Am Morgen des Ostermontags 2025 ist Papst Franziskus gestorben. Nur Stunden zuvor hatte er noch den feierlichen „Urbi et orbi“-Segen erteilt – gezeichnet von Krankheit, aber bis zuletzt präsent. Der gebürtige Argentinier, der als Jorge Mario Bergoglio SJ im Jahr 2013 zum ersten lateinamerikanischen Papst gewählt worden war, hat das Gesicht der Kirche in seinem zwölfjährigen Pontifikat verändert – weniger durch lehramtliche Änderungen, sondern durch klar verständliche, oft überraschende Gesten sowie durch pastoral grundlegendere Weichenstellungen, deren volle Wirkung sich erst mit der Zeit entfalten dürfte.
Sein Amt trat Franziskus bereits mit einem Zeichen an, das zugleich programmatisch wie liturgisch war: dem schlichten, aber dichten „Buona sera“ vom Balkon der Peterskirche aus. Anstatt eines päpstlichen Segens eröffnete er sein Pontifikat mit der Bitte um das Gebet des Volkes für ihn als seinen Bischof. Es war ein Beginn, der auf Nähe setzte – und in der Liturgie eine Schule dieser Nähe sah.
Feiern mit Aussagekraft
Von Beginn an ließ Franziskus keinen Zweifel an seinem Grundanliegen: Die Kirche solle eine Kirche der Armen für die Armen sein. In seinem liturgischen Handeln spiegelte sich dies wider, indem er beispielsweise Gottesdienste an ungewohnten Orten feierte – in Gefängnissen, Flüchtlingsunterkünften oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung.
Besonders die Gründonnerstagsliturgien, bei denen er Menschen an den Rändern der Gesellschaft, auch Frauen, die Füße wusch, wurden zu ikonischen Bildern dieses Pontifikats. Mit der offiziellen Anpassung des Messbuchs im Jahr 2016 erlangte diese Praxis auch normative Anerkennung: Die Fußwaschung kann fortan auf der ganzen Welt an Männern wie Frauen vollzogen werden – nicht aus kirchenpolitischem Kalkül, sondern aus dem Geist der zugrunde liegenden Zeichenhandlung Jesu.
Im selben Jahr lenkte Franziskus mit dem außerordentlichen Heiligen Jahr der Barmherzigkeit den Blick auf die Liturgie der Versöhnung: Heilige Pforten wurden weltweit geöffnet, Bußgottesdienste aufgewertet und „Missionare der Barmherzigkeit“ ausgesandt. Liturgie wurde dabei nicht zur Eventbühne, sondern zur Schule des Herzens – konkret, erfahrbar, heilsam. Im Apostolischen Schreiben Misericordia et misera sprach Franziskus von der Notwendigkeit, die Beichte neu zu entdecken – als Raum der Gnade, nicht der Kontrolle.
Ein weiterer symbolträchtiger Schritt war die Erhebung des Gedenktags der heiligen Maria Magdalena zum Fest. Die „Apostelin der Apostel“ wurde liturgisch in eine Reihe mit den männlichen Aposteln gestellt, nicht als feministisches Zeichen, sondern als theologisch konsequente Würdigung biblischer Realitäten.
Liturgie und Lebenswirklichkeit: Amoris laetitia
Nicht ohne Spannungen verlief die Rezeption von Amoris laetitia (2016), Franziskus’ nachsynodalem Schreiben zur Ehe- und Familienpastoral. Die Möglichkeit, wiederverheirateten Geschiedenen unter bestimmten Umständen den Kommunionempfang zu ermöglichen, löste kontroverse Diskussionen aus. Die Auseinandersetzung entzündete sich hauptsächlich an einer Fußnote, die pastoral verstanden werden wollte, aber moraltheologisch weitreichende Fragen aufwarf. Franziskus reagierte nicht mit rigiden Klarstellungen, sondern mit einer Haltung der Unterscheidung: Die Liturgie solle nicht zum Ort von Ausschluss, sondern von Heilung werden. Der daraus folgende Dissens – etwa in Form der „Dubia“ von vier Kardinälen – zeigte, wie eng Liturgie und Ekklesiologie in seinem Denken miteinander verknüpft waren.
Liturgische Dezentralisierung und Sonntag des Wortes Gottes
Ein Jahr später veröffentlichte Franziskus das Motu proprio Magnum principium. Es änderte die Regelungen zur Übersetzung liturgischer Texte in der Weise, dass die Bischofskonferenzen nicht mehr der ausdrücklichen recognitio, sondern nur noch der confirmatio durch den Apostolischen Stuhl bedürfen. Der Papst begründete diesen Schritt mit einem Rückgriff auf die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium und dem Vertrauen in die Fähigkeit der Ortskirchen, die Liturgie in einen den eigenen Bedürfnissen entsprechenden Sprachstil zu übertragen. Diese Entscheidung wurde als Stärkung von Kollegialität und Inkulturation gewertet – und als Korrektur zentralistischer Tendenzen der vorangegangenen Jahrzehnte. Der Versuch des damaligen Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und der Sakramentenordnung, Kardinal Robert Sarah, diese Entscheidung umzudeuten, wurde vom Papst persönlich und öffentlich zurückgewiesen.
