Geistliche Musik durchzieht alle Schaffensperioden des Komponisten Bertold Hummel, der am 27. November seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Sowohl in Konzertsälen als auch in Kirchen wird sein musikalisches Erbe gepflegt – und das in Zeiten, in denen es anspruchsvolle zeitgenössische Musik in der Kirche nicht unbedingt leicht hat. Was fasziniert an der Musik dieses vielfach ausgezeichneten katholischen Komponisten, der mehr als zwei Jahrzehnte als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik in Würzburg, acht Jahre davon als ihr Präsident gewirkt hat und den Alexander Suder "in die erste Reihe zeitgenössischer deutscher Komponisten" gestellt hat?
Die Worte, die Bertold Hummel ein Jahr vor seinem Tod notierte, können auch über seinem Lebenswerk stehen:
"In einer Zeit der zunehmenden Säkularisation hat der […] Künstler die Aufgabe, seine Mitmenschen auf das Transzendente, auf das Unerklärbare und auch Unbeweisbare hinzuweisen. Der Sprache der Musik – als der vielleicht weltumfassendsten – kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu."
Mit seiner eigenen Musiksprache, die sich schwer kategorisieren lässt und die Hummel einmal als "Metamorphose all dessen, was mich aus dem musikalischen Weltrepertoire von Vergangenheit und Gegenwart besonders beeindruckt, gepaart mit einem starken persönlichen Ausdruckswillen", bezeichnet hat, gelingt es ihm die christliche Glaubensbotschaft zum Klingen zu bringen, die Ohren für "Höheres" zu öffnen. Seine Musik verweist "nach oben". Die vertikale Dimension ist eine wesentliche Koordinate seines Musikschaffens: Musik zum Lobe Gottes.
Hinwendung zum Hörer
Zugleich lebt die Musik Bertold Hummels von der Hinwendung zum Hörer. Sie bewegt sich nicht in einem ästhetischen Elfenbeinturm, sie zelebriert nicht zeitgenössische Kompositionstechniken um ihrer selbst willen. Hummel geht in Tuchfühlung mit dem Hörer, dem er eine Botschaft mitgeben möchte. Sein Ziel sei es, so Hummel, "Musik-Gedanken fassbar zu machen" und auf möglichst hohem Niveau "ein Dreieck zwischen Komponist, Interpreten und Hörer zu erstellen." Mehr noch: Seine Musik zeuge von dem "Bemühen, die Welt humaner und lebenswerter zu gestalten." Ein "l’art pour l’art-Standpunkt", wie ihn etwa Theodor W. Adorno vertreten habe, sei ihm "immer suspekt" gewesen.
Bleibt man im Bild des dreidimensionalen Koordinatensystems, so bewegt sich seine Musik zwischen der vertikalen Achse der Ausrichtung auf Gott und den horizontalen, "irdischen" Achsen, dem Dreieck Komponist – Interpreten – Hörer. Seine Musik ist Beziehung: Sie ist ausgerichtet auf ein hörendes Gegenüber, dessen Hörverständnis er genauso ernstnimmt wie die technischen Möglichkeiten der Interpreten seiner Musik. Gerade letzteres brachte ihn dazu, zahlreiche Werke für Instrumentalisten zu komponieren, die noch nicht in den Olymp virtuoser Spielkunst vorgedrungen sind, auch für Kinder. Als Vater von sechs Söhnen wusste er: "Es sind die Hörer von morgen".
"Fasslichkeit" der Ideen und technische "Machbarkeit" gehen dabei nicht auf Kosten des künstlerischen Anspruchs. Hummels Musik will den Hörenden, so Hans Maier, "nicht nur schmeicheln, ihn gar einlullen, sie fordert ihn heraus, will ihm etwas sagen." Hummel komponiert freitonale Musik, die manch harmonieverwöhntem Ohr wohl fremd klingt. Zugegeben: Sie mutet den Hörenden etwas zu. Aber ist nicht auch das ein Ernstnehmen der Zuhörerschaft, indem man ihr zutraut, in der Annäherung an Unbekanntes, im Bemühen um Verstehen über sich hinauszuwachsen?
Bertold Hummel wird am 27. November 1925 im badischen Hüfingen in ein musikalisches Elternhaus hinein geboren. Gregorianische Melodien und die christliche Musiktradition von Palestrina und Bach bis hin zu zeitgenössischen Werken, die er neben seinem Vater auf der Orgelbank sitzend kennenlernt, faszinieren ihn von klein auf.
