Benjamin Leven: Vor zehn Jahren erschien die Enzyklika "Laudato Si" von Papst Franziskus. Was ist für Sie die wichtigste Botschaft dieses Schreibens?
Ottmar Edenhofer: Die wichtigste Botschaft von "Laudato Si": Die Atmosphäre ist ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit. Als ich im Jahr 2014 die Einladung bekam, im Vatikan an der Enzyklika mitzuwirken, da hatte ich gerade miterlebt, wie ebendiese Aussage auf Druck der Regierungen aus einem Bericht des IPCC, des Intergovernmental Panel of Climate Change, gestrichen und in eine Fußnote verbannt worden war. Vor allem die USA fürchteten damals, dass sich aus der Anerkennung der Atmosphäre als Gemeinschaftseigentum völkerrechtliche Verpflichtungen für sie ergeben würden. Der Papst hat dann in seiner Enzyklika der Atmosphäre diesen Status eines Gemeinschaftseigentums zuerkannt. Er hat die Klimafrage eingebettet in die Struktur der universalen Widmung der Erdengüter – und damit die Eigentumslehre der katholischen Soziallehre einen großen Schritt weitergebracht.
Wenn die Atmosphäre ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit ist, dann stellt sich die Frage, wie dieses Gemeinschaftseigentum gerecht und fair bewirtschaftet werden soll.
Leven: Warum ist diese Sichtweise für den Klimaschutz so wichtig?
Edenhofer: Wenn die Atmosphäre ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit ist, dann stellt sich die Frage, wie dieses Gemeinschaftseigentum gerecht und fair bewirtschaftet werden soll. Außerdem wird sofort klar, dass das Klimaproblem ein Kooperationsproblem ist. Denn wenn jeder nach eigenem Gutdünken in der Atmosphäre CO₂ ablagern kann, dann ist die Atmosphäre irgendwann übernutzt – ein klassisches Problem von Allmendegütern. Kleine Gemeinschaften zeigen zwar, dass lokale Allmendegüter nachhaltig genutzt werden können. Es braucht dafür Regeln. Und die fehlen noch auf der globalen Ebene zwischen souveränen Nationalstaaten, die vor allem ihr Eigeninteresse verfolgen. Das geht nicht ohne internationale Abkommen, die aber nur freiwillig zustande kommen können. Daher sind diese Vereinbarungen nicht stabil. Denn jeder Staat hat einen Anreiz, sich nicht an die Vereinbarung zu halten und auszuscheren. Wenn alle Staaten dies antizipieren, werden die Vereinbarungen am Ende scheitern. Daraus folgt das Paradox der internationalen Klimaverhandlungen: Je notwendiger internationale Abkommen sind, desto größer sind auch die Gewinne des Trittbrettfahrens und desto unwahrscheinlicher ist es, dass am Ende stabile Vereinbarungen zustande kommen. Trotzdem muss man politisch darum ringen, weil nur so die Übernutzung der Atmosphäre vermieden und der gefährliche Klimawandel eingedämmt werden können.
Globaler Klimaschutz und die Anarchie in den internationalen Beziehungen
Leven: Im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist darauf verwiesen worden, wie wenig Bedeutung internationales Recht in der Praxis hat. Das internationale Recht, sagen einige, ist eigentlich eine Fiktion, weil es keine Instanz gibt, die für die Durchsetzung völkerrechtlicher Verträge sorgen könnte. Auf der Ebene der internationalen Beziehungen herrsche Anarchie. Was bedeutet das für den Klimaschutz?