Mit dem Motu proprio ≤em>Aperuit illis erklärte Franziskus 2019 den dritten Sonntag im Jahreskreis zum „Sonntag des Wortes Gottes“. In enger Anbindung an die Erzählung der Emmausjünger (Lk 24) und die Konzilskonstitution Dei Verbum erinnerte er daran, dass die Heilige Schrift „nicht bloß gehört, sondern gefeiert werden“ müsse. Die Nähe zum Tag des Judentums und zur Gebetswoche für die Einheit der Christen ist kein Zufall. Sie zeigt das ökumenische und interreligiöse Gewicht, das Franziskus der Liturgie beimaß.
Inkulturation und die Grenzen des Möglichen
In den krisenreichen Jahren des neuen Jahrzehnts – Pandemie, Vertrauensverluste, Kriege – setzte Franziskus Akzente, die in ihrer geistlichen Dichte und pastoralen Weite das Fundament seiner bisherigen Reformen weiterführten – nicht in großen Umbrüchen, sondern in vielfach stillen, aber nachhaltigen Schritten.
Mit dem nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia (2020) reagierte Franziskus auf die Amazonas-Synode und sprach sich für eine weitergehende liturgische Inkulturation aus. Zwar verzichtete er auf die von der Synode empfohlene Einführung verheirateter Priester oder neuer Ämter für Frauen, betonte aber deutlich, dass sich „die Inkulturation des Glaubens und die Evangelisierung der Kulturen auch in der Liturgie bewähren“ müssten. Ein konkretes Zeichen dafür war z. B. auch die verstärkte Würdigung des „Messritus für die Diözesen von Zaire“ (1988), den Franziskus als Modell für einen „inkulturierten Römischen Ritus“ verstand und der bei mehreren Papstliturgien im Vatikan gefeiert wurde.
Zwei zentrale strukturelle Veränderungen erfolgten 2021: Mit dem Motu proprio Spiritus Domini wurde der Zugang zum auf Dauer angelegten Akolythen- und Lektorendienst offiziell auch für Frauen geöffnet – durch eine Änderung von can. 230 §1 CIC. Kurz darauf folgte das Apostolische Schreiben Antiquum ministerium, das den Katechetendienst (mit einem eigenen Beauftragungsritus) errichtete. Beide Schritte griffen die gelebte Realität in vielen Ländern dieser Welt auf und gaben ihr eine liturgisch-rechtliche Gestalt – ein Zeichen jener „reformierenden Kontinuität“, die Franziskus stets favorisierte.
Einheit im Ritus und ein geistlich-liturgisches Vermächtnis
Mit dem Motu proprio ≤em>Traditionis custodes zog Franziskus im Juli 2021 eine klare Linie gegenüber der Ausweitung der vorkonziliaren Liturgie durch seinen Vorgänger Benedikt XVI. Die Liturgie des Missale Romanum von 1962 wurde nun nicht mehr als „außerordentliche Form“ anerkannt. Seine Nutzung ist nur noch unter strengsten Auflagen erlaubt. Ziel war die „Einheit im Ritus“ – für Franziskus kein disziplinärer, sondern ein ekklesiologischer Begriff. In einem Begleitschreiben betonte der Papst: Die nach dem Konzil erneuerte Liturgie sei „die einzige Ausdrucksform“ des Römischen Ritus, was eine klare Absage an die Vorstellung zweier gleichberechtigter Formen darstellt. Die liturgischen Konfliktlinien von Papst Franziskus zu traditionalistischen Gruppierungen wurden hier nicht zum ersten Mal, aber dafür mit beispielloser Deutlichkeit sichtbar.
Im Juni 2022 veröffentlichte Franziskus mit Desiderio desideravi ein theologisch dichtes Apostolisches Schreiben über die liturgische Bildung. Er knüpfte darin an die Mystagogie der Kirchenväter, an Leitgedanken der Liturgischen Bewegung und insbesondere an die Liturgietheologie Romano Guardinis an, würdigte Leib und Sinne als theologische Erfahrungsorte der Liturgie und plädierte für eine stärkere Schulung von Vorstehern und liturgischen Diensten in der ars celebrandi, die jedoch nicht in Äußerlichkeiten stecken bleiben dürfe. Dabei wandte sich Franziskus zugleich gegen formalistische wie gegen subjektivistische Tendenzen: Liturgie sei nicht „meine“, sondern „Kirche, die sich feiert“. In gewisser Weise stellt das Schreiben den inneren Schlüssel zum liturgischen Verständnis dieses Pontifikats dar: dialogisch, geistlich, gemeinschaftlich.
