Margot Käßmann& Rita SüssmuthKinder wollen, dass wir zuhören!

Eltern werden von Großeltern unterstützt, Enkel werden betreut, Großeltern haben eine Aufgabe. Neben all dem Nützlichen in der Generationenfolge gibt es sehr viel Beglückendes zwischen Enkelkindern und Großeltern: eine unerwartete Horizontöffnung. Zwei erfahrene Großmütter – die Pädagogin und Politikerin Rita Süssmuth und die Theologin Margot Käßmann – im Gespräch über Enkelglück.

Kinder wollen, dass wir zuhören!
“Wenn die Enkel da sind, dann habe ich wirklich Zeit nur für sie. Das genießen sie und ich.“© terre des hommes

Mitten im Leben: Welche Erfahrungen haben Sie als Kind mit Ihren Groß­eltern gemacht?

Rita Süssmuth: Ich habe gute Erfahrungen mit meinen Großeltern väterlicherseits gemacht, vor allem mit der Großmutter, das waren Schlüsselerfahrungen für mein Leben. Diese Frau, Witwe, Mutter von 14 Kindern, nahm den großen Korb und bereitete darin die im bergischen Land sehr vertraute Kaffeetafel. Selbst nach 1945 war da immer ein Kuchen, ein Stück Leberwurst oder etwas Reis dabei. Meine Großmutter hat die Hungersnot im ersten und zweiten Weltkrieg miterlebt. Aber immer wieder war sie sorgend dabei und immer wieder fand sie einen Weg, es war ihr nichts zu viel. So ging sie auch mit uns Kindern um; ich war nie in der Rolle, bei ihr um Gottes willen ganz leise sein zu müssen, nur nicht sprechen. Nein, wir sprachen miteinander, wir lachten und wir tobten auch auf dem sicherlich ausgetobten Sofa. Mit ihr war ich das erste Mal in Elberfeld in der Oper, fuhr mit ihr in der Schwebebahn und sie ist mir sehr nah geblieben, auch nach ihrem Tod. Es war eine wunderbare Erfahrung.

Margot Käßmann: Ich erinnere mich nur an die Omi. Die Großväter sind beide im Krieg geblieben, einer verschleppt, einer, wie man sagt, gefallen. Und die andere Großmutter starb, als ich noch klein war. Aber die Omi kam jeden Tag zu uns und kochte. Wenn ich an sie denke, denke ich an Gänsesülze. Niemand in meinem ganzen Leben hat das wieder so hinbekommen, diese pommersche Gänsesülze zu Weihnachten. Sie hatte alles im Krieg verloren und war trotzdem ein wirklich fröhlicher Christenmensch, das habe ich bewundert und das hat mich geprägt.

Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Ihrer Tochter, Ihren Töchtern geändert, seit diese Mütter sind?

R.S.: Wir hatten nur diese eine Tochter. Als Mutter habe ich eine andere Beziehung zu ihr als zu den Enkeln. Meine Tochter war ein bildungseifriges Mädchen, sehr gewissenhaft in allem, aber auch ein lachendes, fröhliches Kind, die aber erstens darunter litt, dass ich beruflich sehr eingespannt war, und zweitens dass sie keine Geschwister hatte. Ich holte so viele Kinder ins Haus und in die Ferien wie nur möglich. Das hat bei ihr so gewirkt, dass sie bei allem Interesse für ihren Beruf – sie war immer berufstätig – fünf Kinder bekommen hat. Das schafft natürlich eine ganz andere Familienerfahrung. Für mich hat sich die Beziehung zu unserer Tochter auch verändert in dem Maße, wie ich erlebte, wie wichtig ihr die Familie ist.

M.K.: Ich denke, wir werden etwas nachsichtiger mit unseren eigenen Müttern, wenn wir sehen, dass Erziehen und den genau richtigen Weg zu finden, gar nicht so einfach sind. Und das sehe ich mit einem gewissen inneren Humor. Es ist eben nicht so leicht...

Was ist für Sie Enkelglück?

