"Vor Diskriminierung schützen – für Akzeptanz einstehen! Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat heute das Dokument 'Geschaffen, erlöst und geliebt. Sichtbarkeit und Anerkennung der Vielfalt sexueller Identitäten in der Schule' veröffentlicht." So formulierte es am 30.10.2025 die Bonner Pressestelle des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz.
Die Katholische Nachrichten-Agentur schrieb am selben Tag: "Die katholischen Bischöfe in Deutschland haben dazu aufgerufen, die Vielfalt sexueller Orientierungen auch in Schulen anzuerkennen. Ein offener und wertschätzender Umgang sei wichtig, heißt es in einem am Donnerstag in Bonn veröffentlichten Papier der Deutschen Bischofskonferenz".
Doch das, was diese Formulierungen nahelegen, ist nicht der Fall. Das fragliche Schreiben war im Sommer unter den deutschen Diözesanbischöfen umstritten. COMMUNIO-Recherchen zeigen: Das Schreiben wurde nun – mit wenigen Änderungen – ohne neuerliche Abstimmung unter den Bischöfen veröffentlicht. Verantwortlich für den endgültigen Wortlaut zeichnete Heinrich Timmerevers, der Bischof von Dresden und Meißen.
Wie an dieser Stelle zu lesen war, hatte der Ständige Rat der DBK im Juni beschlossen, das unter den Bischöfen umstrittene Papier nicht als gemeinsames "Wort der deutschen Bischöfe" zu veröffentlichen, sondern es an die zuständige Kommission VII "Erziehung und Schule" zurückzuverweisen.
Diese sollte Änderungsvorschläge, sogenannte "Modi", einarbeiten und das Dokument dann später gegebenenfalls als Kommissionspapier veröffentlichen.
Die Mitglieder der Kommission VII sind neben dem Vorsitzenden Heinrich Timmerevers Thomas Maria Renz, Weihbischof in Rottenburg-Stuttgart (stellvertretender Vorsitzender), Karl Borsch, Weihbischof in Aachen, Wilfried Theising, Weihbischof in Münster, sowie Florian Wörner, Weihbischof in Augsburg. Der Text war zuvor im Auftrag der Schul-Kommission von einer Redaktionsgruppe rund um Marianne Heimbach-Steins, Professorin für Christliche Sozialwissenschaften und sozialethische Genderforschung in Münster, und den Queer-Beauftragten der DBK, dem Essener Weihbischof Ludger Schepers, erarbeitet worden.
Keine Abstimmung über "Modi"
Dass die Einwände gegen das Papier offenbar nicht zur Zufriedenheit der Kritiker berücksichtigt wurden, geht aus einem Beitrag hervor, den der Passauer Bischof Stefan Oster am 10.11.2025 auf seinem Blog veröffentlichte und in dem er seine Unzufriedenheit mit dem Papier begründete. In dem Blog-Eintrag heißt es:
"Nach einer ersten Lektüre des Textentwurfs hatte ich versucht, als einen ergänzenden Modus die Position zum Thema 'christliche Identität' einzubringen (…). Die Antwort war im Wesentlichen ablehnend. Ich habe dann noch einmal mit Nachdruck eingebracht, dass wir doch nicht einfach das preisgeben dürften, was uns in solch wesentlichen Fragen das Wichtigste sei. Das Ergebnis dieses Nachfassens war, dass nun im Geleitwort zum Text (und nicht im Text selbst) ein paar Zeilen über die 'Freundschaft mit Christus' stehen, die dort aber wiederum anders ausgelegt werden, als ich sie versucht hatte im Blick auf die Grundproblematik darzustellen."
Wie verschiedene Quellen aus dem Umfeld der Bischofskonferenz gegenüber COMMUNIO bestätigen, sei in der Kommission nicht noch einmal über die eingereichten Modi abgestimmt worden. Die Entscheidung, inwiefern die Änderungsvorschläge berücksichtigt würden, habe den Informationen zufolge allein der Kommissionsvorsitzende, Bischofs Timmerevers, getroffen.
