Das Nizäa-Jubiläumsjahr (325-2025) neigt sich dem Ende zu. Große Schlagzeilen sind ausgeblieben. Zumindest schien es im Januar 2025, als würde die Frage des gemeinsamen Osterdatums einen Durchbruch erzielen. Das auf November 2025 vertagte Treffen zwischen dem neuen Papst Leo XIV. und dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios dürfte hier – aus vielerlei Gründen – keine bahnbrechende Lösung in die Wege leiten. Doch das Konzil von Nizäa war und ist viel mehr als nur die Frage des Osterdatums. Dies haben einige kirchliche Erklärungen und unzählige Tagungen unter Beweis gestellt. Ein gutes Beispiel für eine umfassende Auseinandersetzung mit der bleibenden Relevanz des nizänischen Symbolums ist das Dokument der Internationalen Theologischen Kommission: Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser vom April 2025.
Dass im ökumenischen Kontext vor allem die Frage des Osterdatums betont wurde, hat auch damit zu tun, dass die Frage der Verbindlichkeit oder gar Normativität des konziliar-altkirchlichen Glaubensbekenntnisses heute von Teilen der westlichen Theologie ganz anders bewertet wird als etwa im Jahre 1981, als das 1.600-Jahr-Jubiläum des Konzils von Konstantinopel 381 begangen wurde. Diesen theologischen Paradigmenwechsel zwischen 1981 und 2025 gilt es zunächst festzuhalten: Die historische Würdigung des Ersten Ökumenischen Konzils wird nicht mehr als Anlass angesehen, dieses Symbolum (oder das Nizäno-Konstantinopolitanum) als ein gemeinsames, verbindliches Bekenntnis aller Christen heute einzufordern. Diejenigen, die das noch tun – wie etwa Kardinal Kurt Koch – sind realistisch genug, dies nur noch in Konjunktiv zu formulieren: "es wäre ein ökumenisch schönes Zeichen, wenn alle Christen und Kirchen dieses Bekenntnis heute gemeinsam sprechen würden."
Interreligiöse Theologien stellen ökumenische Konsense infrage
Es gibt mehrere Erklärungen für diese Zurückhaltung. Eine davon ist, dass die starke Pluralisierung der christologischen Ansätze inzwischen die Mitte des theologischen Diskurses erreicht hat: Das altkirchliche Dogma wird nicht mehr offenbarungstheologisch gedeutet, sondern ist und soll Geschichte bleiben. Zwar ein Meilenstein der Geschichte, aber auch nicht mehr. Eine andere mögliche Erklärung ist das durch den wachsenden multireligiösen Kontext stärker gewordene Interesse an der Weiterentwicklung des interreligiösen Dialogs. In diesem Dialog werden Trinitätslehre und Christologie nur allzu oft als die großen Dissenspunkte zu den anderen monotheistischen Religionen betrachtet.
So liegt es nahe, dass interreligiös affine Theologie alte Konsenseinsichten, die für den interkonfessionellen Dialog der 70er und 80er Jahren als unhinterfragbare Basis galten (wie das Festhalten an den ersten ökumenischen Konzilien), unterschwellig relativieren oder gar infrage stellen. Dies stellt wiederum eine starke Bewährungsprobe für die christliche Ökumene oder für die Kohäsion innerhalb der jeweiligen christlichen Glaubensgemeinschaften dar. Diese beiden Tendenzen sind an sich nicht negativ zu beurteilen (es geht schließlich in beiden Fällen nicht um das "Ob", sondern um das "Wie"), sie müssen jedoch als epochale Paradigmenwechsel ernst genommen werden.
Ein aktuelles Beispiel ist das Buch Jesus - Gottes Sohn? Ein interreligiöses Gespräch zum Konzil von Nizäa, das vom Tübinger römisch-katholischen Patrologen Thomas Jürgasch und vom Münsteraner islamischen Philosophen Ahmad Milad Karimi geführt und veröffentlicht wurde. Der durchaus spannende partnerschaftliche Dialog ist in zwei große Teile gegliedert: Der erste behandelt die Frage der Gottessohnschaft Jesu im neutestamentlichen Kontext und der zweite die theologischen und kirchenpolitischen Verquickungen rund um Nizäa 325. Zwischen dem kurz erwähnten Ignatius (von Antiochien) und Nizäa bleibt eine große theologiegeschichtliche Lücke, die im Gespräch kaum thematisiert wird. Damit wird der theologische Weg bis Nizäa im Dunkeln gelassen, was im Laufe des Gesprächs auch zu einigen unglücklichen Schlussfolgerungen führt.
Historische Entkernung vs. Identitätsstiftung
Obwohl Jürgasch sich von Anfang an zum Glauben an "Jesus Christus als Gottes Sohn" bekennt, sind seine Ausführungen erwartungsgemäß stark an seine Expertise als Kirchenhistoriker angelehnt. Er liefert eine historisch-kritische, interrogative Darstellung des Jesus-Bildes im Neuen Testament und eine ebenso kritische, forschungsgeleitete Behandlung der Debatten um Nizäa, das als theologische "Pattsituation" zwischen Arius und Alexander interpretiert wird, die schließlich von Konstantin politisch gelöst wird. Es bleiben kaum Gewissheiten übrig, was für eine rein wissenschaftliche Debatte völlig in Ordnung wäre. Der Kern des Bekenntnisses wird in seiner historischen Kontingenz dekonstruiert und somit zur Schale "entlarvt". Doch, der islamische Dialogpartner stellt immer wieder die Sinn- und die Normativitätsfrage in den Raum: Er stellt die Frage nach dem Kern, und zwar als Marker für eine Gemeinschaftsidentität ("ihr", "wir"). Somit wird die Entkernungsstrategie des Historikers als Identitätsbekundung angenommen, als ob Christen entkerntes Obst bevorzugen würden.
