Zwei GottesfreundeWarum es richtig ist, dass Robert Barron den Josef-Pieper Preis erhält

Die Verleihung des Josef-Pieper-Preises an den amerikanischen Bischof Robert Barron sorgt für Kritik. Doch wenn man sich ernsthaft mit Barrons Denken beschäftigt, wird klar: Niemand hat den Preis mehr verdient als er.

Robert Barron
© Bob Roller/CNS photo/KNA

Ende Juli bekommt der US-amerikanische Bischof Dr. Robert Barron in Münster den Josef-Pieper-Preis verliehen. Mit ihm ehrt die Josef-Pieper-Stiftung einen Bischof, der sich in seinem Denken von dem Münsteraner Philosophen tief hat inspirieren lassen und der auf der Grundlage einer sich an den großen Gestalten der abendländischen Tradition orientierenden Theologie das Online-Projekt "Word on Fire" gegründet hat, das mit dem Ziel einer umfassenden Bildungsoffensive derzeit zu den weltweit erfolgreichsten Evangelisierungsprojekten gehört.

Barron begann mit seiner Arbeit zunächst in Radio und Fernsehen, wandte sich aber bald dem Internet und den Sozialen Medien zu. Sein erstes Video bei YouTube lud er vor 18 Jahren hoch. Er gehört damit zu den Pionieren der vor 20 Jahren gegründeten Plattform. Heute hat Barron bei YouTube 2,11 Millionen Follower, bei Facebook sind es 3 Millionen und bei Instagram 575.000. Seit 1992 ist Barron Theologieprofessor, 2015 ernannte ihn Papst Franziskus zum Weihbischof in Los Angeles und 2022 zum Bischof von Winona-Rochester. Bisher neunmal wurde er mit einem Ehrendoktorat ausgezeichnet.

Barron zeigt, dass entgegen einer in Kirchenkreisen verbreiteten Ansicht der christliche Glaube nicht dann an Attraktivität gewinnt, wenn er den Scheinplausibilitäten einer sich selbst in bunter Vielfalt inszenierenden postmodernen Lebenswelt hinterherläuft, sondern wenn er sich aus seinen eigenen Quellen heraus erneuert, diese durchdenkt und sie verständlich und klar in ästhetisch ansprechender Form zur Sprache bringt.

Sein Projekt "Word on Fire", mit dem er vor genau 25 Jahren an den Start ging, zeigt, dass der christliche Glaube sich sehr wohl in einem säkularen Kontext zu behaupten vermag, mehr noch: dass er sogar wachsen kann, wenn er in rechter Weise verstanden, vermittelt und gelebt wird.

Allein mit medialer Kompetenz und persönlicher Ausstrahlung lässt sich der Erfolg von Bischof Robert Barron nicht erklären. Vielmehr zeigt sein Projekt "Word on Fire", mit dem er vor genau 25 Jahren an den Start ging, dass der christliche Glaube sich sehr wohl in einem säkularen Kontext zu behaupten vermag, mehr noch: dass er sogar wachsen kann, wenn er in rechter Weise verstanden, vermittelt und gelebt wird. Allerdings bedarf es dazu einiger tiefgreifender Korrekturen verbreiteter Ansichten, die in einschlägigen theologischen Kreisen für Irritationen sorgen, die sich vereinzelt in kurios anmutenden Abwehrreflexen mediale Aufmerksamkeit verschafft haben – von Leuten, bei denen man den Eindruck hat, dass sie weder ein Buch von Josef Pieper noch eines von Robert Barron gelesen, geschweige denn verstanden haben.

Postliberale Wende

Barron hat sowohl in seiner Jugend als auch im Rahmen seines Studiums in den 1970er und 1980er Jahren in den USA und in Europa die liberale Form katholischer Theologie kennengelernt und verinnerlicht, jedoch bald erkannt, dass sie einer einschneidenden Korrektur bedarf. Die Kernschmelze liberaler Milieus in allen christlichen Konfessionen scheint ihm recht zu geben. Barron, der die Hauptwerke Karl Rahners intensiv studiert und sich in einer frühen Phase seines theologischen Denkens von dem großen Theologen des 20. Jahrhunderts hat inspirieren lassen, wurde jedoch bald klar, dass die anthropologische Wende der Theologie an ihre Grenzen stößt.

Als er im Rahmen seines Studiums am Institut Catholique in Paris über Michel Corbin SJ mit der Theologie Henri de Lubacs SJ vertraut wurde und sich in das Studium der Kirchenväter und der großen mittelalterlichen Theologen vertiefte, kam es in seinem Denken zu einem post-liberal move. Maßgeblichen Anteil daran hatten die Werke Hans Urs von Balthasars.

