Die Verleihung des Josef-Pieper-Preises an den US-Bischof Barron hat in Münster über Wochen für Diskussionen in kirchlichen Kreisen gesorgt. Am Wochenende wurde die Ehrung übergeben – und der Protest eskalierte. Zu einer "Mahnwache" vor der Überwasserkirche, in der ein Gottesdienst mit Barron stattfand, hatten mehrere katholische Verbände sowie der örtliche Kreisverband der Grünen aufgerufen – und etwa 30 Teilnehmer mobilisiert. Das passierte vor einer unschönen Kulisse: In der Nacht hatte jemand die Kirche mit Parolen wie "FUCK USA" und "FUCK TRUMP" beschriftet und unter anderem die gotischen Skulpturen am Kirchenportal mit roter Farbe beschmiert.
Wer gegen die Preisverleihung Einspruch erhebt, ist darum nicht automatisch mitverantwortlich für Hass und Vandalismus.
Ist jede Kritik an Barron dadurch diskreditiert? Nein: Wer gegen die Preisverleihung Einspruch erhebt, ist darum nicht automatisch mitverantwortlich für Hass und Vandalismus. Was im Fall Brosius-Gersdorf galt, ist auch hier wahr: Nicht alle, die Kritik anmelden, sind darum auch Teil einer Schmutzkampagne. Es kommt auf die Argumente an.
Zu den vehementesten Kritikern gehörten Professoren der Universität Münster. Die Katholisch-Theologische Fakultät hatte im Vorfeld eine gemeinsame Stellungnahme und eine Reihe von Einzelstatements veröffentlicht. Die Professoren schneiden eine Fülle von Themen an und artikulieren zahlreiche kritische Anfragen an den Preisträger.
In der Stellungnahme, die Dekan Oliver Dyma im Namen des Kollegiums der Fakultät abgegeben hat, heißt es, Barron stehe für eine "Deutung des Katholizismus", die "'das Katholische' für eine ausgrenzende Identitätspolitik in Anspruch" nehme und reihe sich "in eine weltweit erstarkende Strömung ein, die Religion und Theologie benutzt, um die Welt in Freund und Feind einzuteilen". Die Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins schreibt, Barron scheue "nicht davor zurück, sich als offizieller Vertreter der Katholischen Kirche zur öffentlichen Unterstützung der Trump'schen Autokratie anzubieten". Die Ökumenikerin Regina Elsner meint, Barron sei "einer der wortgewaltigsten Vertreter der konservativen Bewegung, die (…) weltweit Populismus und menschenrechtsgefährdende Politiken stärken". Und die Moraltheologin Monika Bobbert sagt, Barron versäume es, "öffentlich dafür einzutreten, dass die christliche Botschaft die Anerkennung jedes Menschen als Ebenbild Gottes beinhaltet".
Je apodiktischer ein Urteil ausfällt, desto stichhaltiger und akribischer muss die Beweisführung sein. Hinter diesem Anspruch bleiben die Stellungnahmen der Münsteraner Theologen weit zurück.
Das sind gravierende, sehr weitreichende Vorwürfe, die im Einzelnen zu prüfen wären. Eine Gleichgültigkeit gegenüber der Gottesebenbildlichkeit des Menschen oder ein Eintreten gegen die Menschenrechte – das wären ja tatsächlich skandalöse Positionen, die entschieden zurückgewiesen werden müssten. Oder geht es hier nur darum, dass Vertreter einer politischen Theologie von links ihre Irritation über einen Kirchenmann artikulieren, der (auch) politische Relevanz hat, aber offenbar nicht "links" ist?
Je apodiktischer jedenfalls ein Urteil ausfällt, desto stichhaltiger und akribischer muss die Beweisführung sein. Hinter diesem Anspruch bleiben die Stellungnahmen der Münsteraner Theologen weit zurück. Oder sollen etwa die Verantwortlichen für die Preisvergabe umgekehrt verpflichtet sein, den Beweis für die "Unschuld" des Angeklagten anzutreten? Zu sichten wären jedenfalls über 30 Bücher, hunderte Artikel und Vorträge und über 1000 Online-Videos des Geehrten.
