In seinem Land ist er seit genau vierzig Jahren eine Legende, wurde aber schon in den späten achtziger Jahren auch im deutschen Sprachgebiet entdeckt. Seit Langem ist er weltweit unterwegs, um aus seinen ungewöhnlich suggestiven Texten vorzulesen. László Krasznahorkai ist ein Reisender geworden, der die grundsätzliche menschliche Heimatlosigkeit in seinem eigenen Schicksal verkörpert. Er fühlt sich nirgendwo zu Hause, und würde es auch verachten, ein Zuhause zu finden.
Es fällt seit langem auf, dass seine Kritiker metaphysische Kategorien nicht vermeiden können, wenn sie die Tiefstrukturen seiner Werke zu analysieren versuchen, und immer wieder auf die Möglichkeit des menschlichen Transzendenzbezugs zu sprechen kommen, auch wenn sie die Offenheit auf Transzendenz in ihr Weltbild gar nicht mehr zu integrieren imstande sind. Wieso erzwingt dieser Schriftsteller gerade solche Perspektiven?
Mitgefühl mit den Besiegten?
Man hat noch nie eine düsterere Welt in ungarischer Sprache dargestellt, als es die beiden ersten Romane von Krasznahorkai tun. Der Satanstango, vielleicht immer noch sein bekanntestes Buch, verfilmt von seinem Freund, dem genauso aus Ungarn stammenden Béla Tarr, ist ein Versuch, die vollkommene Ereignislosigkeit darzustellen und die Möglichkeit zu erwägen, ob überhaupt etwas gegen die Vernichtung vorgenommen werden kann. Die Gestalten des Romans suchen nach einer Instanz, die ihr Leben in ein sinnvolles Gewebe einschreiben könnte. Die Suche wird zu einer Suche nach dem letzten Gericht, das sich aber nicht ereignet: Es stellt sich heraus, dass sie an einer Fiktion beteiligt sind, die am Ende zum Anfang zurückführt, und sie sind vergebens von einem Ort zum anderen gewandert, um Kohärenz zu finden.
In Satanstango (1985) scheint Krasznahorkai darüber nachzudenken, wie menschliches Elend, Armut und Mangel überhaupt darstellbar sind. Er verzichtet auf die allwissende Position des Erzählers, und lässt zu, dass seine Gestalten sich auf eine Weise äußern, die deutlich macht, dass sie anders denken, als er annimmt.
Das Elend wird im zweiten Roman metaphysisch aufgeladen: Melancholie des Widerstands (1989) hat einen enormen Wal in seinem Zentrum. Er dient als Symbol der absurden Leere der ganzen Welt. Natürlich denkt man sogleich an Herman Melville. Aber im Roman von Krasznahorkai findet man keine heroische Besessenheit – im Gegenteil, es wird mit allen Illusionen abgerechnet (in seinem Buch Das Manhattan Project versucht er später aber, in New York Melvilles Spuren zu entdecken). Die Unerlöstheit erhält hier eine apokalyptische Prägung und die Frage drängt sich auf, ob Krasznahorkai Mitgefühl mit denen hat, die zur Niederlage verurteilt sind.
Winzige Spuren der Hoffnung
In den späteren Werken des ungarischen Schriftstellers kann man dann eine Oszillation zwischen der vollkommenen Finsternis und winzigen Spuren von Hoffnung beobachten. Das Dunkle der Welt wird nie harmlos, klischeehaft oder künstlich dargestellt, weil Krasznahorkai eine Sprache spricht, die so suggestiv, dicht und eigengesetzlich ist, dass sie eine geradezu kosmologische Kreativität zutage fördert.
Das Böse wird zu einer Gegenwart, der nichts und niemand entkommen kann.
In vielen Büchern finden sich unendlich lange, an Variationen und Wiederholungen, sich unaufhaltsam weiterschreibenden Ergänzungen und Modulationen reiche Sätze, die einen dunklen Glanz in den Tiefstrukturen der Welt sichtbar machen.
Das Böse wird zu einer Gegenwart, der nichts und niemand entkommen kann. Das Böse in der ästhetischen Welt von Krasznahorkai erinnert einen an die menschliche Finsternis in den Romanen von Cormac McCarthy. Aber während man wissen kann, dass McCarthy einen ausgeprägten (aber natürlich verborgenen) katholischen Hintergrund hat, der ihm ermöglicht, das Böse als böse und das Dunkle als dunkel wahrzunehmen, sucht man bei Krasznahorkai vergebens nach einem solchen Hintergrund.
