.