Einfacher zu parieren sind Argumente des "Kontaktschuld"-Typs: Barron spricht mit Ben Shapiro, Barron spricht mit Jordan Peterson, moniert etwa Monika Bobbert. Seit 25 Jahren ist der Dialog mit der Gegenwartskultur bei Barron Programm. Und zur Gegenwartskultur der USA gehören extrem einflussreiche rechte Medienpersönlichkeiten wie Shapiro und Peterson. Aus der Tatsache, dass Barron mit ihnen spricht, kann nicht geschlussfolgert werden, dass er alle ihre Standpunkte teilt. Eine kurze Recherche zeigt, dass Barron in letzter Zeit auch mit Tom Suozzi und Ro Khanna, Abgeordnete der Demokratischen Partei im US-Kongress, gesprochen hat, unter anderem über Abtreibung. Daraus zu schließen, dass Barron neuerdings Pro-Choice-Standpunkte vertritt, wäre genauso unsinnig.
Die identitäre Versuchung
Bemerkenswert und sehr ernst zu nehmen ist eine beiläufige selbstkritische Warnung des Pastoraltheologen Christian Bauer. Bei der Bündelung "theologischer Gegenkräfte" gegen den "Rechtskatholizismus" dürfe man nicht "in reaktiver Selbstfundamentalisierung derselben identitären Versuchung erliegen", schreibt Bauer in seinem Statement.
Kann man jemandem eigentlich vorwerfen, "die Welt in Freund und Feind einzuteilen" und ihn gleichzeitig in der Form als Feind markieren, wie das in Münster geschehen ist?
Diese Gefahr besteht in der Tat, wie der Vandalismus an der Überwasserkirche beweist. Aber von solchen Entgleisungen einmal abgesehen: Kann man jemandem eigentlich vorwerfen, "die Welt in Freund und Feind einzuteilen" und ihn gleichzeitig in der Form als Feind markieren, wie das in Münster geschehen ist?
Am Vorabend der Preisverleihung sprach in Münster die in den USA lehrende Theologin Hille Haker über "Rechtskatholizismus, Kulturkampf und christlichen Nationalismus". Hätte es nicht gerade den akademischen Kritikern gut zu Gesicht gestanden, eine Diskussion in Gang zu bringen, anstatt nur "Gegenveranstaltungen" zu organisieren? Hätten die Münsteraner Theologen nicht wenigstens versuchen müssen, Barron für eine Debatte zu gewinnen?
Der Ausschluss von Pressevertretern gab kein gutes Bild ab.
Bei einer Podiumsdiskussion mit Barron hat COMMUNIO-Mitherausgeber Ludger Schwienhorst-Schönberger einige Einwände der Kritiker eingespielt. Vielleicht hätte die Josef-Pieper-Stiftung noch mehr tun können, um der Diskussion im Rahmen der Preisverleihung Raum zu geben. Nicht gut beraten waren die Veranstalter indes mit ihrer Entscheidung, Journalisten des Westdeutschen Rundfunks, der Deutschen Presseagentur und der Bistumszeitung "Kirche+Leben" nicht zuzulassen. Das mag der Überforderung angesichts der unerwarteten Aufmerksamkeit und des öffentlichen Drucks geschuldet gewesen sein, aber der Ausschluss von Pressevertretern gab kein gutes Bild ab.
Die "Fronten zwischen den Unterstützern und Gegnern Barrons" scheinen "verhärtet" zu sein, notierte am Tag der Preisverleihung die "Katholische Nachrichten-Agentur" und fügte hinzu: "Wie ein konstruktiver Dialog über Religion gelingen kann, scheint ungeklärt zu sein."
Christian Bauer wirft Barron vor, für eine "Tribalisierung am rechten Kirchenrand" verantwortlich zu sein. Doch man löst das Problem identitätspolitischer Abgrenzung nicht dadurch, dass man sie anderen vorwirft – und sie dabei selbst befeuert.