Die methodologische Ungleichgewicht zwischen einer historischen Dekonstruktion des Christus-Bildes und einer eher beschreibenden Hermeneutik über die Anfänge des Islams ist störend. Vielleicht liegt es an der Begegnung zwischen einem pedantischen Historiker und einem rhetorisch brillanten Philosophen.
Karimi bleibt hauptsächlich in der Rolle des Herausforderers und tut dies im Namen der Logik und der heutigen Plausibilität. Die Versuche Jürgaschs, die von ihm selbst angewandte historisch-kritische Hermeneutik auch auf die Anfänge des Islams zu übertragen, bleiben hingegen zaghaft, und Karimi begnügt sich damit, allgemeine Tendenzen im frühen Islam deskriptiv zu deuten. Auch wenn "Widerspruchsmotive in der islamischen Theologie" angesprochen werden, bleibt der hermeneutische Zirkel beschreibend. Dieses methodologische Ungleichgewicht zwischen einer historischen Dekonstruktion des Christus-Bildes (, die mit der Relativierung einer kohärenten Trinitätslehre und Christologie einhergeht) und einer eher beschreibenden Hermeneutik über die Anfänge des Islams ist störend. Vielleicht liegt es an der Begegnung zwischen einem pedantischen Historiker und einem rhetorisch brillanten Philosophen.
Christliche Selbstdemontage
Dass dies durch die jeweilige Expertise der beiden Gesprächspartner mitbedingt ist, erklärt jedoch nicht die daraus entstandene Diskrepanz: Während Jürgasch den Tod Jesu (Auferstehung bleibt marginal) zur "ersten großen theologischen Katastrophe der jungen Jesus-Bewegung" hochstilisiert und die nizänische Theologie als "nicht wirklich logisch nachzuvollziehen" relativiert, bleibt Karimi im Hafen einer dialogischen, aber bewahrenden Selbstdarstellung: "Prophet Muhammad stand in einem fortwährenden Dialog mit der göttlichen Botschaft", sagt er, um zu betonen, dass dieser keine absolute Autorität beanspruchte. Karimi assistiert souverän die historisch-kritische Selbstdemontage seines Dialogpartners und klagt dabei einen strengen Monotheismus ein.
Ein Höhepunkt dieser unterschiedlichen Herangehensweise ist die wiederholte – mehr oder weniger scherzhaft formulierte – Aussage Karimis: "Hättet Ihr Euch nur an Arius gehalten!" oder "Ich sage doch: Wäret Ihr doch nur bei Arius geblieben!" Dass ein islamischer Theologe mit der arianischen Position sympathisiert, ist nicht überraschend. Dass solche zugespitzten Aussagen im lebendigen Gespräch nicht überzubewerten sind, liegt ebenfalls nahe. Dennoch entspricht es einer klaren Offside-Situation, wenn die religiöse Identität des Anderen in das hypothetische Licht einer vermeintlich besseren doktrinären Selbstverortung gestellt wird, die traditionell von allen christlichen Konfessionen als "Irrlehre" bezeichnet wird.
Frage nach Gottessohnschaft Jesu bleibt unbeantwortet
So bleibt am Ende des in vielen Momenten hermeneutisch durchaus gelungenen Dialogs die Anfangsfrage unbeantwortet: Was ist die Gottessohnschaft Jesu Christi – aus christlicher Sicht – und wie kann man "glaubwürdig" von einem Sohn Gottes sprechen? Diese Frage darf nicht nur historisierend beantwortet werden. Die christliche Theologie kennt bekanntlich auch andere Zugänge.
Ob die Christen Ostern irgendwann zum selben Datum feiern werden, ist letztlich sekundär. Die viel wichtigere Frage ist, was und wen sie überhaupt zu feiern haben, wenn der (geglaubte) Auferstandene nicht (mehr) als der menschgewordene Sohn Gottes und als der Erlöser erkannt wird?
Das interreligiöse Gespräch zwischen Jürgasch und Karimi zeigt jedenfalls, dass der Subordinationismus uns auch in Zukunft noch lange beschäftigen wird. Es zeigt aber auch, dass wir verstärkt über die Methodologie des interreligiösen Dialogs reflektieren sollten, wohlwissend, dass der interreligiöse Dialog ein unerlässlicher Lernort mit großem sozialem und spirituellem Potenzial ist, aber andere Zielsetzungen hat als der interkonfessionelle Dialog. Ob die Christen Ostern irgendwann zum selben Datum feiern werden, ist letztlich sekundär und gehört zu einer alten christlichen Diversitätskultur. Die viel wichtigere Frage ist, was und wen sie überhaupt zu feiern haben, wenn der (geglaubte) Auferstandene nicht (mehr) als der menschgewordene Sohn Gottes und als der Erlöser erkannt wird?
Somit wird sowohl für den innerchristlichen Reflexionsprozess, als auch für jegliche Plausibilisierung ad extra notwendig sein, den Weg der christlichen Theologie bis Nizäa neu zu gehen, neu durchzubuchstabieren, neu zu prüfen. Aber nicht nur von der Position des kontingenz-sensiblen Historikers, sondern auch aus der Perspektive des bekennenden Christen, der an dieses Kerygma glaubt, darin wächst und es von innen her zu deuten vermag.