Neben dem frühen Mitleid mit den Besiegten kann aber auch andere Motive bei ihm entdecken, die von er Gegenwart von etwas Hellem zeugen könnten. Da ist zum Beispiel die Ironie, die ein Buch wie Baron Wenckheims Rückkehr (2016) beherrscht.
Schwerer wiegen die Texte, in denen Krasznahorkai das Ereignis des Schönen, ja monumental und überwältigend Schönen darstellt. Ganz ergreifend im Buch Seiobo auf Erden (2008): Hier wird keine ästhetische Religion strapaziert, sondern das Monumentale von Kunstwerken als Sinnangebot präsentiert. Man kann gerade sagen, dass hier ein Anti-Holbein Effekt zu beobachten wird – man ist nicht versucht, seinen Glauben zu verlieren, wenn man das Bild Cristo Morto anblickt, sondern wird zu der Annahme und Würdigung der Schöpfung ermutigt.
Die Texte von Krasznahorkai, die einen Bezug zu China und zu Japan haben (seine zweite Frau ist Sinologin), zeugen von einem ästhetischen Licht, das die metaphysische Leere und Heimatlosigkeit zähmen kann.
Es ist charakteristisch, dass in diesem Buch Krasznahorkai hauptsächlich solche Kunstwerke darstellt, deren Schöpfer unsicher und unbestimmt sind: eine buddhistische Skulptur oder die Alhambra. Pure Kunst ist eine Kunst, die nicht durch die menschliche Tätigkeit verdorben ist. Sie existiert aber auch nicht ohne Menschen. Die Texte von Krasznahorkai, die einen Bezug zu China und zu Japan haben (seine zweite Frau ist Sinologin), zeugen von einem ästhetischen Licht, das die metaphysische Leere und Heimatlosigkeit zähmen kann.
Die Hoffnung: ein Fehler?
Man darf aber nicht glauben, dass Krasznahorkai einfach mit einer ästhetischen Lösung zufrieden wäre. Sein Roman Herscht 07769 (2021) hat als Motto die sehr düster anmutende Aussage: "Die Hoffnung ist ein Fehler". Gerade aber der Begriff des Fehlers ist gar nicht eindeutig im Text. Man liest hier, dass die Entstehung des Lebens im Universum auf einem "Fehler" beruht: Sie verdankt sich einem Regelverstoß, der darin besteht, dass sich die negativen und positiven Partikel einmal nicht ausgleichen, und so keine Leere mehr bilden, sondern sich etwas Positives meldet, das nicht durch die Negativität ausgeglichen wird. Wenn das Leben als ein solcher Fehler aufgefasst wird, kann man nicht ausschließen, dass die Hoffnung auch auf die Struktur der Welt einwirken kann – als etwas Positives, dass nicht ausgelöscht wird.
Es ist nicht immer leicht zu entscheiden, ob bei Krasznahorkai die Finsternis der Geschichte und des metaphysisch leer scheinenden Universums durchbrechbar ist und ob eine posthumane Zukunft zu vermeiden ist.
Die Texte von Krasznahorkai werden oft mit den Werken von Anselm Kiefer assoziiert: Wir befinden uns oft in posthumanen Gebieten, nach vernichtenden Kriegen und Seuchen, wo die Natur im Begriff ist, alles wiederzuerobern. Es ist nicht immer leicht zu entscheiden, ob bei Krasznahorkai die Finsternis der Geschichte und des metaphysisch leer scheinenden Universums durchbrechbar ist und ob eine posthumane Zukunft zu vermeiden ist.
Der Autor selbst ist eine nicht nur elegant zurückhaltende Gestalt, sondern ein ausgesprochen heiterer Zeitgenosse. Seine dunklen Anzüge, die zu seinem Schutzzeichen geworden sind, verbergen eine illusionslose Präsenz in der Welt, die aber mit ihrer gnadenlosen und dunklen Aufrichtigkeit alles aus dem Weg räumt, was den Blick auf die große Frage des Sinnes und der Leere verdunkeln könnte. "Ich verachte alles, was falsch, arglistig und mittelmäßig ist", hat er einmal gesagt. Als Gegengift gegen Mittelmäßigkeit bietet er eine Sprache an, die die Frage unausweichlich macht, ob die Vernichtung unvermeidbar ist oder der "Fehler" der Hoffnung sich trotz allem Geltung verschaffen kann. Betritt man die poetisch hoch aufgeladene Welt von László Krasznahorkai, entkommt man diesem universalen Dilemma nicht mehr.