Unter deren Einfluss suchte Barron als junger Lehrer der Theologie nach einer Alternative zur liberalen Theologie einerseits wie zum Traditionalismus andererseits. Beide sich bekämpfende Richtungen der nachkonziliaren Theologie haben mehr gemeinsam als ihnen bewusst ist; sie sehen im Zweiten Vatikanischen Konzil einen Bruch mit der Tradition; die einen bedauern ihn, die anderen begrüßen ihn. Barron hingegen stellt sich vorbehaltlos hinter das Konzil und deutet es im Rahmen einer "Hermeneutik der Reform" (Benedikt XVI.) als Aufforderung zu einer tiefgreifenden Erneuerung aus den Quellen.

"Word on Fire" lässt ein Millionenpublikum an der geistigen Auseinandersetzung des katholischen Glaubens mit der zeitgenössischen Kultur teilhaben.

Dies eröffnet ihm die Möglichkeit, den ganzen Reichtum der katholischen Kultur im Gespräch mit einer orientierungslos gewordenen Generation zu erschließen. Im Rahmen dieser Ressourcement theology gelingt es ihm, die intellektuelle und spirituelle Dimension des christlichen Glaubens wieder zusammenzuführen und ihre kulturprägende Kraft im unerschrockenen Gespräch mit den unterschiedlichsten Richtungen der Gegenwartskultur zur Geltung zu bringen. Das Projekt "Word on Fire" verschließt sich nicht in eine katholische Bubble, sondern realisiert die Aufforderung von Papst Franziskus, "an die Ränder zu gehen", indem es ohne Berührungsängste in der Verbindung von Offenheit und Klarheit in der Wahrheit das Gespräch mit den verschiedensten kulturellen, philosophischen und politischen Strömungen sucht und so ein Millionenpublikum an der geistigen Auseinandersetzung des katholischen Glaubens mit der zeitgenössischen Kultur teilhaben lässt, was einige ängstliche Geister bereits in Alarmbereitschaft versetzt hat.

Beige Catholicism

In der intensiven Auseinandersetzung mit Hans Urs von Balthasar ("How von Balthasar Changed My Mind") und einer unvoreingenommenen Lektüre der Heiligen Schrift wurde Barron klar, dass der christliche Glaube nicht angemessen verstanden wird, wenn man ihn als ungebrochene Verlängerung menschlichen Selbstverständnisses deutet; diese in den 1970er Jahren verbreitete Strömung bezeichnet Barron im Anschluss an den Religionssoziologen Andrew Greeley als beige Catholicism; Barrons High School Class des Jahres 1977 ist für den katholischen Glauben eine "verlorene Generation". "Unsere Lehrer", so Barron, "wussten im Grunde nicht mehr, was sie uns erzählen sollten. Das Alte wurde radikal infrage gestellt, das Neue war noch nicht in Sicht, und so wurden wir statt mit biblischen Erzählungen und kirchlichen Lehren mit Transparenten, Collagen und politischen Parolen abgespeist." Bedeutende Theologen wie Henri de Lubac, Hans Urs von Balthasar, Louis Bouyer und Joseph Ratzinger erkannten die Krise der nachkonziliaren Theologie und sahen, dass dem balloons-and-banners-Catholicism keine Zukunft beschieden war.

Der Einbruch der göttlichen Dimension

Ohne den Einbruch einer das menschliche Bewusstsein erschütternden Dimension bleibt nach Barron der christliche Glaube unterbestimmt. Wenn Katechese und Theologie diesen Einbruch der göttlichen Dimension in Jesus Christus ("the inbreaking of God in Christ"), sei es in der Erfahrung, sei es in der Liturgie und Katechese, sei es in der Reflexion universitärer Theologie, nicht mehr auf dem Schirm haben, löst sich der christliche Glaube im Rahmen kultureller Akkommodation weitgehend auf. Das Salz wird schal und von den Leuten zertreten.

Das Dahinsiechen des christlichen Glaubens in den westlichen Kulturen hängt nach Barron vor allem damit zusammen, dass die göttliche Dimension der Wirklichkeit im Bewusstsein vieler Katholiken weitgehend verschwunden ist. Sie als eine Realität wieder ernst zu nehmen, sie zu bezeugen und im Lichte der Vernunft zu reflektieren und sich dabei nicht von einer selbstgefälligen Blase vermeintlicher Meinungsführer einschüchtern zu lassen, kann als Markenzeichen des von Bischof Barron gegründeten Projekts "Word on Fire" bezeichnet werde. Schaut man auf die Wirkungen, die das Projekt in den zurückliegenden Jahren gezeitigt hat, scheint es ein game changer zu sein, der viele verunsicherte Katholiken aus der kognitiven Defensive führt.

