Die Evangelische Kirche in Deutschland sucht nach Relevanz in einer säkularen Welt. Dieses Streben ist verständlich. Doch die Mittel, mit denen sie diese Relevanz sucht, offenbaren einen tief sitzenden Sprung im moralischen Kompass.
Luisa Neubauer war Kanzelpredigerin bei der zentralen Bonner Reformationsfeier vergangenen Freitag. Mehr als 1.200 Kirchgänger lauschten ihr in der vollbesetzten Kreuzkirche am Kaiserplatz. Das jüngste Beispiel dafür, wie die Kirche sich für eine einseitige politische Agenda einspannen lässt.
Die Klima-Ikone sprach in ihrer Predigt mehrfach vom "ökologischen Kollaps", bemühte und überdehnte damit das Endzeitszenario, dem sie ihre Relevanz verdankt. Doch wenn die Kanzel zur Bühne für sie wird, ist der Skandal noch nicht einmal das, was sie sagt – sondern das, was sie nicht sagt. Was für ein Signal sendet die Kirche mit der Einladung an diese Rednerin?
Selektive Empörung ist nicht christlich
Luisa Neubauer – eine prominente Figur, die ihre Reichweite primär für tagespolitische Anliegen im hiesigen Diskurs nutzt – steht für eine Bewegung, die bei Themen außerhalb der westlichen Komfortzone beharrlich schweigt. Die evangelische Kirche sollte sich aufrichtig fragen: Warum wird jemand als Gewissensträger umgarnt, dessen moralisches Spektrum bemerkenswert eng gesteckt ist?
Neubauer gehört zu den Unterzeichnern offener Briefe, die einen Stopp deutscher Waffenexporte nach Israel fordern. Die barbarischen Verbrechen der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung werden dabei auf bequeme Weise ignoriert. Auch zur Christenverfolgung in Nigeria oder zu den schrecklichen Ereignissen im Sudan ist von Luisa Neubauer und ihrer Bewegung nichts zu hören. Zu einer Demonstration gegen die Kriegsgräuel und Menschenrechtsverletzungen im Sudan erschienen vor ein paar Tagen in Berlin nur knapp 200 Menschen.
Natürlich kann nicht jeder über alles sprechen: Aber jemand, der so offensichtlich wegschaut, wo es unbequem wird oder der eigenen politischen Agenda widerspricht, ist keine glaubwürdige moralische Autorität.
Hinzu kommt die vergiftete Aura, die Teile der Bewegung um Fridays for Future umgibt. Die Eklats um Greta Thunberg seit Oktober 2023, in denen sich antisemitische Tendenzen manifestierten, mögen Frau Neubauer zu Distanzierung veranlasst haben. Dennoch bleibt die Frage: Kann man sich aus diesem Umfeld, in dem Antisemitismus offenbar gedeiht, einfach herauslösen, ohne die systemische Problematik zu adressieren?
Die Kirche als Behelfsbühne des Zeitgeistes
Eine solche Predigt in der Kirche stärkt nicht den Glauben, sondern entwertet den Ort.
Der Vorgang bestätigt die Warnungen von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner: Wenn das kirchliche Handeln sich auf die Verstärkung tagespolitischer Forderungen reduziert, hat es seinen inneren Kompass endgültig verloren und wird zur Behelfsbühne des Zeitgeistes.
Die Kirche muss sich erinnern, worin ihre eigene Autorität begründet ist.
Die Evangelische Kirche Bonn lud in Verbindung mit Neubauers Auftritt ein zur Teilnahme an Klimademos im November. Vereint hinter dem Banner "Klimagerechtigkeit jetzt, weil wir die Schöpfung lieben". Auch hier war vom "ökologischen Kollaps" die Rede. Man gefällt sich im Gefühl, zu den Guten zu gehören, die ihn noch zu verhindern suchen.
In Wahrheit muss die Kirche sich aber fragen, ob sie den vorübergehenden Applaus dieser Guten überhaupt will – derer, die sie insgeheim als Teil der alten, zu überwindenden Welt ablehnen. Oder ob sie denen ein Anker sein will, die sich verloren haben. Sie muss sich erinnern, worin ihre eigene Autorität begründet ist: nicht in säkularen Untergangsprophetien, sondern im Geheimnis des Glaubens.