12. Sonntag nach Trinitatis (7.9.2025)
Jesaja 42,3: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Ob Jesaja wohl etwas von Resilienz wusste? In der Beratungs- und Therapieszene gibt es seit einiger Zeit einen regelrechten Hype zur Steigerung der eigenen seelischen Resilienz. Was aber meint Jesaja mit diesem Bild? Jesaja steht wohl eher ein Grashalm oder ein Schilfrohr vor Augen: Knacks! Ein solcher Halm kann sich wieder aufrichten. An der Stelle, wo er beschädigt ist, wird das Gewebe verstärkt, und er findet in seine Ausgangshaltung zurück. Dieses Bild ist ermutigend für Menschen, die sich geknickt fühlen, oder die einen Knacks haben. Mit einem Knacks ist man noch lang nicht wertlos oder gar unbrauchbar. So ist es auch hier. Ja, es ist etwas passiert. Es hat gekracht. Zwischen dem Volk und Gott kracht es in der Tat immer wieder gewaltig. Aber damit ist das letzte Wort nicht gesprochen. Gott sei Dank! Es ist nicht alles aus, und ihr seid auch nicht verworfen, lässt Gott seinem Volk ausrichten. Also brich du nicht den Stab über dir, für das, was du angerichtet hast! Davon wird es auch nicht besser. Niemand hat etwas davon. Man hat festgestellt, dass Menschen, die ein schweres Schicksal zu bewältigen haben, oft erstaunliche Fähigkeiten entwickeln, um den kommenden Anforderungen des Lebens gewachsen zu sein. Unter den Weltstars ist der Anteil an Personen mit einer solchen Geschichte überdurchschnittlich hoch. Doch geht es nicht um Leistung, Fähigkeiten, seelische Fitness. „Sei endlich resilient!“ Die „Resilienz“, die hier beschrieben wird, ist eine Gnade, die dem Menschen zuteilwird. Das bedeutet, du kannst dich darauf einlassen, wenn es für dich schwierig wird, aber erwarte nicht von dir, dass du gleich als strahlender Held dastehst. Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten??? Besser wäre: Bleib auf dem Weg, auch wenn es gekracht hat, ist nicht alles verloren und traue darauf, den Herausforderungen gewachsen zu sein!
13. Sonntag nach Trinitatis (14.9.2025)
Matthäus 25,40: Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Was meinen wir, wenn wir sagen, etwas ist „gering“? Es ist ja nicht gerade ein Wort der Alltagssprache. Unter „geringfügig“ kann man sich vielleicht noch etwas mehr vorstellen. Dann ist etwas unwesentlich und nicht von Bedeutung. Am ehesten wäre das mit den zur Redewendung gewordenen „peanuts“ zu umschreiben. Wenn es um Peanuts geht, dann fällt es, verglichen mit anderem, nicht ins Gewicht. Es ist zu vernachlässigen. Das geht so weit, dass auch Menschenleben nicht zählen, wenn sie unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit betrachtet werden. Das wird dann als Kollateralschaden abgerechnet. Das ist unsere Wirklichkeit, Menschen werden „gering“ geachtet. 30 411 Menschen sind bisher bei dem Versuch, als Flüchtling nach Europa zu kommen, im Mittelmeer ertrunken. Davon, dass wir Menschenleben gering achten, ist der Schritt zur Menschenverachtung nicht weit. Das ist nicht die Welt, wie Christus sie haben will. Aber auch ihm ist klar, wie die Wirklichkeit aussieht: Menschen werden gering geachtet. Sein Auftrag lautet, sich genau um die Anliegen dieser Menschen zu kümmern. In der Rede vom letzten Gericht ist das Verhalten den Geringen gegenüber das entscheidende Kriterium. Ich glaube nicht, dass dies mit der Einrichtung von Wärmestuben oder Sozialeinrichtungen mit ihren vielfältigen Angeboten schon getan ist und es hier nur um die tätige Nächstenliebe geht. Es geht um die Werte, die in einer Gemeinschaft gelten und nach denen sie lebt. Das klingt illusorisch, und ist es wohl auch. Aber wo kämen wir hin, wenn unser Glaube uns nicht immer wieder eine Gegenwelt vor Augen stellen würde, an der wir unsere Wirklichkeit zu messen haben. Diese Spannung gilt es auszuhalten. Hat ja keiner gesagt, dass es leicht wäre. Aber wo immer es gelingt, ist es keineswegs gering zu achten. Im Gegenteil, bei Christus steht es hoch im Kurs.
