I.
Bei einem Gang durch den Petersdom komme ich an den Grabmälern und Papstskulpturen vorbei. Zwei von ihnen haben es mir schon immer besonders angetan. Da ist zum einen das klassizistische Grabmal Pius' VII. von Berthel Thorwaldsen. Es zeigt den Pius VII. sitzend, auf dem kleinen Kopf die Tiara, direkt geradeaus blickend, leicht nach vorne gebeugt, die Hand zum Segen erhoben, aber nicht mit Imperatorengehabe, sondern so, als würde er den Betrachter gelassen, ruhig und konzentriert anblicken. Die Gewänder fließen sanft über seine Knie. Es ist ein schmaler, eher kleiner Mann, der dort sitzt. Durch seinen Widerstand gegen Napoleon erwarb er eine moralische Glaubwürdigkeit, von der die Kirche und das Papstamt in der Folge sehr profitierten.
Wie anders erscheint Pius XII. im Standbild, das Franceso Messina 1964 schuf. Der Körper des Papstes, der die Kirche während des Zweiten Weltkriegs lenkte, ist von einem gewaltigen Chormantel eingehüllt, auf dem schmalen Kopf sitzt eine überhohe Mitra. Auch Pius hat die Hand zum Segen erhoben, aber sie ist angespannt, die Finger sind abgespreizt, Sehnen und Adern treten hervor. Der Körper des Papstes scheint sich abzuwenden, gleichzeitig blickt er über die Schulter den Betrachter geradezu ängstlich an: aus tiefen Augenhöhlen hinter runden Brillengläsern.
II.
Nur eine Grabplatte mit einem Namen darauf, kein Schmuck, kein Bild, keine Skulptur. Dass die Namensaufschrift auf dem Grab von Papst Franziskus typografisch mangelhaft ist, die Buchstaben R, A und N zu weit voneinander entfernt, beschäftigte vor einigen Tagen die italienische und die internationale Presse. "Ostentative Bescheidenheit über den Tod hinaus", habe ich das vor einigen Tagen an dieser Stelle genannt. Gestern habe ich von meinen säkularen Freunden erzählt, die für meine Franziskus-Kritik gar kein Verständnis hatten: Besser ostentative Bescheidenheit als ostentativer Protz in Trump-Manier, so lautete die einhellige Meinung. Fast hätte ich deswegen meine kritische Haltung revidiert. Aber nur fast. Dann berichtet mir jemand, der sich in Rom sehr gut auskennt, davon, dass es in Santa Maria Maggiore, wo sich das Grab von Franziskus befindet, sehr wohl eine bildliche Darstellung des Pontifex gibt, angebracht noch zu seinen Lebzeiten.
III.
Das muss ich mir selbst ansehen. Ich radle hin und finde die zwei Bronzetafeln, die in ein hölzernes Portal eingelassen sind, am Ausgang des Devotionaliengeschäfts, das sich an die Taufkapelle anschließt. Man könnte sagen, die Darstellung ist etwas versteckt. Vielleicht, so spekuliert mein Hinweisgeber, ist zukünftig an eine Anbringung an prominenterer Stelle gedacht.
Über beide Tafeln erstreckt sich ein Schriftzug – ein kombiniertes Zitat aus dem Sonnengesang des Franziskus von Assisi im umbrischen Dialekt:
"Laudato sie, mi' signore, cun tucte le tue creature, (…) per quelli ke perdonano per lo tuo amore, et sostengo infirmitate et tribulatione."
"Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, (…) für jene, die verzeihen um deiner Liebe willen und Krankheit ertragen und Not."
Auf der linken Seite ist der heilige Franziskus von Assisi zu sehen. Zu seinen Füßen der gezähmte Wolf von Gubbio, im Hintergrund sind Felder, Bäume und Wolken angedeutet, oben auf der Tafel Sonne und Mond. Aus der linken, erhobenen Hand des Heiligen schlagen Flammen, aus der rechten, mit Stigmata versehenen Hand, fliegt eine Taube. Der heilige Franziskus ist nach oben ausgestreckt dargestellt, er steht auf Zehenspitzen, der Saum seines Gewandes flattert, so, als ob er gleich entschweben würde.
Benjamin Leven
Auf der rechten Tafel ist – man traut seinen Augen nicht – tatsächlich in genau symmetrischer Haltung, Jorge Maria Bergoglio in Soutane dargestellt. Zu seinen Füßen hockt ein unbekleideter Mann mit Kraushaar, im Hintergrund ist eine Menschenmenge angedeutet, außerdem ein Stern und eine Art Galaxiewirbel. Sein Blick geht nach oben, in der linken Hand hält er einen Zweig, die Rechte weist – mit Segensgestus – ebenfalls nach oben. Auch das Gewand des Papstes flattert, der Papst scheint ebenfalls kurz davor zu sein, wegzufliegen. Warum der Mann am unteren Bildrand hocken bleiben muss und nicht etwa nach oben mitgerissen wird, bleibt etwas rätselhaft.
Benjamin Leven
IV.
Im alten Rom war es Brauch, dass Kaiser ihre Vorgänger zum divus erklären ließen: Sie wurden vergöttlicht. Die Apotheose war das Sinnbild dieses Vorgangs. In den Vatikanischen Museen lässt sich der Sockel einer verlorengegangenen Säule besichtigen, die die Apotheose des Kaisers Antoninus Pius zeigt. Das antike Motiv einer in den Himmel auffahrenden Gestalt erfreute sich insbesondere in der Barockzeit großer Beliebtheit.
V.
Divus Franciscus? Von der Spontanheiligsprechung von Päpsten bei ihrer Beerdigung war an dieser Stelle ebenfalls schon die Rede. Dass ein Papst jedoch bereits zu seinen Lebzeiten in dieser Form mit einem Heiligen parallelisiert und bei einer Art Himmelfahrt dargestellt wird, dürfte neu sein. Oder?
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