Auch ist zu hören, dass die Bitte eines Bischofs, der überarbeitete Text der Kommission möge dem Ständigen Rat noch einmal vorgelegt werden, von der Generalsekretärin der DBK, Beate Gilles, sowie vom Vorsitzenden der Schulkommission, Bischof Heinrich Timmerevers, abgelehnt wurde – mit der Begründung, so sei es im Juni nicht beschlossen worden.
Was geändert wurde
Vergleicht man den veröffentlichten Text mit dem Entwurf vom Sommer, fällt zunächst eine Änderung des Titels auf: Aus "Geschaffen, geformt und geliebt" wurde "Geschaffen, erlöst und geliebt". Wollte man damit den Einwänden von Bischof Stefan Oster entgegenkommen, die sich vor allem auf die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen beziehen?
In seiner Stellungnahme betont Oster, dass der Mensch der "Erlösung durch Christus" bedürfte, weil nicht "schon kraft Schöpfung in jeder Art seines Soseins schon in Ordnung" sei. Vielmehr sei "ausnahmslos jeder Mensch (…) – nicht nur aber auch – ein gebrochenes, desintegriertes Wesen." Für Oster gibt es ein spezifisch christliches Verständnis von "Identität", im Sinne eines "neuem", "erlösten Menschseins" in Christus, das er in dem Papier vermisst.
Tatsächlich wurde der Erlösungsbegriff auch in die Einleitung des Textes eingearbeitet, allerdings nicht in dem von Oster intendierten Sinne. Dort heißt es nun, die "unbedingte Anerkennung des gemeinsamen Menschseins im Primat der Liebe" ergebe sich aus der "Gottebenbildlichkeit des Menschseins". Gott erweise dem nach seinem Bild geschaffenen Menschen seine Liebe "in der Inkarnation des Logos und seinem Erlösungswerk". Das "Geliebtsein in Schöpfung und Erlösung" gelte "dem Menschen in seiner gesamten Vielfalt". Davon könne auch die "Diversität der sexuellen Identitäten nicht ausgenommen werden".
Weitere kleinere Änderungen betreffen die Verwendung von Doppelpunkten als Gendering-Zeichen: Statt "Schüler:innen" und "Lehrer:innen" ist nun von "Schülerinnen und Schülern" sowie "Lehrerinnen und Lehrern" die Rede. Auch wurde ein Absatz zur geschlechtergerechten Sprache ergänzt. Dazu heißt es nun: "Wie sich geschlechtergerechte Sprache konkret ausbildet, ist Gegenstand intensiver, teils leidenschaftlich geführter Debatten und weiterhin im Fluss." Über die Verwendung einer Sprache, "die der Vielfalt sexueller Identitäten gerecht wird" durch die Lehrkräfte heißt es neu, diese solle "im Rahmen der staatlichen Vorgaben" erfolgen.
Nuanciert wurde in einem angehängten Glossar der Begriff der "Heteronormativität". Die ältere Fassung beschreibt Heteronormativität als "Orientierungsmuster", das die "Verbindung von heterosexueller Orientierung und Cis-figurierter Geschlechtsidentität" als alleinige Norm für eine gelungene und legitime sexuelle Identität ansieht. Damit verbunden sei "in der Regel die Abwertung und mitunter sogar pönalisierenden Ausgrenzung". In der endgültigen Fassung wird Heteronormativität hingegen als "Begriff" dargestellt, der "im Diskurs" die traditionelle gesellschaftliche Prägung kritisiert, da "mit dieser mitunter die Abwertung und Ausgrenzung von Menschen mit anderer sexueller Identität einhergehen kann".
Der Kritik von Oster haben sich inzwischen auch der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki, sowie der Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer angeschlossen.
Der bereits im Vorfeld vom Ethiker Franz-Josef Bormann kritisierte alleinige Fokus des Papiers auf einen "achtsam-anerkennenden Umgang", der im Falle der Trans-Identität bei Jugendlichen fragwürdig sei, wurde im veröffentlichten Dokument hingegen beibehalten.
Der Kritik von Oster haben sich inzwischen auch der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki, sowie der Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer angeschlossen. Voderholzer sagte gegenüber "Welt", obwohl die Kritiker im Ständigen Rat der Bischofskonferenz gefordert hätten, den Text zu modifizieren, sei er fast unverändert "in unserem Namen" veröffentlicht worden.