"Supertramp, ernsthaft?" Wenn man heute den Namen der britischen Band erwähnt, kann es sein, dass jüngere Menschen die Nase rümpfen – wenn ihnen die britische Band überhaupt noch etwas sagt. Tatsächlich verbinden viele mit dem Namen leichtfüßige, zugleich etwas klebrige Popsongs wie "Dreamer", "It's raining again", dem "Logical song" oder "Give a little bit". Geprägt vom Wurlitzer E-Piano-Sound der 1970er Jahre und einem heute unüblich gewordenen Falsett-Gesang. Dennoch weiterhin gern genommene, gefällige Wohlfühlmelodien für den tagesbegleitenden Dudelfunk.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn viele der besagten Hits stammen aus der Feder und aus dem Mund von Roger Hodgson – und damit nur von der einen Hälfte eines kongenialen Songwriter-Duos, das den Sound und die Komplexität der Musik von "Supertramp" prägte. Die andere Hälfte bildete der stillere, tiefgründige Rick Davies, der vor wenigen Tagen – am 6. September – nach langer Krankheit mit 81 Jahren auf Long Island verstarb. So unterschiedlich Hodgson und Davies als Musiker und Personen waren – in ihren gemeinsam komponierten Songs und Alben ergänzten sie sich wie Lennon und McCartney.
Hodgson ist in seinen Texten der spirituell Suchende, der einprägsame Melodien mit psalmenartigen Texten versieht. Davies hingegen spürt den Zerrüttungen des modernen Individuums nach und bläst zur Revolte gegen die Tristesse des Alltags.
Dies gilt für die musikalischen Qualitäten ebenso wie für die Texte, in denen die beiden Komponisten sich immer wieder an existenziellen und auch religiösen Fragen abarbeiteten. Etwa im brillant produzierten Konzeptalbum "Crime of the Century" von 1974, in dem neben glasklarem Klavier-, Gitarren und Saxophon-Sound auch textlich ein großer Bogen von einer verkorksten Schullaufbahn ("School") über das Bedürfnis, sich in einem Schneckenhaus zu verkriechen ("Hide in your Shell") bis hin zum symphonisch eskalierenden Titelsong gespannt wird. Auch später bleibt Hodgson in seinen Texten der spirituell Suchende, der etwa mit "Lord is it mine" oder "Don’t leave me now" einprägsame Melodien mit psalmenartigen Texten versieht. Davies hingegen spürt den Zerrüttungen des modernen Individuums nach und bläst zur Revolte gegen die Tristesse des Alltags (etwa in "From now on" oder "Just a normal day").
Es war nicht alles "Bloody well right"
Davies und Hodgson waren– wie der dem Buch "The Autobiography of a Super-Tramp" von W. H. Davies entliehener Name schon sagt – musikalische Vagabunden, die sich mit ihren aufwändigen Arrangements, ungewöhnlichen Harmonien, ihren Vorlieben für die dunkel schimmernden Tonarten wie C-Moll oder As-Dur und stilistischen Anleihen aus dem Jazz deutlich aus dem Mainstream abheben. "Progressive Rock" nannte man einst diese Stilrichtung, zu der auch Bands wie Jethro Tull, Alan Parsons und Pink Floyd, in jüngerer Zeit wohl auch Sting, zählen. Wer diese Bands hörte, signalisierte auch nach außen hin eine gewisse musikalische Intellektualität: Synkopen und Große Septimen anstelle müder Standard-Akkordfolgen im Viervierteltakt. Kantige musikalische Professionalität anstelle gecasteter Voices of Germany.
Dabei lief es zu Beginn alles andere als glatt. Zwar wurde der gemeinsame Bandstart von Rick Davies und Roger Hodgson 1969 durch einen großzügigen holländischen Industriellen und Mäzen unterstützt und so erst künstlerische Freiheit und ein allererster Auftritt im Münchener PN-Club ermöglicht, doch kamen die ersten Alben der Band – 1970 das Album "Supertramp" und ein Jahr später das Album "Indelibly Stamped" – über einen Achtungserfolg kaum hinaus. Die Band drohte zu zerfallen, der Investor sprang ab. Erst eine Neuaufstellung mit Dougie Thomson (Bass), Bob Siebenberg (Schlagzeug) und dem Saxofonisten John Helliwell sollte schließlich zu jener Konstellation führen, die für die großen Erfolge verantwortlich zeichnete.
An die früheren Erfolge konnte er nicht mehr anschließen. Es fehlte die Reibungsenergie, die durch die konfliktive Zusammenarbeit mit Hodgson entstand.
Es war also nicht alles von Beginn an "Bloody well right" – nicht alles verdammt gut und richtig, wie einer ihrer erfolgreichsten Titel lautete: So folgten zwar noch weitere erfolgreiche Alben – insbesondere "Breakfast in America" sollte sich über 20 Millionen Mal verkaufen und ihr "Logical Song" wurde mit dem prestigeträchtigen englischen Ivor Novello Award als beste Komposition ausgezeichnet. Dennoch kam es 1982 zum Bruch zwischen den ungleichen Köpfen Hodgson und Davies. Beide gingen in Folge eigene musikalische Wege; Davies legte nur wenige Jahre später 1985 mit "Brother where you bound" – Bruder, wohin gehst du? – ein mächtiges und vielschichtiges Album vor, das ganz unter dem Eindruck des Kalten Krieges stand. Im gleichnamigen Titelsong – einem 16-minütigen Epos mit einem Gitarrensolo von Pink Floyd-Gitarrist David Gilmour – bleibt Davies der Dunkelheit treu: "Sei kein Narr, wir müssen gehen. Es gibt keinen sicheren Ort für uns, an dem wir bleiben können. Wir ziehen besser weiter, wir ziehen besser weiter."
"If everyone was listening"
Nach stilistischen Synthie-Fehlgriffen in den späten 1980er Jahren fand Davies 1997 mit "Some Things Never Change" und schließlich 2002 mit "Slow Motion" zu seinem Stil zurück. Doch an die früheren Erfolge konnte er nicht mehr anschließen. Es fehlte die Reibungsenergie, die durch die konfliktive Zusammenarbeit mit Hodgson entstand. In den letzten Jahren wurde es zunehmend stiller um Davies. Er zog sich zurück in seine Wahlheimat Long Island, trat – von Alter und Krankheit gezeichnet – noch vereinzelt in Clubs mit neuen Formationen auf. Slow Motion halt.
"Supertramp, ernsthaft?" – Ja, ernsthaft. Weil auch Pop ernsthaft und tiefgründig sein kann und doch oder gerade deshalb Freude und glückliche Momente schenken kann. Die Zeit ist reif, mal wieder ein "Supertramp"-Album durchzuhören. Keine Playlist. Ein Album. Von A bis Z. "If everyone was listening"…