Seit jeher haben mich die weißen Flecken auf den Landkarten des Geistes gelockt. Von ihnen geht ein besonderer Reiz aus. Wer diese Regionen betritt, bewegt sich auf nicht erschlossenem Gelände wie Fridtjof Nansen (1861-1930), als er mit der "Fram" den Nordpol zu erreichen suchte. Meine Fahrt in "Nacht und Eis" waren die Biografien über Anneliese Michel, Walter Nigg, Edzard Schaper und Erwin Iserloh. Aber an Hans Düllmann bin ich gescheitert. Im Internet soll sich eigentlich alles finden, was man wissen oder nicht wissen will. Doch der Name des Paters Hans Düllmann taucht nirgendwo auf. Es gibt keine Bibliografien, keinen geordneten oder ungeordneten Nachlass, keine Zeitzeugen, nicht einmal ein Geburts- oder Todesdatum. Düllmann ist der geheimnisvolle Engelforscher. Er führte ein verborgenes Leben wie Dionysios Areopagita, der Vater der Engelforschung, wie die Karthäuser und viele Heilige, deren Namen niemand kennt.
Hans Düllmann gehört zu den großen Unbekannten der Engelforschung. Wir wüssten nichts über ihn, gäbe es nicht einen Aufsatz unter seinem Namen und die Ortsbezeichnung Zaitzkofen. Hier im Schloss ist heute das Priesterseminar Herz Jesu der Piusbruderschaft beheimatet. Davor lebte in Zaitzkofen der Missionsorden der Mariannhiller Patres und vor ihnen die Afrikamissionare der Weißen Väter. Der Orden suchte den Dialog mit den Muslimen. Vier Brüder wurden 1994 in Tizi Ouzou/Algerien ermordet. Ihr Schicksal teilten sieben Trappisten vom Kloster Notre-Dame l'Atlas im Jahr 1996. War Hans Düllmann ein ehemaliger Afrikamissionar? Pater Hans Vöcking konnte mir mitteilen: "Der Name P. Düllmann ist weder in der Mitgliederliste der Afrikamissionare-Weiße Väter noch im Nachlass unserer Schule von Zaitzkofen zu finden." So bleibt Pater Düllmann der Engelforscher, den niemand kennt – ausgenommen natürlich sein eigener Schutzengel. Ihn könnte die Forschung um Auskunft bitten. Aber Schutzengel sind sehr diskret. So bleibt das Buch seines Lebens vorerst geschlossen.
Die Engelforschung erfindet sich immer wieder neu, besonders nach Katastrophen und Krisen. Ihr Weg ist die Wiederentdeckung der ewig gleichen Wahrheit von der Einheit der Schöpfung. Hans Düllmann bringt das Erbe in seiner Sprache und für seine Zeit zum Klingen.
Obwohl kein Mitglied des Predigerordens der Dominikaner, erschien in der Zeitschrift "Divus Thomas" Düllmanns großer Aufsatz über "Engel und Menschen bei der Meßfeier" (Divus Thomas 27/1949). Die Engelforschung erfindet sich immer wieder neu, besonders nach Katastrophen und Krisen. Ihr Weg ist die Wiederentdeckung der ewig gleichen Wahrheit von der Einheit der Schöpfung. Hans Düllmann bringt das Erbe in seiner Sprache und für seine Zeit zum Klingen. Er weiß, dass sich nur wenige Christen in der beginnenden zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts des Wirkens der guten und bösen Mächte bewusst sind. Vielleicht sei dieser Verlust an Wahrnehmung die Folge einer Verniedlichung der Engelgestalt im Volksglauben. Aber für Düllmann gilt: "Engel sind mehr als Schutzelfen der Kinder!"
Wissenschaftlicher Außenseiter
Sein Lieblingswort ist "innig". Es kennzeichnet Hans Düllmann als wissenschaftlichen Außenseiter, der sich in dieser Rolle wohl fühlt. Der Heilige Thomas von Aquin dagegen setzte nicht auf Innigkeit, sondern argumentierte streng logisch. Dennoch gaben die Dominikaner in Fribourg als Herausgeber der Zeitschrift dem Engelforscher der Innigkeit eine Stimme, indem sie seinen Aufsatz veröffentlichten. Seine Wirkung allerdings verpuffte. Das war zu erwarten. Auch das schöne Buch von Jean Daniélou SJ (1905-1974) "Die Sendung der Engel" (1951) ist ein Geheimtipp geblieben. Der Kardinal war Mitglied der Académie française. In Erinnerung geblieben ist der französische Engelforscher und Seelsorger der Prostituierten durch seinen Tod im Bordell. Ein Herzinfarkt streckte ihn nieder. Engel sind die Streetworker Gottes. Deshalb haben sie keine Berührungsängste mit fremden Milieus. Engelforscher folgen ihrem Vorbild. Sie sind da, wo andere nicht hingehen. Betreute Forschung in den Archiven und Exzellenzcluster sind ihre Sache nicht. So ist die Angelologie eine Geschichte der Einzelnen, die allein ihrer Bestimmung folgten.
