Den antiken Reiterkriegern Zentralasiens haftet noch heute der Ruf barbarischer Horden an, die um des Krieges Willen die kulturell überlegenen Zivilisationen Westeuropas überfielen. Dieser postulierte Antipol steht im Widerspruch zur Komplexität und Schlagkraft der nomadischen Heere im 1. Jt. v. Chr., die vor allem aus Reiterschützen bestanden. Beschaffenheit und Gebrauch der von ihnen genutzten Bogenwaffe, dem Kompositreflexbogen, bilden den Fokus des folgenden Artikelsauszugs.
Die charakteristische Art nomadisch kämpfender Heere, Krieg zu führen, wurzelt ursprünglich in den ost- und zentralasiatischen Steppen und begann sich dort bereits zu Beginn des 1. Jts. v. Chr. herauszubilden. Die im eurasischen Steppengürtel ansässigen Reiternomaden entwickelten ein vielseitiges taktisches Repertoire, dessen strategische Ausprägung maßgeblich auf der hohen Mobilität der Kavllerie, der Täuschung des Feindes und dem Einsatz der Bogenwaffe fußte.
Der Kompositreflexbogen
Seit der Steinzeit ist der Bogen ein Jagdgerät der Menschheit. Er ist zugleich die erste Waffe, die unter Ausnutzung potenzieller Energie ein Geschoss zu beschleunigen vermochte. Die Kompositreflexbögen der frühen Nomaden perfektionierten dieses Prinzip nun in einem Maße, das weit über das Spannen eines reinen Holzstabs hinaus ging. Diese speziell konstruierten Bögen zeichnen sich durch einen mehrschichtigen Aufbau aus verschiedenen Materialien aus.
Ein vergleichsweise dünner Holzkorpus dient als Auflagefläche. Auf der Außenseite (dem «Bogenrücken») ist eine Schicht aus aufgeleimten Tiersehnen angebracht. Im Zuge des Trocknungsprozesses zieht sich diese Schicht zusammen, wodurch sich der Bogenkörper in Richtung des Sehnenbelags krümmt und ihm seine charakteristische Form verleiht (sog. reflexe Krümmung). Dieser unscheinbare Belag bringt gleich mehrere Vorteile mit sich. Er verleiht dem Bogen zum einen mehr Stabilität, so dass dieser insgesamt kürzer konstruiert werden kann, ohne beim Spannen zu zerbrechen. Zum anderen stattet er die spätere Waffe durch die reflexe Krümmung und die flexiblen Eigenschaften der Sehne auch mit einem erheblich höheren Energiepotenzial aus. Zusätzlich kann bei manchen Modellen auf der Innenseite des Bogenkörpers (dem «Bogenbauch») eine Hornschicht angebracht sein, welche durch ihre druckresistente Eigenschaft die Abschussgeschwindigkeit nochmals erhöht. Eine so konstruierte Waffe ist also kürzer und zugleich leistungsstärker als ein herkömmlicher Holzbogen. Damit ergeben sich perfekte Voraussetzungen für den Einsatz vom Pferd aus.
Das könnte Sie auch interessieren!
Reiter aus der Steppe
Ob Kimmerier, Skythen, Hunnen, Awaren, Bulgaren oder Ungarn – Reiter aus der Steppe waren zu allen Zeiten gefürchtet, ihre kriegerischen Tugenden wurden von Mächten wie Rom gerne in Anspruch genommen. Doch was haben diese Horden gemeinsam, was trennt sie? Mit dem Autorenteam wollen wir auf einen Ritt durch die Jahrtausende gehen.
Exklusiv in der AiD 6/2022
Die Nomaden benutzten eine Vielzahl verschiedener Typen des Kompositreflexbogens. Neben einigen Funden geben ikonographische Quellen Aufschluss über deren Aussehen und Konstruktion. So konnte die Größe des Bogens zwischen 60 und 140 cm erheblich variieren. Während zunächst der eher kurze «skythische Bogentyp » in Gebrauch war, setzte sich ab dem 3./2. Jh. v. Chr. der etwas größere «hunnische Bogentyp» von Ost nach West durch. Dieser zeichnete sich durch Wurfarmversteifungen und eine nochmals erhöhte Abschussgeschwindigkeit aus. Bis in die Spätantike hinein wurden von den Nomaden jedoch beide Bogentypen parallel verwendet.
Der Kompositreflexbogen – Die Handhabung
So unterschiedlich die verwendeten Bogentypen waren, so unterschiedlich war auch der Umgang mit diesen. Das zeigt sich zum Beispiel an den verwendeten Anschlagarten, von denen die Ikonographie verschiedenste Ausführungen offenbart: während manche Schützen ihren Ankerpunkt im Bereich des Oberarms finden, ziehen andere den Bogen bis zur Wange aus. Auch die Frage, ob die frühen Nomaden im «mediterranen» oder «mongolischen » Stil schossen, lässt sich nicht pauschal beantworten. Der Unterschied liegt darin, dass der Schütze beim mediterranen Auszug mindestens Zeige- und Mittelfinger benutzt, um die Sehne des Bogens zu ziehen. Der Pfeil ist dabei auf der Seite der bogenhaltenden Hand aufgelegt. Im Gegensatz dazu wird bei der mongolischen Variante der Daumen zum Ziehen benutzt und der Pfeil auf der anderen Seite des Bogenkörpers angelegt. Diese Spannart ist häufig in Regionen, in denen Kompositreflexbogen verwendet wurden, anzutreffen.
Leider stellen ikonographische Quellen die Hände nur selten so filigran dar, dass eine eindeutige Bestimmung der Auszugsart möglich ist. Allerdings können Teile der Schützenausrüstung Anhaltspunkte liefern. Während sog. Daumenringe verwendet werden, um den Daumen beim mongolischen Auszug zu schützen, erfordert die mediterrane Spannart aufgrund der Pfeilauflage auf der Innenseite des bogenhaltenden Armes einen entsprechenden Unterarmschutz. Beide Varianten finden sich im frühnomadischen Kontext, so dass auch von einer heterogenen Verbreitung an Auszugsarten ausgegangen werden muss. Das insgesamt seltene Auftreten solcher Schutzausrüstung im Befund ist allerdings erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sich Teile der Bogenwaffe (i.d.R. Pfeilspitzen) in nahezu jedem nomadischen Grab finden lassen. Dies legt die Vermutung nahe, dass solche Ausrüstungsgegenstände entweder kein Teil des Grabritus waren oder dass sie häufig aus leicht vergänglichen Materialien wie Rohhaut angefertigt wurden und sich dem Befund somit entziehen.
Der vollständige Artikel – nur in der ANTIKE WELT Ausgabe 5.22
Vor 200 Jahren gelang Jean-François Champollion ein Meilenstein in den Altertumswissenschafen, der die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Alten Ägypten auf eine völlig neue Ebene hob und endgültig an den Universitäten etablierte: die Entzifferung der Hieroglyphen.
Die Autoren betrachten die Voraussetzungen und Methoden
zur Entzifferung von unbekannten Alphabeten, nehmen die enorme Leistung von Champollion, von seinen Mitstreitern und Konkurrenten in den Blick und beurteilen die Bedeutung für die Kulturgeschichte.
zum Heft