Kommt und seht!

Um Barron und den Erfolg seines Evangelisierungsprojektes zu verstehen, gilt es, den springenden Punkt zu erfassen, von dem aus alles zusammengehalten wird.

Gilt der katholische Glaube aus der Perspektive eines modernen säkularen Bewusstseins als Problemfall und die katholische Kirche als bemitleidenswerter und unansehnlicher Patient, so gelingt es Barron mit einer an heiterer Gelassenheit grenzenden Selbstverständlichkeit den Spieß umzudrehen.

Barron hat sich zu fast allen Gebieten und Themen der Theologie und des kirchlichen Lebens mündlich und schriftlich geäußert, und er tut es auch weiterhin, und man fragt sich, wie so etwas überhaupt möglich ist. Bei ihm findet eine eigenartige Umkehrung statt: Gilt der katholische Glaube aus der Perspektive eines modernen säkularen Bewusstseins als Problemfall und die katholische Kirche als bemitleidenswerter und unansehnlicher Patient, so gelingt es Barron mit einer an heiterer Gelassenheit grenzenden Selbstverständlichkeit den Spieß umzudrehen.

Um zu verstehen, wie das funktioniert, sei auf die Spieltheorie des Philosophen Ludwig Wittgenstein zurückgegriffen. Barron selbst tut dies, um zu erläutern, wie Außenstehende zum katholischen Glauben finden. Man stelle sich vor, ein Jugendlicher schaut mit Interesse am Rande des Spielfeldes einem Fußballspiel zu (bei Barron ist es Baseball). Man kann ihm nun die Regeln des Spiels erklären und auch auf die Verletzungsgefahren hinweisen, die mit dem Spiel einhergehen. Man kann die Erklärungen in immer weitere Höhen treiben, verschiedene miteinander in Konkurrenz stehende Taktiken erläutern und auch darauf hinweisen, dass sehr schwere Verletzungen nicht grundsätzlich auszuschließen sind. Wahrscheinlich wird sich der Jugendliche nach kurzer Zeit abwenden. Man kann dem neugierigen Jungen aber auch zuwinken und zurufen: "Komm, mach mit!" Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er mitspielen und gleich mit Begeisterung hinter dem Ball herlaufen, wie man das bei jungen Spielern wunderschön beobachten kann.

Als Johannes der Täufer zwei seiner Jünger, die bei ihm standen, mit einer Geste auf den vorbeigehenden Jesus verwies, wurden sie neugierig und liefen ihm nach. Als Jesus das sah, fragte er sie: "Was sucht ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wohnst du? Er sagte zu ihnen: Kommt und seht! Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm" (Joh 1,38f).

Das Schöne zieht an

In Barrons Projekt "Word on Fire" spielt Ästhetik eine wichtige Rolle. Das Schöne zieht uns an. Deshalb empfiehlt Barron der Kirche als Erstes einen Wechsel von Kant zu Goethe. Hans Urs von Balthasars "Theologische Ästhetik" lässt grüßen. Die Logik des katholischen Glaubens, so Barron, kann man nicht verstehen, wenn man ihn aus der Außenperspektive beobachtet und in der Pose des distanzierten Beobachters verharrt. Damit greift er auf Grundeinsichten der Sprach- und Kulturwissenschaften zurück. Eine Sprache lerne ich, indem ich nach- und mitspreche, eine Kultur verstehe ich, indem ich an ihren Grundvollzügen teilnehme. Erst im Prozess dieser Teilnahme kann sich ein sinnvoller Weg eines Verstehens, eines durchaus auch kritischen Verstehens, eröffnen.

So funktioniert auch der Glaube. Man muss das Risiko eingehen, sich darauf einzulassen. Dann allerdings braucht man gute Mitspieler und vor allem einen guten Trainer. Ein solch exzellenter und erfolgreicher Trainer ist Barron. Aufgrund seiner umfassenden Bildung und seines hohen Problembewusstseins kennt er das Spiel. Er weiß, wie es funktioniert. Und er kann es erklären, und vor allem: Er ist und bleibt ein Mitspieler, ein Spielführer.

Christlicher Glaube heißt nach Barron: Aus dem Ego-Drama wird ein Theo-Drama.

