Achtsames Miteinander, stabile StrukturenResilienzförderung

In der Freiburger Tullaschule gehört Resilienzförderung zum Konzept. Dafür arbeiten Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher Hand in Hand.

Achtsames Miteinander, stabile Strukturen
© Michael Bamberger, Freiburg

Ich wünsche mir, dass wir mehr mit Elina spielen“, liest Luis von einem kleinen Zettel ab. „Und“, fragt Erzieherin Susanne Heinemann in die Runde der Zweitklässler, „klappt das?“ Die Kinder beginnen zu diskutieren, ob Elina inzwischen oft genug mit einbezogen wird. Die Antwort ist wichtig, denn je nachdem, wie sie ausfällt, wandert der Zettel in ein anderes Glas. Drei Stück davon stehen auf dem Tisch vor den Kindern, sie sind nach dem Ampelsystem mit einem roten, einem gelben und einem grünen Smiley beklebt. So richtig können sich die Schülerinnen und Schüler nicht entscheiden. Schließlich ergreift Sophia die Initiative: „Wer ist alles dafür, dass es gut klappt? Der streckt“, sagt das Mädchen, und flugs gehen die Arme in die Höhe. Eindeutig: Der Zettel kommt ins Glas mit dem grünen Smiley, Elina ist also bestens integriert.

Heute ist, wie jeden Donnerstag, Gruppentag in der Ganztagsbetreuung. An den restlichen Tagen der Woche dürfen die Kinder frei wählen, was sie machen wollen. Den Gruppentag hat die Schulkindbetreuung seit Beginn dieses Schuljahres etabliert. „Wir wollen damit das Zugehörigkeitsgefühl der Kinder stärken und ihnen einmal in der Woche ein geschütztes Setting bieten“, sagt Edith Gärtner, Sozialpädagogin und seit mehr als drei Jahren Leiterin des zwölfköpfigen Erzieherteams. In diesem Setting ist Resilienzförderung ein wichtiges Thema. Die Frage, die über allem schwebt, lautet: Wie können wir die Kinder stark machen? Mittels ganz verschiedener Angebote und Projekte sollen die Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbstwahrnehmung und sozialen Kompetenz gestärkt werden.

Eigene Stärken kennenlernen

Den Anstoß dazu gab vor sieben Jahren ein Projekt der Tullaschule gemeinsam mit der Evangelischen Hochschule Freiburg. In dessen Folge wurde für alle Schüler eine Stunde Resilienzförderung pro Woche verpflichtend auf den Stundenplan gesetzt. Ob diese in der Musikstunde oder dem Deutschunterricht stattfindet, entscheiden die Lehrerinnen und Lehrer selbst. In diesen Stunden wird nicht etwa über Resilienz geredet, die meisten Kinder können mit diesem Begriff nichts anfangen. „Stattdessen arbeiten wir an den sogenannten Resilienzfaktoren“, sagt Anna Scherzinger, die als Sozialarbeiterin dem Kollegium beratend zur Seite steht. Dazu gehören beispielsweise Selbst- und Fremdwahrnehmung oder der Umgang mit Stress (siehe Kästen). In der Klasse tauchen all diese Worte nicht auf. Sie werden thematisch verpackt. So erfahren Erstklässler unter anderem, wie man sich selbst und die eigenen Stärken kennenlernt. Zweitklässler werden im Umgang mit Gefühlen und gewaltfreier Kommunikation geschult. „In der zweiten Klasse beginnt die Demokratieerziehung, darauf aufbauend werden ein Klassenrat und ein Klassensprecher gewählt“, schildert Scherzinger. Vier Jahre lang werden die Kinder regelmäßig in resilienzrelevanten Themen geschult, besser gesagt: trainiert. Dass dieses Konzept so gut funktioniert, liegt unter anderem daran, dass mit sehr niedrigschwelligen Grundlagen begonnen wird. Vor dem Umgang mit Gefühlen wird also geklärt, was Gefühle überhaupt sind und wie man sie einschätzen kann – die eigenen und die der anderen. „Viele Kinder erleben hier, was es bedeutet, sich und andere wahrzunehmen“, sagt die Sozialarbeiterin. „Wenn ihnen das gelingt, fällt es ihnen auch leichter, sich in andere hineinzuversetzen.“

