Offenbares GeheimnisZum aktuellen Heft von COMMUNIO

Gott ist anders und mehr als die Erfüllung philosophischer Desiderate oder menschlicher Bedürfnisse. Er ist lebendiges Geheimnis, das nahekommt und sich zeigt.

Dom zu Siena
Dom zu Siena© Pixabay

Wir sind mit ziemlichen Verschiebungen des religiösen Feldes konfrontiert. Die einen sagen, eine Säkularisierung habe es nie gegeben, statt an Gott würden die Leute eben an Idole glauben und sich ihnen mit Hirn und Herz verschreiben. Das Geld, das Vergnügen, der Körper, der Erfolg, das Ansehen stehen hier als Kandidaten der Idolatrie zur Verfügung. Andere sagen, es gebe einen anhaltenden Gestaltwandel von Religion und eine «Verbuntung» der religiösen Landschaft. Zwar würden die Kirchen wie andere gesellschaftliche Institutionen erodieren und kleiner werden, frei flottierende Formen von Religion und selbst gebastelte Spiritualitäten aber hätten nach wie vor Konjunktur. Wieder andere weisen das als theologisches Wunschdenken zurück und konstatieren auf der Basis religionssoziologischer Studien eine wachsende religiöse Indifferenz. Immer mehr Menschen leben ohne Gott. Und sie leben gut, ohne etwas zu vermissen. Ihnen fehlt nichts, wenn Gott fehlt. So scheint es zumindest. Diesen Menschen theologisch zu attestieren, sie würden sich durch ihre Gottvergessenheit zu «findigen Tieren» zurückkreuzen, wie noch Karl Rahner das getan hat, sei wirklichkeitsfremd und arrogant. Man müsse neue Formen finden, unaufdringlich und werbend über Gott zu sprechen.

Ohne den Streit um die Deutung der religiösen Situation der Gegenwart hier entscheiden zu wollen, lässt sich sagen: Das Wort Gott ist für viele semantisch unscharf geworden. Dabei ist es ein Unterschied, ob man darunter eine unbekannte Macht, das Schicksal, die Sterne, das kosmische Walten versteht oder das lebendige Geheimnis Gottes, von dem die Glaubensgemeinschaft der Kirche bekennt, dass er gut und mächtig ist, sich in der Geschichte geoffenbart hat und als Du ansprechbar ist und angebetet werden kann.

Wie aber zeigt sich dieses lebendige Geheimnis? Ist Gott aus den Werken der Schöpfung erkennbar? In früheren Epochen war es selbstverständlich, aus der wohlgestalteten Ordnung der Welt und der Schönheit der Schöpfung auf den ordnenden Schöpfer und seine Weisheit rückzuschließen. Heute ist die Annahme, dass sich aus den Bewegungen der Welt auf Gott als letzte Ursache und unbewegten Beweger folgern lasse, prekär geworden. Darwins Evolutionstheorie hat die Annahme einer kosmischen Ordnung erschüttert und Kant hat die klassischen Gottesbeweise einer scharfen Kritik unterzogen. Ihn deshalb mit Moses Mendelssohn als «Alleszermalmer» zu bezeichnen, ist gleichwohl einseitig, ja verfehlt. Denn Kant hat die Rede von Gott keineswegs aus dem Kosmos des Denkens verbannt, sondern auf das Feld der praktischen Philosophie verwiesen. Es braucht eine Instanz, die Gerechtigkeit garantiert und dem moralischen Subjekt, das sich durch sittliches Handeln Glückswürdigkeit erworben hat, die finale Glückseligkeit verschafft. Wird aber Gott so nicht funktionalisiert, als Geheimnis entleert und zu einer Marionette der Moralphilosophie?

Gott ist anders und mehr als die Erfüllung philosophischer Desiderate oder menschlicher Bedürfnisse. Er ist lebendiges Geheimnis, das nahekommt und sich zeigt. Dieses Geheimnis ist nicht abwesend, sondern verborgen gegenwärtig, das behauptet zumindest der Glaube in der Spur der biblischen Offenbarungszeugnisse. Aber Gott, so ließe sich entgegenhalten, ist doch nicht sichtbar, geschweige denn empirisch verifizierbar, er kommt in den Koordinaten von Raum und Zeit nicht vor. Ist er nicht doch eine menschliche Fiktion, eine Wunsch-Projektion? Nun, sein Nicht-Vorkommen in Raum und Zeit muss nicht zwangsläufig als Hinweis auf seine Nicht-Existenz gedeutet werden. Könnte es nicht sein, dass er die Wirklichkeit ist, die alle in den Koordinaten von Raum und Zeit vorkommende Wirklichkeit allererst ermöglicht und setzt? Neben dem Geheimnis der Schöpfung und dem Staunen darüber, dass überhaupt etwas ist und nicht nichts, gibt es die offenbarungstheologische Spur, die sich von Generation zu Generation hält und allen Bestreitungen zum Trotz bis heute nicht ausgelöscht oder verwischt wurde: Der Unbegreifliche ist nahegekommen und hat sich begreiflich gemacht, er hat sich in der Geschichte Israels gezeigt, hat mit Abraham, Isaak und Jakob einen Bund geschlossen, hat Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten geführt und Propheten berufen, die einen Verheißungshorizont des Friedens und der Gerechtigkeit aufgespannt haben. In der Person Jesu Christi hat das ewige Geheimnis Gottes uns sein Antlitz gezeigt …

