Die katholische Kirche ist gegenwärtig von vielfältigen Spannungen durchzogen. Die Konflikte verlaufen quer durch Gemeinden, Diözesen, Bischofskonferenzen und theologische Fakultäten. Was die einen als notwendigen Reformschub betrachten, um endlich Anschluss an die Lebenswelten der modernen Gesellschaft zu finden, sehen andere als bedenkliche Anpassung oder gar gefährlichen Traditionsbruch. Begriffe wie "progressiv" und "konservativ" bezeichnen dabei weniger klare theologische Positionen, sondern sind eher strategische Zuschreibungen. Das erzeugt Zentrifugalkräfte, die die communio ecclesiae zu zerreißen drohen.
Die Vielen werden eins in Christus und sind damit zugleich in der Liebe des dreifaltigen Gottes geeint.
In dieser Lage setzt der Wahlspruch Papst Leo XIV. In illo uno unum – "In dem Einen sind wir eins" – ein bemerkenswertes geistliches Signal. Der Satz stammt aus einer Predigt des heiligen Augustinus und steht dort in einem christologisch-trinitarischen Zusammenhang: Die Vielen werden eins in Christus und sind damit zugleich in der Liebe des dreifaltigen Gottes geeint. Augustinus mahnt an, dass wir über uns selbst hinausgehen müssen, wenn wir uns finden wollen. Der augustinische Wahlspruch verweist auf das, was der Kirche inmitten aller Gegensätze neu zugewiesen wird: Christus selbst als Mitte und Maß aller Einheit.
Diese Perspektive steht, wie der Philosophiehistoriker Olivier Boulnois bei der Feier des 50-Jahr-Jubiläums der französischen Edition von COMMUNIO in Paris soeben bemerkte, in einer gewissen Kontinuität mit der Communio-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dort wird die Kirche nicht primär als juridische Institution oder moralische Instanz verstanden, sondern als vom Heiligen Geist geeinte Communio – als lebendige Gemeinschaft der Glaubenden, die an der Lebenswirklichkeit Jesu Christi teilhaben. Einheit ist demnach keine monolithische Form, sondern eine geistlich gestiftete Form von Zusammengehörigkeit, die Verschiedenheit nicht aufhebt, sondern in sich birgt.
Doch genau an diesem Punkt werden heute die Probleme virulent. Communio ist kein idyllischer Konsensraum, der Meinungsverschiedenheiten abwickelt. Die gegenwärtige Fragmentierung und Polarisierung zeigt, dass auch in der Kirche die Konfliktlagen moderner Gesellschaften ihren Widerhall finden. Theologische Lagerbildungen, mediale Zuspitzungen und strukturelle Blockaden erschweren das Miteinander – auch in einer synodalen Kirche. Hans Urs von Balthasar, einer der Gründer der Zeitschrift Communio, hat in diesem Zusammenhang ein theologisches Deutungsangebot gemacht, das aus der Welt der Musik stammt: Die Wahrheit ist symphonisch. Für den Zusammenklang eines Orchesters sind verschiedene Voraussetzungen wichtig. Alle Instrumente sind auf den gleichen Ton gestimmt, alle müssen aufeinander hören und auf die Signale des Dirigenten achten, damit Dynamik und Agogik zusammenstimmen. Symphonische Wahrheit wird theologisch nicht in einer Einbahnstraßenkommunikation gesichert, in der die Verwalter der Wahrheit den einfachen Gläubigen autoritative Weisungen und Dekrete übermitteln. Sie entfaltet sich in einer synodalen Kirche vielmehr in einem polyphonen Prozess – oft unter Einschluss von Dissonanzen.
Einheit als Geschenk
Im Licht dieser Einsicht erscheint der Wahlspruch Leos XIV. nicht als fromme Formel, sondern als eschatologisch grundierte Orientierung. Die Einheit in Christus ist keine durch Optimierungsanstrengungen zu erringende Leistung, sondern eine geschenkte Wirklichkeit – schon gegenwärtig im Glauben, in den Sakramenten, in der Gemeinschaft der Heiligen, im praktischen Einsatz für Andere, aber noch nicht vollendet. Diese Spannung in der Communio auszuhalten, ist die geistliche Herausforderung der Stunde. Wer die Gegensätze vorschnell glätten oder autoritativ entschärfen will, läuft Gefahr, das Tragende zu verlieren. Wer sie aber zementiert, verrät die Hoffnung auf die versöhnte Vielfalt der Kirche.
Die Communio-Theologie kann helfen, Parteiungen zu vermeiden und auf die einende Mitte hin zu beziehen, in der die Gegensätze überbietend aufgehoben werden: Christus, der Eine. In ihm wird die Kirche eins – nicht durch Machtausgleich, sondern durch Teilhabe. Der Weg zur Einheit führt daher nicht über Sieg oder Rückzug, sondern über geistliche Umkehr. In illo uno unum – das ist kein Zustand, sondern ein Auftrag. Und eine Verheißung.