Wie ein Löwe sah er nicht gerade aus, als er die Loggia des Petersdoms betrat. Leo XIV. – er hatte sichtlich mit seiner Stimme zu kämpfen und war emotional bewegt. Was für eine Überraschung! Die medialen Spekulationen über die Papabile-Kardinäle, die windigen Hypothesen der Vatikanologen sind durchkreuzt worden. Auch stieg der weiße Rauch schneller auf als gedacht. Ein Vertrauensvorschuss an den ersten gebürtigen Amerikaner auf der Cathedra Petri. Der Name des neuen Papstes ist Programm. Er heißt weder Franziskus II., noch greift er auf die Namen der übrigen Nachkonzilspäpste – Johannes, Paul oder Benedikt – zurück, auch hat sich nicht Pius XIII. genannt. Leo – da weht etwas vom langen Atem der lebendigen Überlieferung der Kirche.
Der Name erinnert spontan an Leo XIII., den Arbeiterpapst, der mit der Enzyklika "Rerum Novarum" (1891) im Zeitalter der Industrialisierung die prekäre Lage der Arbeiterschaft aufgegriffen und die katholische Soziallehre begründet hat. Zwischen Liberalismus und Kommunismus hat er einen mittleren Weg beschritten und dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft vorgearbeitet. Auch wollte er die katholische Kirche nach der antimodernen Ära von Papst Pius IX. aus der selbstgewählten Abschottung herausführen und wieder in konstruktiven Dialog mit den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der Zeit treten. Er war der erste Papst, der 1895 eine Enzyklika an die Bischöfe der USA geschrieben hat. Schließlich hat er das Denken des Thomas von Aquin maßgeblich gefördert, das in der US-amerikanischen Kirche und Theologie heute wieder hohes Ansehen genießt. Prevost, der Mathematik, Philosophie, aber auch Kirchenrecht studiert hat, könnte die von Franziskus angestoßenen Prozesse in geordnete Bahnen führen und so konsolidieren.
Christen glauben demnach nicht an vage Transzendenzvorstellungen, sondern an einen Gott, der aus der Unbegreiflichkeit heraustritt und in Jesus Christus sein Angesicht zeigt und sich verletzbar macht. Der ewige Gott selbst überbrückt den Abgrund zum Menschen, indem er Mensch wird, leidet und stirbt. Christus als Pontifex aus compassio mit den Menschen!
Zugleich schließt der Name an Papst Leo I., den Großen, an. Dieser griff den Titel "Pontifex" auf, den zuvor römische Kaiser getragen hatten. Er bezog ihn aber nicht nur auf den Bischof von Rom, sondern auch auf Jesus Christus, den Brückenbauer zwischen Gott und den Menschen. Theologisch war Leo hochgebildet, er hat die christologischen Streitigkeiten vor dem Konzil von Chalkedon 451 versöhnt. Die einen betonten die Gottheit auf Kosten der Menschheit, die anderen wollten die Menschheit unverkürzt wahren, konnten sie aber nicht mit der Gottheit zusammenbringen. Leo brachte in seinem "Tomus ad Flavianum" 449 die begriffliche Synthese, ohne sich am Mysterium des menschgewordenen Gottes zu vergreifen. Von ihm stammen Sätze, die das Geheimnis der Inkarnation in paradoxen Wendungen umkreisen: "Der Unbegreifliche wollte sich begreiflich machen – incomprehensibilis voluit comprehendi." Oder: "Der leidensunfähige Gott war sich nicht zu schade, leidensfähiger Mensch zu sein – impassibilis Deus non dedignatus est homo esse passibilis." Christen glauben demnach nicht an vage Transzendenzvorstellungen, sondern an einen Gott, der aus der Unbegreiflichkeit heraustritt und in Jesus Christus sein Angesicht zeigt und sich verletzbar macht. Der ewige Gott selbst überbrückt den Abgrund zum Menschen, indem er Mensch wird, leidet und stirbt. Christus als Pontifex aus compassio mit den Menschen!
Der Löwe muss nicht brüllen
Der neue Papst, der polyglott und gesprächserfahren ist, knüpft daran an. Er will Dialogbrücken bauen – und rückt die spirituelle Quelle des Dialogs in die Mitte der globalen Aufmerksamkeit. Zu Beginn seiner ersten Ansprache verbindet er den Friedensgruß mit dem Namen Christi: "Friede sei mit euch allen! Dies ist der erste Gruß des auferstandenen Christus, des guten Hirten, der sein Leben für die Herde Gottes gegeben hat." Von Christus her, indem das Mysterium Gottes eine Brücke zu den Menschen geschlagen hat, kann Kirche missionarisch und synodal sein. "Wir wollen allen nah sein, die leiden." Der Einsatz in einer krisengeschüttelten und von Spannungen durchzogenen Welt sowie einer polarisierten Kirche muss sich aus dem lebendigen Kontakt mit dieser Quelle speisen. Der Löwe muss nicht brüllen, Leo XIV. kann "unbewaffnet und entwaffnend" den Dialog mit allen aufnehmen, wenn er am Pontifex Christus Maß nimmt: In der Kirche selbst, in der Ökumene, im Gespräch mit dem Judentum und den anderen Religionen, aber auch in einer Welt, die von politischen Disruptionen bedroht wird.
PS: Inzwischen ist publik geworden, dass Leo XIV. ausdrücklich einen Bezug zu Rerum Novarum (1891), der Sozialenzyklika von Leo XIII., hergestellt hat. Im Gespräch mit Kardinal Chomalí bemerkte er, wir stünden heute vor einer „kopernikanischen Revolution“ durch die Veränderungen in künstlicher Intelligenz, Robotics und deren Auswirkungen auf die menschlichen Beziehungen. Bei der Namenswahl habe er sich daher inspirieren lassen durch Leo XIII., der auf die Umbrüche der Industrialisierung klug reagiert und den Dialog zwischen Kirche und moderner Welt aufgenommen habe.