Doch spätestens an dieser Stelle bedarf das Bild einer Korrektur. Denn der eigentliche Player ist Gott, sein Spielführer Jesus Christus. Der Ansatz von Barron ist nicht anthropozentrisch, sondern theozentrisch und christozentrisch, aber gerade so wird er dem gerecht, was der am Spielrand stehende Junge sucht. Denn dieser will ja nicht bei sich selbst stehen bleiben und über die Bedingung der Möglichkeit des Spielens räsonieren, sondern er will mitspielen, er will in einer Gemeinschaft mit dabei sein. Christlicher Glaube heißt nach Barron: Aus dem Ego-Drama wird ein Theo-Drama. Beim Spiel gilt es, Regeln zu beachten. Durch das Mitspielen verändern sich die Spieler. Sie nehmen zu an Kraft und Geschicklichkeit und auch an Wissen. Sollte ein Außenstehender auf die absurde Idee kommen, beweisen zu wollen, das Fußballspiel könne theoretisch gar nicht funktionieren, so hätten diejenigen, die das Spiel aus eigener Erfahrung kennen, für eine solche Ansicht nur ein müdes, freundliches Lächeln übrig. Und vielleicht würden sie dem Skeptiker zurufen: "Komm, spiel doch mit!"

Der christliche Glaube ist von seinem Wesen her ein einladender, ein missionarischer Glaube. Originalton Barron: "People will understand the truths of Christian revelation and find them beautiful only from within the church – that is, from the standpoint of worship and contemplation". Das heißt nun nicht, dass intellektuelle Selbstvergewisserungen über die Gründe des Glaubens bei Barron irrelevant wären. Das Gegenteil ist der Fall.

Wer Barrons Sonntagspredigten, seine täglichen Auslegungen des Evangeliums, seine Vorträge und seine Diskussionsrunden mit prominenten Philosophen, Künstlern und Politikern aller Couleur regelmäßig verfolgt, bekommt einen faszinierenden Einblick in die kulturprägende Kraft des katholischen Glaubens. Nach Barron, der die dunklen Seiten der Kirche nicht leugnet, muss man sich für den katholischen Glauben nicht schämen.

Robert Barron und Josef Pieper

Als Barron einmal gefragt wurde, was er einem an Philosophie interessierten Zeitgenossen an Lesestoff empfehlen könne, nannte er zehn Bücher, darunter drei von Josef Pieper: Faith – Hope – Love (deutsch: "Lieben, Hoffen, Glauben"), The Four Cardinal Virtues ("Das Viergespann. Klugheit – Gerechtigkeit – Tapferkeit – Maß) und The Silence of St. Thomas ("Über Thomas von Aquin" und "Unaustrinkbares Licht Das negative Element in der Weltansicht des Thomas von Aquin"). Das überrascht nicht, verbindet doch beide Denker nicht nur die Liebe zu Thomas von Aquin, sondern eine gemeinsame Denkform, die in der großen Tradition der abendländischen Philosophie verwurzelt ist. Mit den Worten Josef Piepers:

"Das Auge der vollkommeneren Gottesfreundschaft gewahrt tiefere Dimensionen der Wirklichkeit, für die der Blick des Durchschnittsmenschen und des Durchschnittschristen noch nicht geöffnet ist; der größeren Gottesliebe erschließt sich die Wahrheit der wirklichen Dinge deutlicher und einleuchtender; ihr tut sich vor allem die Glaubenswirklichkeit des dreieinigen Gottes bewegender und überwältigender kund. Auch die höchste übernatürliche Klugheit aber kann keinen anderen Sinn haben als diesen: die tiefer erfahrene Wahrheit der Wirklichkeit Gottes und der Welt Maß und Richte werden zu lassen für das eigene Wollen und Wirken. Niemals nämlich kann es für den Menschen ein anderes Richtmaß geben als das Seiende selbst und die Wahrheit, worin das Seiende offenbar wird; und kein höheres Richtmaß kann es für ihn geben als den schlechthin seienden Gott und seine Wahrheit. Von dem Menschen aber, der 'die Wahrheit tut', ist in der Heiligen Schrift (Joh 3, 21) gesagt, dass er 'zum Lichte kommt'" (Josef Pieper, Das Viergespann. Klugheit – Gerechtigkeit – Tapferkeit – Maß, München 1964, S. 63f).

Mit der Verleihung des Josef-Pieper-Preises an den US-amerikanischen Bischof Dr. Robert Barron hat die Josef-Pieper-Stiftung eine kluge und mutige Entscheidung getroffen, die uns die Hoffnung gibt, dass der Theologie und Kirche in Deutschland und Österreich "noch nicht aller Tage Abend" ist.

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