Musik in dunklen Zeiten
Der Besuch einer Aufführung von Bruckners 3. Sinfonie begeistert den jungen Bertold Hummel, der Cello spielt und im Chor singt, derart, dass er beschließt, Komponist zu werden. Doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterbricht zunächst die musikalische Ausbildung, Bertold Hummel wird zum "Reichsarbeitsdienst" und zum Militärdienst eingezogen. Mit gerade einmal 19 Jahren gerät er in französische Kriegsgefangenschaft. Mehr als zwei Jahre verbringt er in verschiedenen Lagern, er arbeitet im Eisenbahnstreckenbau und im Kohlebergwerk.
Die Musik scheint ihm und seinen Mitgefangenen über die dunkle Zeit der Gefangenschaft hinweggeholfen zu haben: Bertold Hummel gründet eine Lagerkapelle, in der er selbst als Cellist spielt, er komponiert und arrangiert kleinere Werke für Musikabende und Gottesdienste. Aus seinen in Gefangenschaft entstandenen frühen Gesangswerken sprechen Wehmut und Sehnsucht nach der Heimat, aber auch Hoffnung und ein tiefes Gottvertrauen: "O Herr, ich will dir freudig danken, Du Helfer mit in Angst und Not", beginnt seine Adventskantate aus dem Jahr 1945.
Fünfmal unternimmt Bertold Hummel abenteuerliche Fluchtversuche, 1947 gelangt er über Belgien und Luxemburg zurück ins heimatliche Freiburg. Dort erlebt er eine musikalische Aufbruchsstimmung an der neu gegründeten Hochschule, er studiert er Cello, Komposition, Dirigieren und Kammermusik. Bei den Donaueschinger Musiktagen, einem "Mekka" der zeitgenössischen Musikszene, begegnet der junge Komponist nicht nur den Größen seiner Zeit. Er sorgt für Aufsehen, als er dort im Jahr 1952 erstmals eine eigene Komposition vorlegt: die Missa brevis, op. 5a – ein liturgisches Werk: ein Novum bei den Donaueschinger Musiktagen.
Neben Messen und geistlichen Chorwerken findet sich in seinem umfangreichen Werkkatalog, der bis zu seinem Lebensende auf über 200 Kompositionen anwächst, eine erstaunliche Vielfalt an musikalischen Gattungen, von Instrumentalwerken hin zu Bühnenwerken, Balletten und einer Kammeroper – viele von ihnen mit einem musikalischen Augenzwinkern versehen.
Hervorgehoben seien seine frühen Kantaten, die auf den Deutschen Psalter von Romano Guardini Bezug nehmen: Seine Offenbarung neuen Lebens op. 8 (1953) und Dem König der Ewigkeit op. 17 (1958) wurden überschwänglich gewürdigt als "musikalische Exegese, die in der gegenwärtigen Komposition nicht oft zu finden ist", als "Vergegenwärtigung des Wortes Gottes", als "liturgischer Lobpreis". Einen Höhepunkt bilden sein Oratorium Der Schrein der Märtyrer op. 90 (1988/89), zu dem Bischof Paul Werner Scheele das Libretto verfasste, und seine 3. Sinfonie Jeremia op. 100 (1996) nach dem gleichnamigen Roman von Franz Werfel.
Botschafter der Hoffnung
Angesprochen auf seine kompositorischen Vorbilder, nannte Hummel gerne Johann Sebastian Bach, Anton Bruckner und Olivier Messiaen. Nicht nur der musikalische Fingerzeig nach oben verbindet die Komponisten.
Genauso wie Olivier Messiaen, der in Kriegsgefangenschaft 1940/41 unter extremen Bedingungen sein wohl ergreifendstes Werk, das Quatuor pour la fin du temps komponierte, ist Hummel ein musikalischer Botschafter der christlichen Hoffnung. In seinem Orchesterwerk Visionen op. 73, ein Auftragswerk für den Katholikentag 1980, setzt sich Hummel mit Texten aus der Offenbarung des Johannes auseinander. Nicht so sehr die apokalyptischen Katastrophen- und Schreckensvisionen der Johannes-Offenbarung, die sich zur Zeitgeschichte in Beziehung setzen ließen, sondern vor allem die tröstliche Perspektive dieser Endzeitvisionen sucht Hummel in Klänge zu setzen.
Seine Visionen erinnern, so ein Kritiker, "an den Trost, an verheißene Freude und Herrlichkeit, die das Christentum dem memento mori entgegenstellt." So endet das Werk mit vier, in den Worten Hummels "kosmischen" Klängen, bestehend aus 12 Tönen, welche die Tore der himmlischen Stadt Jerusalem, die Vollendung von Welt und Mensch andeuten. Der Komponist, der das 20. Jahrhundert durchlebt und durchlitten hat, bekundet: "Die Darstellung des Leides und Grauens allein kann nicht der immanente Bestandteil eines Kunstwerkes sein. Der Hinweis auf Tröstung und Hoffnung ist unabdingbar."