14. Sonntag nach Trinitatis (21.9.2025)
Psalm 103,2: Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
An manchen Tagen möchte ich lieber im Bett bleiben. Die Aufgaben, die an diesem Tag auf mich warten, sind alles andere als verlockend. Entmutigungen vom Vortag stecken mir noch in den Knochen. Irgendwie bin ich noch ganz benebelt. An meiner Pinwand hängt eine Karte mit der Aufschrift: „Man muss nicht alles glauben, was man denkt.“ Was denke ich an diesem Morgen, wenn ich die Kaffeemaschine anschalte? Der Wochenspruch ist formal ein Dialog. Es handelt sich um eine Selbstaufforderung. „Ey – Seele! Hab dich nicht so! Krieg dich mal wieder ein! Nimm dich nicht so wichtig!“ Wenn man so durch den Nebel stolpert, kann man schon mal etwas übersehen. „Also – liebe Seele – besinn dich! Das, was du gerade empfindest, ist nicht die ganze Wirklichkeit.“ Brummelnd sage ich mir dann: „Du hast ja recht.“ Nun mag ich es aber nicht, wenn das nur heißen soll: „Es gibt doch auch noch schöne Sachen in der Welt.“ Oder gar: „Es gibt Menschen, die haben weniger als du.“ Ich würde mich mit dem, was mir auf der Seele liegt, nicht ernst genommen fühlen. Da liegt für mich im Wochenspruch auch ein Stolperstein. „Was er dir getan hat.“ Das ist etwas für Ehejubiläen oder runde Geburtstage. „Ach ja, es gab doch auch Schönes.“ Erstens beschränkt das die Sache auf bestimmte Ereignisse und zweitens ist dieser Vorschlag rückwärtsgewandt. Ich muss heute meinen Tag bewältigen, und ich brauche etwas für die Zukunft. Was ist mit der Fortsetzung: „Der dir alle deine Sünden vergibt.“ Wenn ich mir vorstelle, dass mich mein Schöpfer und Erlöser so rumhocken sieht, muss ich grinsen. Ich grinse, weil ich kapiere, dass er mich mit meiner schrägen Morgenstimmung aushält. Jetzt sitzt er sogar mit mir am Tisch. Auch er grinst. Er grinst mich amüsiert an. Der Spruch zeigt Wirkung. Schenk dem Tag ein Lächeln. Das Lächeln über mich selbst ist ein guter Einstieg.
15. Sonntag nach Trinitatis (28.9.2025)
1Petrus 5,7: Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
Am Montag kommt bei uns die Müllabfuhr und nimmt mit, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Ab in die Tonne – weg damit – Restmüll, Altpapier, Wertstoff, Bioabfall – je nach Abfuhrplan. Interessanterweise nennen wir das „Entsorgung“. Was nicht mehr brauchbar ist und im Weg ist, ja möglicherweise schädlich werden könnte, wird beseitigt. „Entsorgung“ wirkt also entlastend auf das praktische Leben. Mit den realen Sorgen scheint das oft nicht so einfach zu funktionieren. Doch es gibt eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten. Sorgen können bei der Alltagsbewältigung im Weg sein. Aber zunächst sind Sorgen wie der Hausmüll einfach da. Wir machen uns Gedanken über dies und jenes, und das kann belastend sein und uns gefangen nehmen. Das „Werfen“, von dem hier die Rede ist, bedeutet wohl eher ein sich anvertrauen, als nur ein Beseitigen von Dingen, die einem hinderlich sind. Sorgen machen nichts besser und helfen niemandem. Wo ich mich glaubend anvertraue, gebe ich das ab, was mir Mühe macht. Ich lasse mein Leben davon bestimmen, dass ich mich Gott hingebe. Ich richte mich daran aus, dass ich von Gott gehalten bin. Damit verändert sich etwas im Blick auf die Frage, was für mich wichtig ist. Belastende Erfahrungen werden relativiert. So lebe ich etwa von der Zuwendung, die ich durch Gott erfahre, und nicht von der Anerkennung durch andere. Und so merke ich, dass es Dinge gibt, um die ich mich nicht kümmern muss und die mich daher auch nicht bekümmern müssen. So kann es gelingen, manches, was mich in Anspruch nehmen will, getrost beiseitezulegen und frei zu werden, für das, worauf es ankommt.