Wöchentliche Resilienzstunde

Die wöchentlichen Resilienzstunden sind der Nährboden, auf dem Edith Gärtner und ihr Team der Schulkindbetreuung aufbauen können. „Es ist uns wichtig, so viele Anregungen wie möglich aus dem Vormittag mit in den Nachmittag zu nehmen“, sagt Gärtner. Viele Kolleginnen und Kollegen aus der Ganztagsbetreuung waren deshalb schon zum Hospitieren im Unterricht. Es geht vor allem darum, „Strukturen zu schaffen, die Sicherheit geben“, wie Gärtner sagt. So markiert zum Beispiel ein festgelegtes Prozedere den Übergang von der Schule in die Betreuung: Die Kinder wissen, wo sie nach dem Unterricht zu den Hausaufgaben hingehen und sich anmelden müssen. Wenn draußen gespielt wird, sammeln sie sich an denselben Plätzen wie am Vormittag, wenn sie aus der Pause zurückkommen. Es gibt eine Tafel, die eine Übersicht über alle Kolleginnen und Kollegen bietet, die an diesem Tag Dienst haben. „Das sind sehr viele Kleinigkeiten, die den Kindern Sicherheit geben“, erklärt Gärtner. „Sie wissen, wo sie jemanden finden, wo der Treffpunkt in der Turnhalle ist, was auf sie den Nachmittag über zukommt.“ Das alles, sagt die Sozialpädagogin, schaffe Selbstsicherheit und schütze vor dem Gefühl der Überforderung. In der Turnhalle der Tullaschule findet gerade eine Jagd statt: Die Kinder der 1a und 1b haben sich bunte Tücher hinten in die Turnhose gesteckt und müssen die sich nun gegenseitig herausziehen. Die Sechs- und Siebenjährigen toben durch die Halle, kreischen, wenn sie fast erwischt werden, fegen durch die kleinste Lücke, die sich auftut, und schützen ihren „Schwanz“. Was hat Sport mit Resilienz zu tun? Zum einen, beschreibt Gärtner, gehe es auch hier um das Fühlen und sich Begreifen, darum, in der Bewegung zu einem Körpergefühl zu finden. Zum anderen bietet der Sport die Möglichkeit, ganz andere Ressourcen zu entdecken und so das Selbstbewusstsein zu stärken. „Wir hatten zum Beispiel ein Mädchen, das von der schulischen Leistung her eher schwach war“, erzählt Gärtner, „das war allerdings beim Klettern als Erste ganz oben.“

Jedes Kind im Blick

Solche Erlebnisse sind es, die Kinder stärken. Damit es davon immer mehr gibt, arbeiten alle Hand in Hand: die Lehrenden, das Team der Schulkindbetreuung, die Sozialarbeiterin und eine Heilpädagogin. Für jedes der 170 Kinder an der Schule wird geschaut, was es gerade braucht und was ihm guttun könnte. „Einige unserer Schülerinnen und Schüler kommen aus einem belasteten Umfeld und aus Familien, die zahlreiche Probleme haben. Es ist für uns deshalb jedes Mal eine Herausforderung, nach den individuellen Bedürfnissen jedes Kindes zu schauen“, sagt Sozialarbeiterin Scherzinger. Dass das bestens funktioniert, erleben die Erwachsenen jeden Tag. „Wir sind das lebendige Beispiel dafür, was Resilienzförderung erreichen kann“, sagt Gärtner und lacht. Sie ist seit drei Jahren an der Schule und hat gemerkt, wie sich das Bewusstsein der Kinder verändert hat. „Das Schöne an Resilienz ist: Sie ist erlernbar“, bilanziert sie. Die einzige Voraussetzung sei regelmäßiges Üben, und genau darauf achtet man in der Tullaschule sehr.

Die Art, wie man miteinander umgeht, ist an der Schule ein Dauerthema. Auch in der Gruppe von Susanne Heinemann, in der an diesem Nachmittag die kleinen Zettel in Smiley-Gläser gesteckt werden. Das grüne und das gelbe Glas sind recht voll, viele Dinge klappen also schon gut bis sehr gut in der zweiten Klasse. „Wir tun uns nicht weh“ oder „wir hören einander zu“ zum Beispiel. Luis zieht noch einen Zettel aus dem grün markierten Glas: „Ich wünsche mir, dass wir uns helfen, wenn wir Hilfe brauchen“, steht da in krakeliger Kinderhandschrift geschrieben. Da braucht es keine Diskussion. Alle nicken, und der Zettel wandert zurück zum grünen Smiley.

(Alle Kindernamen auf Wunsch der Schule geändert)

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