Claus Peymann stellte das Theater auf den Kopf, er kämpfte gegen alles, was ihm restaurativ oder konservativ erschien und spaltete Publikum wie Politik. Zugleich war er wie viele andere Theatermacher fasziniert von der katholischen Messliturgie.

Am 16. Juli 2025 ist der Theaterregisseur Claus Peymann im Alter von 88 Jahren gestorben. Die Koryphäe des deutsch-österreichischen Theaters hat mit skandalumwitterten Inszenierungen Geschichte geschrieben.

Wie Joseph Beuys, den er 1969 für die Aktion "Iphigenie/Titus Andronicus" auf die Frankfurter Theaterbühne gelockt hatte, verstand auch Peymann Provokation als schöpferisches Mittel: "Theaterarbeit ist immer Oppositionsarbeit."

Theatergeschichte, so sagte Peymann einmal, geschehe immer über Anekdoten. Bezogen auf sein eigenes, jahrzehntelanges Schaffen ließe sich wohl treffender von Skandalen und Provokationen sprechen. Wie Joseph Beuys, den er 1969 für die Aktion "Iphigenie/Titus Andronicus" auf die Frankfurter Theaterbühne gelockt hatte, verstand auch Peymann Provokation als schöpferisches Mittel: "Theaterarbeit ist immer Oppositionsarbeit." Vor allem arbeitete der Regisseur und Langzeitintendant gegen konservative und reaktionäre Kräfte: gegen das "restaurative Deutschland" und – in seiner Zeit als Burgtheaterdirektor – gegen das "konservative Wien". Streitbar mischte sich Peymann in politische Diskurse ein. In der Tradition von Lessing, Schiller und Brecht verstand er sich als Aufklärer und das Theater als moralische Anstalt mit pädagogischem Auftrag. "Ich bin fest davon überzeugt", erklärte er in einem Interview nach der Jahrtausendwende, "dass das Theater eine erzieherische Aufgabe zu übernehmen hat in dieser bis an den Rand der Fäulnis verrotteten Demokratie in Westeuropa."

Peymann und Peter Handke

Jedoch träumte der am 7. Juni 1937 in Bremen geborene Sohn eines Studienrats und SS-Sturmbannführers zunächst davon, Schriftsteller zu werden. In Hamburg nahm er ein Studium der Germanistik, Literatur- und Theaterwissenschaft auf. Als er an der Studiobühne der Universität erstmals Regie führte, war es um Peymann geschehen – fortan ließ ihn das Theater nicht mehr los. Als Regisseur führte es ihn von der Hansestadt nach Heidelberg, Frankfurt und Berlin. Der erste große Theatercoup gelang ihm 1966 mit der Uraufführung von Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" im Frankfurter Theater am Turm. Handkes Stück, in dem vier Sprecher eine Schimpftirade gegen die Zuschauer richten, war eine Provokation des Theaterbetriebs und seiner bürgerlichen Konventionen. Die Inszenierung machte den 23-jährigen Autor und den nur sechs Jahre älteren Regisseur schlagartig bekannt. Handke beschreibt in seinen Erinnerungen den jungen Peymann übrigens wie folgt: "langes Blondhaar, Schnauzbart, schiefer Blick, halb von unten, wie ein Widersacher aus der 'Ilias', oder wie ein blondes Stierkalb, hängende Arme eines Boxers, der andeutet: 'Los! Schlag zu – wir werden sehen.'"

Von Stuttgart über Bochum nach Wien

Seine erste bedeutende Intendanz trat Claus Peymann in Stuttgart an: Von 1974 bis 1979 wirkte er als Schauspieldirektor an den Württembergischen Staatstheatern. 1977 kam es zum Eklat, als er – einem Aufruf der Mutter Gudrun Ensslins folgend – 100 Mark für die Zahnsanierung von RAF-Häftlingen stiftete und das Spendengesuch an das Schwarze Brett des Schauspielhauses heften ließ: Wer Geld überweisen wolle, könne es bei Peymanns Sekretärin abgeben. Als die "Bild"-Zeitung davon berichtete, war die Empörung groß. Der Theaterdirektor, so lautete der Vorwurf, solidarisiere sich mit Terroristen. Der Vorsitzende der baden-württembergischen Polizeigewerkschaft ermahnte daraufhin seine Mitglieder, das Stuttgarter Theater zu boykottieren. Und Ministerpräsident Hans Filbinger forderte Peymanns sofortige Entlassung. So weit kam es nicht – dass aber sein Vertrag nicht verlängert wurde, obschon er das Schauspielhaus zu einem gefeierten Publikumsmagneten aufgebaut hatte, erlebte Peymann als Kränkung.

In der österreichischen Hauptstadt war Peymann nicht unumstritten. Dass der großmäulige 'Piefke' etwa mit dem 'Nestbeschmutzer' Thomas Bernhard zusammenarbeitete, erzürnte so manches Gemüt.