Die Bewältigung von Krisen gehört zu den Aufgaben der Engel. Sie gilt für die persönlichen Katastrophen wie für den Zusammenbruch politischer Ordnungen. Die Engel richten den Blick immer auf das Ganze. Dieser Perspektive folgt auch Hans Düllmann. Er schaut nicht auf die Trümmer in den Städten, nicht nach Amerika und eine Schiffsladung von Care-Pakten, sondern in das Weltall:
"Ob sonstwo im weiten All der Menschheitswohnung, in unserer Schöpfung, noch Gemeinschaften dieser Art sind, wissen wir nicht. Ob außerhalb unserer Schöpfung, vor ihr, nach ihr, neben ihr, noch andere Schöpfungen bestanden haben, bestehen werden oder bestehen, irgendwelcher Art, - körperlicher, körperlich-geistiger, rein geistiger Art, - wissen wir nicht."
Gott habe über ein mögliches außerirdisches Leben nichts offenbart. Andererseits hatte der Heilige Thomas gesagt, es gehöre zum Wesen des Guten, dass es sich selbst verströme. Gott ist gut. Warum also solle es nicht noch ganz andere Welten geben? Von Gott könne man nie groß genug denken. Und dem unbegrenzt Guten sei es eigen, sich in unbegrenzter Weise zu verströmen. Im Weltall kennen sich die Engel besser aus als der Mensch, wusste schon Rilke. Aber darum geht es Düllmann nicht. Sein Blick in den Himmel führt wieder auf die Erde: Wir sind nicht allein! Wir haben Verwandte und Freunde in der anderen Welt! So lautet seine frohe Botschaft im Jahr 1949:
"Mit diesen Geistwesen, den Engeln, bilden wir Menschen eine Gemeinschaft auf Grund der Verwandtschaft unseres geistigen Lebens, einschließlich göttlichen Lebens, des gemeinsamen Zieles und des gemeinsamen Ursprungs."
Vom Brot der Engel
Von dieser "innigen Verwandtschaft", weiß Pater Düllmann, kann ein kaltes Herz nicht sprechen. Innigkeit ist die Haltung des Engelforschers. Er schreibt seine Bücher betend. In der Messe erfährt er die Gegenwart der Engel in besonderer Weise. "Wenn wir Menschen mit den Engeln schon eine Gemeinschaft schlechthin bilden, wie eng muß diese Einheit bei der heiligen Messe sein!" In der römischen Meßfeier nach altem Ritus finden die Engel an fünf Stellen Erwähnung: im Schuldbekenntnis, im Engelgesang des Gloria, im Weihrauchgebet nach der Opferung, in der Präfation einschließlich des Sanctus und im Aufnahmegebet nach der Wandlung. Engel und Menschen bilden als Kultgemeinschaft eine Interessen- und Arbeitsgemeinschaft. Denn beide haben ein gemeinsames Ziel die "una societas angelorum et hominum" mit ihrer "fruitio divina". Für Düllmann ist diese "geistige Interessengemeinschaft von Engel- und Menschenseele eine Einigung von unvorstellbarer Innigkeit." Engel und Menschen genießen in der Eucharistie dieselbe Speise: das Brot der Engel (panis Angelorum):
"Das Lebensbrot, das wir Menschen bei der Meßfeier genießen, ist ursprünglich und eigentlich jene Nahrung, durch welche die Engel im Himmel leben."
Die Engel engagieren sich also nicht ganz uneigennützig für die Sache der Menschen. "Das ist auch die tota cura der Engel, eingegliedert in die Sorge Gottes, dass die auf Erden zum Vaterland pilgernden Menschen dieses Ziel erreichen." Pater Düllmann wiederholt im Jahr 1949 grundlegende Positionen der Angelologie. Doch das beginnende Zeitalter der Entmythologisierung wird ihnen kein Gehör mehr schenken. Die Theologie koppelt sich nun endgültig von der Angelologie ab und verliert damit ihren Hintergrund. Auch der Sinn der Menschwerdung erschließt sich nach Düllmann erst auf diesem urgeschichtlichen Hintergrund. Sie ist die Quelle der Einigung von Mensch- und Engelwelt und damit die Voraussetzung für die Überwindung des Risses (ruina), den der Engelsturz einst verursachte. Deshalb jubilierten die Engel "Gloria in excelis Deo", als das Ewige Wort in diese Welt eintrat.