Das vorliegende Communio-Heft versucht einige Zugänge zu diesem Geheimnis Gottes zu bahnen. Der Frage, ob Gott beweisbar ist, ob seine Existenz mit den Mitteln der natürlichen Vernunft erwiesen werden kann, geht Aaron Langenfeld in seinem Eröffnungsbeitrag nach. Er skizziert zunächst die erkenntniskritischen Herausforderungen, die durch Luthers Vernunftskepsis, Kants Gottesbeweiskritik und Darwins Evolutionstheorie entstanden sind. Das kirchliche Lehramt reagiert darauf, indem es sowohl einen Fideismus, der den Glauben gegen die Vernunft immunisiert, als auch einen Rationalismus, der den Glauben in Vernunfterkenntnis überführt, zurückweist, und lehrt, dass Gott als Ursprung und Ziel aller Dinge mit der natürlichen Vernunft erkannt werden kann. Das setzt die Frage frei, wie sich die natürliche Gotteserkenntnis zur Gotteserkenntnis aus Offenbarung verhält – und was unter dem Begriff ‹natürlich› in Zeiten eines grassierenden Naturalismus näher verstanden werden kann. Der Kosmos, der im Griechischen die doppelte Semantik von Welt und Schmuck mit sich führt, ist im vormodernen Denken als Ort der Gotteserkenntnis wahrgenommen worden. Für eine Wiederentdeckung dieser Sakramentalität der Welt in Zeiten der theologischen Krise, dafür wirbt Mirja Kutzer und führt das Gespräch mit neueren Arbeiten zum Ökofeminismus und ‹New Materialism›. Dabei werden Konvergenzen zu einem sakramentalen Kosmosdenken, das die christliche Tradition bis ins 12. Jahrhundert geprägt und die Welt als «durchscheinend» auf Gott betrachtet hat, sichtbar. Um das Nahekommen des unauslotbaren Geheimnisses Gottes im Sinne der passio caritatis zu bestimmen, findet sich im Johannes-Evangelium der Satz: «Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt» (Joh 15, 13). Als weit ausholenden Kommentar zu diesem Satz lässt sich, wie überzeugend ­Konstantin Kamp deutlich macht, die trinitarische Kreuzestheologie Hans Urs von Balthasars lesen, die im Horizont einer Theodramatik entwickelt wird. Diese umkreist das abgründige Geheimnis der Liebe Gottes, die am Kreuz auf Golgatha ihre äußerste Gestalt gefunden hat. Klaus von Stosch zeichnet Spuren des Handelns Gottes in der Geschichte nach. Er möchte die Rede von der Vorsehung nicht nur im Sinne der menschlichen Selbstdeutung verstehen, sondern als reale Erfahrung der Geschichtsmacht Gottes. Dabei werden die dunklen Abgründe der Geschichte und das Ausbleiben einer rettenden Intervention Gottes theodizeesensibel als Herausforderung für eine Theologie der Vorsehung ernst genommen, die nicht auf dem Rücken der Opfer der Geschichte ausgetragen wird. ­Dorian Winter geht der Grundsignatur der Offenbarung Gottes in der Geschichte nach und stellt das Zugleich von Präsenz und Vorenthaltung als Merkmal des geschichtlichen Nahekommens Gottes in den biblischen Zeugnissen heraus. Ewigkeit und Zeit, Transzendenz und Immanenz, Gottes Selbstmanifestation und geschichtliche Kontingenz gehen hier eine untrennbare Verbindung ein. Das kann für das Gottdenken nicht folgenlos bleiben. Einen diskreten Einblick in die Geheimnisse des Vaters gestattet Jesus, der sich in jedem Augenblick seiner Existenz auf den Willen des Vaters bezogen hat. Statt ihm das Wissen um einen ewigen Masterplan zuzuschreiben, den er Schritt für Schritt umsetzt, ist es, wie Tibor Görföl eindrücklich zeigt, theologisch stimmiger, das Bewusstsein Jesu vom Gedanken der Sendung her zu verstehen. Das Geheimnis des Vaters wird geschichtlich transparent, weil Jesus sich durchgängig und rückhaltlos vom Willen des Vaters bestimmen lässt.

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