Edenhofer: Ein Großteil meiner Forschung der letzten zehn Jahre beschäftigt sich mit diesem Thema. Es gibt keine Weltregierung, die die Einhaltung von Verträgen erzwingen kann. Man sagt darum, solche Verträge müssen self enforcing sein. Das heißt, sie müssen unter der Annahme durchsetzbar sein, dass alle Staaten weiterhin ihre Eigeninteressen verfolgen. Um zu sehen, wie das funktionieren kann, ist es hilfreich, sich anzuschauen, wo es in großem Maßstab gelungen ist, in der Klimapolitik Kooperation herzustellen. Die Antwort lautet: in der Europäischen Union. Sie hat mit ihren 27 Mitgliedsstaaten das Kooperationsproblem gelöst und war in der Lage, eine sehr effektive Klimapolitik durchzusetzen. Die Europäische Union ist die einzige Wirtschaftsregion, wo dauerhaft das Wirtschaftswachstum vom Emissionswachstum entkoppelt werden konnte – nicht schnell genug, aber immerhin: Die Emissionen sinken. Also: Die Europäische Union hat intern das Kooperationsproblem gelöst. Wie kann sie es auch nach außen lösen? Durch die Androhung von Klimazöllen, also indem denjenigen, die in die EU exportieren, Zölle angedroht werden, wenn sie selbst zu Hause keine CO₂-Bepreisung haben. Dadurch wird ein Anreiz geschaffen, wie in der EU einen Emissionshandel einzuführen. Brasilien hat das getan, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate diskutieren darüber. Ein weiterer Schritt wäre ein internationaler Finanzausgleich. China und die EU – beides Nettoimporteure von Öl und Gas – könnten zum Beispiel vereinbaren, ihre Öl- und Gasimporte moderat zu bepreisen und mit diesen Mitteln die Öl- und Gasnachfrage in anderen Ländern zu vermindern. Davon profitieren vor allem die übrigen Importeure von Öl und Gas, weil sie die Restmengen nun billiger beziehen können. Man kann sich auch vorstellen, dass die EU und China Einnahmen aus der Bepreisung nutzen, um den Kohleausstieg in Ländern wie Indonesien oder Vietnam zu finanzieren. Auch eine Bepreisung des Flug- und Schiffsverkehrs für diesen Zweck wäre sinnvoll. Wir haben in mehreren Studien gezeigt, dass sich mit derartigen Mitteln internationale Kooperationen zum Klimaschutz verbreiten lassen, ohne dass man dabei auf die USA angewiesen ist. Schon durch eine moderate Bepreisung von Kohle, Öl und Gas ließen sich so jährlich 200 Milliarden für den Klimaschutz mobilisieren. Man darf nicht vergessen, dass der globale Süden besonders stark von den Schäden des Klimawandels betroffen ist, etwa China, Indien und Brasilien. Die Verantwortlichen in diesen Ländern ignorieren die wachsende Bedrohung durch den Klimawandel keineswegs, aber es ist eben sehr schwer angesichts der geopolitischen Spannungen, den Klimaschutz voranzubringen. Vor diesem Hintergrund wird es darum gehen, jetzt geschickt Koalitionen zu bilden.
Natürlich kann der Papst für die Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnisse keine lehramtliche Autorität in Anspruch nehmen. Aber es ist geradezu vorbildlich, dass die Kirche den Stand der wissenschaftlichen Forschung als Ausgangspunkt für ihre weiteren Überlegungen nimmt.
Leven: Papst Franziskus hat sich 2023 in seinem Schreiben "Laudate Deum" noch einmal ausdrücklich mit der Klimakrise befasst. In diesem Papier ist er ziemlich ins naturwissenschaftliche Detail gegangen, nach eigenem Bekunden auch, weil er Leugnern des Problems in den eigenen Reihen, also innerhalb der katholischen Kirche, etwas entgegensetzen wollte. Ist das kirchliche Lehramt dafür da, naturwissenschaftliche Sachverhalte zu bekräftigen?
Edenhofer: Es gibt in der Soziallehre der katholischen Kirche den wichtigen Dreischritt Sehen – Urteilen – Handeln. Und der erste Schritt ist nun einmal die Analyse. Da bleibt dem Lehramt nichts anderes übrig, als sich auf den wissenschaftlichen Sachstand zu beziehen. Das hat der Papst getan: Er hat das IPCC zitiert. Das ist die Institution, die den wissenschaftlichen Sachstand zum Klimawandel und zur Klimapolitik synthetisiert. Und auch wenn es Kritik am IPCC gibt: Bisher haben sich alle Kernaussagen des IPCC bestätigt. Natürlich kann der Papst für diese Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnisse keine lehramtliche Autorität in Anspruch nehmen. Aber es ist geradezu vorbildlich, dass die Kirche den Stand der wissenschaftlichen Forschung als Ausgangspunkt für ihre weiteren Überlegungen nimmt.
Auch Moral braucht Anreize
Leven: Ergibt sich für Politiker aus dem Verständnis der Atmosphäre als Gemeinschaftseigentum eine moralische Verantwortung – nämlich, Entscheidungen zu treffen, die dem Erhalt dieses Gemeinschaftseigentums dienen und Entscheidungen zu unterlassen, die ihm schaden?
Edenhofer: Ja.
Leven: Und hat auch jeder Einzelne die Verantwortung, Dinge zu tun, die das Klima schützen und Dinge zu unterlassen, die ihm schaden?