Neue Fragen – Fiducia supplicans
Die Erklärung ≤em>Fiducia supplicans des Glaubensdikasteriums – mit ausdrücklicher Billigung durch Papst Franziskus – gestattete im Dezember 2023 die Segnung von Paaren in irregulären oder gleichgeschlechtlichen Lebenssituationen, allerdings außerhalb eines liturgischen Rahmens, um Ähnlichkeiten mit der sakramentalen Ehe auszuschließen. Die weltweiten Reaktionen fielen unterschiedlich aus: Während viele westliche Ortskirchen die Erklärung begrüßten (aber wegen ihrer Mutlosigkeit auch kritisierten), sprachen sich mehrere Bischofskonferenzen – besonders in Afrika – explizit dagegen aus.
Die Diskussion wandelte sich von einer praktischen zu einer theologischen Auseinandersetzung: Was kann, darf und soll gesegnet werden? Ist die Segnung ein liturgischer Ritus oder ein seelsorglicher Akt? Franziskus betonte mehrfach: „Wir segnen Menschen, nicht Sünden“ – und öffnete damit den Raum für eine Praxis, die pastoral sensibel und theologisch verantwortet zugleich sein will. Die Erklärung markiert einen Wendepunkt im Nachdenken über die Grenzen liturgischer Segenshandlungen und zeigt, wie stark Fragen der Sexualmoral weltkirchlich immer noch liturgisch verhandelt werden.
Synodale Liturgie als Zeichen
Mit dem von Papst Franziskus initiierten weltweiten synodalen Prozess (2021–2024) hat die Kirche einen Weg eingeschlagen, der auf gemeinsames Hören, Unterscheiden, Gehen – und vor allem Beten – setzt. Auch wenn die Liturgie letztlich kein zentrales Themenfeld der Schlussberatungen im Vatikan darstellte, wurde sie als wesentlicher Ausdruck kirchlicher Synodalität erlebt. So hebt auch das von Papst Franziskus in Kraft gesetzte Abschlussdokument hervor, dass jede Eucharistiefeier „Ausdruck des Wunsches und des Aufrufs zu einer Einheit aller Getauften“ ist und Liturgie und Synodalität durch das gemeinsame Hören auf das Wort Gottes miteinander verbunden sind. Zudem wird eine Studiengruppe angeregt, die erforschen soll, wie liturgische Feiern stärker zum Ausdruck synodaler Realität werden können – etwa durch neue Formen der Predigt oder mystagogischer Katechese. Damit bleibt die Liturgie nicht Randphänomen, sondern verweist auf das Zentrum kirchlichen Lebens.
Schlichter Abschied – das eigene Requiem
Auch in einer der letzten liturgischen Entscheidungen seines Pontifikats setzte Papst Franziskus ein klares Zeichen: Mit der von ihm im November 2024 verfügten Reform des Ritus für das Begräbnis eines Papstes schuf er nicht nur eine gestrafftere Ordnung für den Umgang mit dem Tod des Bischofs von Rom, sondern auch eine theologisch sprechende Form, die in ihrer Schlichtheit das Wesen seines Amtsverständnisses nochmals deutlich machte: Der Petrusdienst darf nicht ins Monumentale überh.ht werden, sondern muss in die kirchliche Communio eingebettet bleiben. Die erneuerte Begräbnisordnung ist somit kein Bruch mit der Tradition, sondern deren geistliche Verinnerlichung. Besonders auffällig war die Entscheidung, dass Papst Franziskus nicht in den Vatikanischen Grotten unter dem Petersdom, sondern in seiner Lieblingskirche, der Basilika Santa Maria Maggiore beigesetzt wollte – in einem schlichten Holzsarg und unter einer einfachen Grabplatte mit der Aufschrift „Franciscus“.
Zwischen Vermächtnis und Weiterführung
Papst Franziskus hat der Kirche durch sein Wirken Zukunftsweisendes geschenkt – nicht zuletzt auf liturgischem Gebiet. Doch Liturgie entfaltet ihre Kraft nicht allein durch Texte, Dokumente oder Gesten – sie muss gelebt, verstanden und getragen werden. Viele seiner Impulse – etwa zur Inkulturation, zur liturgischen Bildung oder zur Stärkung der Ortskirchen – bleiben Aufgaben, die erst noch konkret umgesetzt werden müssen. Es wird an seinem Nachfolger liegen, ob dieser den eingeschlagenen Weg mit gleicher geistlicher Tiefe und pastoraler Weite weitergeht.