Hätte Gott auch Engel werden können?
Hätte aber Gott nicht auch Engel werden können, um die gefallenen Engel ebenfalls zu erlösen? Gewiss. Aber wären die Dämonen zur Umkehr bereit gewesen? Gewiss nicht. Die Dämonen schauten voller Neid auf die Menschen, "die ihre verscherzte Glückseligkeit einnehmen sollten. Der Neid und Gotteshaß steigerte sich zum Vernichtungswillen". Das war die Erfahrung der Dämonie der Diktaturen in Ost und West. Pater Hans Düllmann schließt seine Erinnerung an die Rolle der Engel bei der Meßfeier mit jenem Gebet, das Papst Leo XIII. (1810-1903) wohl selbst geschrieben hat. Es wurde von dem Priester nach der stillen Meßopferfeier als Bitte um den Schutz der Engel im Kampf mit den Mächten der Finsternis gebetet:
"Heiliger Erzengel Michael,
beschirme uns im Streite;
gegen die Bosheit und Nachstellungen des Teufels sei unser Schutz.
Gott gebiete ihm, so bitten wir flehentlich;
du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen,
stoße den Satan und die anderen bösen Geister,
die in der Welt umhergehen, um die Seelen zu verderben,
durch die Kraft Gottes in die Hölle."
"Sancte Michael Archangele,
defende nos in proelio;
contra nequitiam et insidias diaboli esto praesidium.
Imperet illi Deus, supplices deprecamur:
tuque, Princeps militiae Caelestis,
satanam aliosque spiritus malignos,
qui ad perditionem animarum pervagantur in mundo,
divina virtute in infernum detrude."
Unter den Theologen gab es oftmals Hauen, Stechen und auch Morden. So wurde das Konzil von Ephesus (449) als Räubersynode bezeichnet. Unter Engelforschern herrscht dagegen eine seltene Einheit der Gesinnung. So schwingt sich auch Jean Daniélou in seinem Engelbüchlein ganz auf die liturgische Ebene ein:
"Die Heilige Messe ist in Wirklichkeit eine sakramentale Teilnahme an der himmlischen Liturgie, an dem offiziellen Kult, der der Heiligsten Dreifaltigkeit durch die Gesamtheit der geistigen Schöpfung dargebracht wird."
Der Kardinal beruft sich auf den Heiligen Chrysostomos, der die ganze Kirche und besonders den Altarraum von himmlischen Mächten erfüllt sieht. Theodor von Mopsuestia sah in den Messdienern ein Symbol der anwesenden Engel. Chrysostomos betont:
"Erwäge, in wessen Gemeinschaft du bist, und mit wem du vorhast, Gott anzurufen: mit den Cherubim. Stelle dir vor, in welche Chöre du dich einreihen willst. Niemand stimme nachlässig in diese heiligen und geheimnisvollen Gesänge ein. Niemand hafte an irdischem Denken (sursum corda), sondern losgelöst von allen irdischen Dingen und ganz und gar in den Himmel versetzt, wie wenn er neben dem Thron der Herrlichkeit selbst stünde, und mit den Seraphim schwebend, singe er den hochheiligen Lobpreis des Gottes der Herrlichkeit und Majestät."
Da nun bei der Messe der ganze Raum mit Engeln erfüllt ist, solle man auf das Wort des Paulus (1 Kor 11,10) hören, "wenn er die Frauen auffordert, ihr Haupt mit einem Schleier zu bedecken wegen der Engel."
Ich denke, Hans Düllmann ist ein Pseudonym für alle jene Menschen, die – mit oder ohne Schleier – während der Messe die Engel sehen.
Im Himmel vom Leben erzählen
Zaitzkofen – der Name des Ortes geht mir nicht aus dem Sinn. Vielleicht gibt es noch ein weiteres Zaitzkofen? Bingo! Die Gemeinde St. Stephanus in Zaitzkofen gehört zur Pfarrei Pinkhofen-Unterlaichling im Bistum Regensburg. Sie hat auch ein Verzeichnis aller Pfarrer bis zu dem neuen Priester aus Indien. Aber der Name Hans Düllmanns ist nicht aufgezeichnet.
Ich freue mich, dass ich wieder einmal nicht weiterkomme. Denn die meisten Menschen sind so unbekannt wie Pater Hans Düllmann, und doch haben sie gelebt und gewirkt, geliebt und gelitten. Niemand erzählt ihre Geschichte. Aber die Engel haben sie nicht vergessen. Sie werden im Himmel ihre Stimmen erheben und vom Leben erzählen, das wir führten. Ich denke, Hans Düllmann ist ein Pseudonym für alle jene Menschen, die – mit oder ohne Schleier – während der Messe die Engel sehen.