Edenhofer: Diese Frage begleitet die katholische Soziallehre, seit sie mit "Rerum Novarum" 1891 das Licht der Welt erblickt hat. Damals ging es darum, wie die Arbeiterfrage gelöst werden sollte: durch Gesinnungsreform oder Zuständereform? Was müssen Institutionen leisten, was kann der Einzelne beitragen? Theologen würden betonen, dass es für eine gute Gesellschaft auch guter Menschen bedarf, die Tugenden wie Klugheit oder Mut ausgebildet haben. Ökonomen und Sozialwissenschaftlicher wie ich betonen, dass für die Lösung von Koordinations- und Kooperationsproblemen Institutionen bedarf, die die richtigen Anreize setzen. Denn auch in einer Gesellschaft guter Menschen kann Kooperation scheitern. Mit ihrer Kritik an den Wirtschaftswissenschaften ist die Enzyklika "Laudato Si" sicher etwas aus der Zeit gefallen. Auch in den Wirtschaftswissenschaften ist heute klar, dass man mit schlechten Charakteren keine gute Gesellschaft bauen kann. Aber umgekehrt ist es auch so, dass altruistische Motive allein nicht zu vermehrtem Klimaschutz führen werden: Auch Altruisten werden die Kooperation irgendwann einstellen, wenn sie merken, dass sie durch die Egoisten ausgebeutet werden. Beim Klimaschutz gibt es dramatische Kooperations- und Koordinationsprobleme, die man nur durch Institutionen meistern kann. Der Altmeister der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning, hat gesagt: Moral ist ein knappes Gut, man muss sorgfältig und schonend damit umgehen. Und damit es gut genutzt wird, braucht man Institutionen und Anreize.
Wenn Europa allein ambitionierten Klimaschutz betreibt, ohne dass die anderen mitmachen, dann kann das nicht funktionieren, weil Europa dann an Wettbewerbsfähigkeit verliert und sich selbst schadet, ohne dass das für den Klimaschutz entsprechende Wirkungen hat. Aber genau darum arbeitet die EU daran, die internationale Kooperation auszubauen.
Leven: Zuletzt war öfter zu hören, Deutschland und Europa würden sich selbst nur wirtschaftlich schaden, wenn sie beim Klimaschutz ambitionierter vorgehen als der Rest der Welt.
Edenhofer: Ja, wenn Europa allein ambitionierten Klimaschutz betreibt, ohne dass die anderen mitmachen, dann kann das nicht funktionieren, weil Europa dann an Wettbewerbsfähigkeit verliert und sich selbst schadet, ohne dass das für den Klimaschutz entsprechende Wirkungen hat. Aber genau darum arbeitet die EU daran, die internationale Kooperation auszubauen; die Androhung von Klimazöllen führt dazu, dass viele Länder ihren Emissionen einen Preis geben. Damit wird auch die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie geschützt. Der Klimaschutz braucht reziproke Strukturen. Auf der anderen Seite sollten wir auch nicht die Illusion haben, zu glauben, die europäische Wirtschaft wäre plötzlich wieder konkurrenzfähig, wenn wir alle Maßnahmen zum Klimaschutz streichen würden. Das Kernproblem der europäischen Wirtschaft ist die zu geringe Arbeitsproduktivität und der zu wenig integrierte Kapitalmarkt. Die Klimapolitik muss oft als Sündenbock herhalten. Was etwa die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autoindustrie betrifft: Da wäre es ganz offensichtlich besser gewesen, bei der Elektromobilität schneller voranzugehen und nicht langsamer.
Klimaschutz heißt Wohlstandssicherung
Leven: Oft wird den Klimaschützen eine Untergangsstimmung vorgeworfen, die ja leicht auch in Fatalismus kippen kann. Wie optimistisch sind Sie heute, zehn Jahre nach "Laudato Si", dass der Klimaschutz erfolgreich sein wird?
Edenhofer: Es ist klar: Dass die USA auf absehbare Zeit ausfallen, macht es nicht einfacher. Aber wir sehen, dass die Klimaschäden stärker werden. Wir sollten darum den Klimawandel nicht als eine Frage des Altruismus der europäischen Gesellschaften thematisieren, sondern viel stärker deutlich machen, dass es um eine Aufgabe zur Daseinsvorsorge und zur langfristigen Wohlstandssicherung geht. Je mehr das verstanden wird, desto mehr Grund zur Zuversicht gibt es.