R.S.: Dieses Sich-Einlassen auf Kinder, das ich jetzt auch als Großmutter erlebe, ist eine wunderbare Sache. In meinem Leben habe ich die Erfahrung gewonnen: Die Kinder sehen, was ich nicht sehe. Kinder wollen auch nicht nur vorgelesen bekommen, sie wollen von sich selbst erzählen, dass man zuhört und sich Zeit für sie nimmt. An dieser Kinderwelt, dieser jugendlichen Welt mit all ihren Konflikten und Neuentdeckungen teilnehmen zu dürfen, das ist Glück. Ich denke als Großmutter nicht primär an das schwierige Geschäft der Erziehung. 

M.K.: Als Mutter, gerade auch berufstätige Mutter bist du immer unter einem gewissen Druck, alles zu schaffen. Als Großmutter erlebe ich diese Zeit viel bewusster. Und wenn die Enkel da sind oder ich bei ihnen bin, dann habe ich wirklich Zeit nur für sie. Das genießen sie und ich.

Was lernen Sie von Ihren Enkeln?

M.K.: Ich lerne von meinen Enkelkindern diesen anderen Blick, den unbefangenen freien Blick auf die Welt ohne Vorbehalt, und das gefällt mir gut. Ich kann so manchmal auch neu und anders hinschauen.

R.S.: Man lernt von den Kindern, wenn man sieht, wie sie spielen, wie sie malen, wie sie wichtige Fragen stellen – Oma, was war denn eigentlich vor dem Urknall? –, auf die ich manchmal gar keine Antwort habe. ... Das zeigt einem die Grenzen auf, die immer wieder von Kindern überschritten werden, und sie fragen weiter.

Was sollten Großeltern auf keinen Fall tun?

R.S.: Mich da einmischen, wo es um Eltern-Kinder-Fragen geht: ob es die Berufspläne sind, ob es ihre Hobbys sind. Unsere Enkel sind hoch engagierte Fußballspieler, da muss ich nicht einschreiten und tue es auch ganz bewusst nicht. Ich bin nicht die Erzieherin, sondern ich bin die Großmutter. Ich möchte den Kindern helfen, wenn sie Konflikte haben, und immer eine vertrauenswürdige Ansprechpartnerin sein. Ich kann e-mailen oder auch anrufen – wir können uns nicht so oft sehen, weil wir so weit weg voneinander wohnen ... aber grundsätzlich halte ich es mit den Enkelkindern so, wie ich es auch mit meiner Tochter gehalten habe. Wenn es wichtig ist, sind wir jederzeit erreichbar, selbst nachts.

M.K.: Ja, das finde ich schön und würde es ganz ähnlich ausdrücken. Nicht einmischen in die Erziehung, halte ich auch für richtig. Aber andererseits wissen die Enkel, wenn sie bei mir sind oder ich bei ihnen, dann gelten meine Regeln, das ist mein Umgang. Das können sie ganz gut differenzieren, glaube ich.

Was wollen Sie Ihren Enkelkindern mitgeben?

R.S.: Ich habe zu meinem 80. Geburtstag den Enkelkindern aufgeschrieben, was mir wichtig ist für ihr Leben und für mein Leben. Was ich ihnen mitgeben möchte ist: dass sie sie selbst bleiben, wann immer möglich. Dass sie den Mund aufmachen, nicht schweigen, wenn sie reden sollen. Dass sie auch unbequeme Situationen miteinander bewältigen. 

M.K.: Ich möchte meinen Enkelkindern ein Stück Gottvertrauen mitgeben.

R.S.: Ja, und Vertrauen zu sich selbst, Selbstwertgefühl und: Es geht auch in Konflikten weiter. Für mich ist im Leben eine neue Betrachtung von Scheitern wichtig gewesen, Scheitern gehört zum Leben. Besser es versucht zu haben, als aus lauter Angst vorm Scheitern nichts gewagt zu haben. Es ist mir wichtig, dass Kinder und Enkelkinder Haltung gewinnen können für ihr Leben sowohl in guten wie auch in schwierigen Situationen.

M.K.: Schön – bei der Haltung bin ich auch dabei!

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