Kultur zum KilopreisEuropas Schwäche, Italiens Stolz

Viele Italiener schätzen Giorgia Melonis Durchsetzungskraft. Doch wenn der Ausverkauf der Kultur droht, bringt sie das auf die Palme.

Teatro Fenice
Die einzige Expertise der neuen Musikdirektorin des Teatro La Fenice, Beatrice Venezi, ist die Freundschaft zu Giorgia Meloni.© Unsplash

Hast du mitbekommen, was in Frankreich los ist, fragt meine römische Freundin Sara, eine beherzte Juristin, mit politischem Feingefühl. Der Untergang Frankreichs mache ihr zu schaffen, klagt sie, aber auch Deutschland sei heute so verwundbar, wie nie. Ob ich dafür eine Erklärung hätte?

Ich suche nach Worten und das nicht nur, weil Italienisch nicht meine Muttersprache ist. Was sie denn mit französischen Missständen meint, frage ich zurück. Neulich dieser Überfall auf den Louvre?

Eine Schande wäre das, was da mit den napoleonischen Kronjuwelen passiert sei, sagt Sara. Die Diebe, besser gesagt, ihre Auftraggeber hätten bestimmt längst die Steine aus den Preziosen gebrochen und das Vermächtnis eines Staates, seine Geschichte, seine Identität, seinen gesamten Einfluss auf die westliche Welt zum aktuellen Goldpreis verhökert. Im Kilo! Capisci?

Was ist los? Wirke ich etwa schwer von Kapee? Ich hab’s doch begriffen. Meine Freundin erzürnt der voranschreitende Ausverkauf unserer europäischen Kultur, die längst zum Handelsgut verkommen ist.

Italien und die schönen Künste

In Italien werden die schönen Künste auch heute noch verehrt. Die Schüler werden mit Kultur gemästet, auf eine Weise, die man sich in Deutschland kaum vorstellen kann. Nichts da "Fuck yu Goethe".

Will man auf einem römischen Liceo sein Abitur, die Diploma ablegen, muss man sich mit den Werken von Cicero und Seneca auskennen und eine Vorstellung davon haben, wovon Sophokles‘ Antigone handelt. Man triezt Jugendlichen bisweilen sogar noch mit Heidegger, selbst Schillers Gedichte gehören zum Lehrstoff, die Göttliche Komödie Dantes wird seit neunhundert Jahren zu weiten Teilen einfach auswendig gelernt – ganz einfach. Andererseits wird jedem Oberprimaner auch Pier Paolo Pasolinis Roman Ragazzi di Vita vorgesetzt.

Da ist es kein Wunder, dass römische Taxifahrer nicht nur Kurzvorträge über die Sixtinische Kapelle und die verunglückte Stadtgestaltung Mussolinis halten, sondern auch noch Opernarien anstimmen können.

Der Nationalstolz der Italiener mag aus der Zeit gefallen wirken, jedoch erhält sich ein Mythos eben nur durch Verehrung. Dolce Vita, das Leben war auch in Italien zu keiner Zeit süß, doch war man sich immer der Besonderheit des Eigenen bewusst. Dieser klangvollen Sprache, dem fantastischen Essen und der erstaunlichen Fruchtbarkeit eines Landes zwischen dem Meer und der See, so nah an der Sonne. Dieses wunderschöne Stück Erde in Form eines Stiefels, der nie aus der Mode gerät.

Die Deutschen in Rom ziehen immerzu irgendwelche Vergleiche. So sind sie, die Italiener, sagt man dann leichthin. Auf Heimatbesuchen erscheinen einem auf einmal bestimmte Wesenseigenheiten noch etwas deutscher. Wechselt man die Stadt und die Sprache, hofft man auch immer darauf, ein anderer zu werden, im besten Fall etwas besser. Schwer zu sagen, ob das gelingt.

Nur eins weiß ich nach Jahren, mein Blick auf Europa hat sich zwischen Italien und Deutschland geschärft. Europa aber bleibt eine Schimäre. Was Ursula von der Leyen in Brüssel treibt, bringt viele meiner römischen Bekannten auf. Die Präsidentin der Europäischen Kommission ist hier das Feindbild schlechthin. Stefano, der Friseur, möchte Ursula am liebsten mit seinem Fön von der politischen Bühne pusten, die Europäische Union abschaffen und wieder die Lira einführen. Friedrich Merz gefällt meiner Freundin Sara im Übrigen besser als Olaf Scholz, den man nie reden hörte. Heidi Reichinnek schätzt sie ebenfalls, die hält sie für typisch deutsch.

Meloni zeigt keine Schwäche und macht keine Schulden, das hat sie anderen europäischen Politikern voraus. Viele Italiener, Jung und Alt, schätzen die straffe Führung durch ihre starke Hand.

Was ist dein Fazit nach drei Jahren Meloni, frage ich Sara. Es entsteht eine Pause. Dann gibt sie Auskunft über die Missstände der Regierung, lobt aber direkt danach wieder die Intelligenz, die Durchsetzungskraft, das besonnene Handeln der Ministerpräsidentin, wie so viele meiner italienischen Freunde, von denen sich kaum einer dem rechtskonservativen Lager zuordnet.

Meloni zeigt keine Schwäche und macht keine Schulden, das hat sie anderen europäischen Politikern voraus. Viele Italiener, Jung und Alt, schätzen die straffe Führung durch ihre starke Hand.

Am Tag darauf breche ich von Rom nach Venedig auf, um mich der Demonstration auf dem Campo Sant'Angelo gegen die Ernennung der neuen Musikdirektorin des Teatro La Fenice anzuschließen, deren einzige Expertise die enge Freundschaft zu Meloni ist. Wie immer, wenn man den Besen vor den Türen anderer schwingt, befinde auch ich mich an diesem Tag in besonders heiterer Stimmung.

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