Bochum war seine nächste Station, "eine unspektakuläre Stadt mit einem ganz ordentlichen Fußballclub". Der harte Kern seines Ensembles – darunter Therese Affolter, Traugott Buhre, Kirsten Dene und Gert Voss – folgte Peymann ans Bochumer Schauspielhaus, das sich unter seiner kundigen Leitung bald als innovativste Theaterbühne der Bundesrepublik etablierte. 1986 verschlug es ihn schließlich ans Wiener Burgtheater, dessen Direktion er 13 Jahre innehatte – so lange wie kein anderer vor oder nach ihm. In der österreichischen Hauptstadt war Peymann nicht unumstritten. Dass der großmäulige 'Piefke' etwa mit dem 'Nestbeschmutzer' Thomas Bernhard zusammenarbeitete, erzürnte so manches Gemüt. Dabei waren die beiden Provokationskünstler längst ein eingespieltes Team. Nachdem Peymann 1970 "Ein Fest für Boris" am Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt hatte, wurde er zu Bernhards Stammregisseur. Fast alle abendfüllenden Stücke seines Freundes inszenierte er, davon zwölf Uraufführungen. Bernhard wiederum schätzte Peymann als den "bedeutendsten und interessantesten Schauspielgeburtshelfer" und machte ihn zur Hauptfigur einer Trilogie von Dramoletten.

Trainierte Fliegen

Peymann hatte sichtlich Spaß daran, das österreichische Publikum aufzustacheln. Ein bezeichnendes Beispiel seiner Provokationskunst: Vor der Uraufführung von Bernhards "Theatermacher" im Rahmen der Salzburger Festspiele 1985 gab er öffentlich bekannt, einen Misthaufen auf die Bühne bringen und über ihn 800 Fliegen kreisen lassen zu wollen. Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Während der Landessanitätsdirektor in den "Salzburger Nachrichten" potentielle Gesundheitsrisiken zu Bedenken gab – die Fliegen müssten nach jeder Vorstellung wieder vollzählig eingefangen werden –, fürchtete die Leitung des Salzburger Landestheaters die zu erwartende Geruchsbelästigung: Weil sich der Gestank in der Spielstätte festsetzen würde, würden auch andere Festspielproduktionen wie "Der seidene Schuh" oder "Nathan der Weise" in Mitleidenschaft gezogen. In seiner folgenden Pressemitteilung gab Peymann Entwarnung: Es sei gelungen, "für die Fliegen eine eigene Schutzimpfung zu entwickeln, durch die jede Fliege einzeln immunisiert wird, womit jede Ansteckungsgefahr ausgeschlossen ist". Zudem ließen sie sich durch intensives Training so abrichten, dass sie "auf Kommando sofort zurück in den Käfig oder in die Direktion fliegen".

"Heldenplatz"

Den größten Theaterskandal löste Peymann 1988 mit der "Heldenplatz"-Uraufführung am Burgtheater aus. Gegen die Premiere gab es bereits im Vorfeld massive Proteste, nachdem einzelne Textpassagen des Bernhard’schens Familiendramas, das die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs behandelt, an die Öffentlichkeit gedrungen waren. Bundespräsident Kurt Waldheim sprach von "grober Beleidigung des österreichischen Volkes". Peymann wurde auf offener Straße bespuckt und Jörg Haider, Parteivorsitzender der FPÖ, forderte seine Ausweisung. Der beispiellose Medienrummel tat dem Erfolg der Theaterpremiere keinen Abbruch, im Gegenteil – "Heldenplatz" wurde zum Kultstück und gehört zu den meistgespielten Produktionen des Wiener Burgtheaters.

Bei aller Freude am kalkulierten Tabubruch war das Peymann'sche Theater jedoch kein reines Skandal- und Provokationstheater. Wichtiger als die Irritation war dem Theatermacher das Gemeinschaftserlebnis.

Im Jahr 1999 kehrte Peymann nach Deutschland zurück, um bis 2017 die Intendanz des Berliner Ensembles zu übernehmen. Er war stolz darauf, das Theater am Schiffbauerdamm nach kurzer Zeit rentabel gemacht zu haben: "Wenn ich nicht hier aufgekreuzt wäre, hätte man das BE dichtgemacht." Sein wirtschaftlicher Eifer ("Obwohl unsere Preise relativ hoch sind, haben wir dennoch eine Platzausnutzung von über 80 Prozent!"), brachte ihm – etwa bei der rivalisierenden Volksbühne – den Ruf eines "Geschäftsmannes" ein, der "Theater für Touristen" mache. 2007 erregte Peymann Aufsehen, als er dem aus der Haft entlassenen Ex-RAF-Terroristen Christian Klar einen Praktikumsplatz anbot. Erneut erreichten ihn, vor allem aus der Politik, Rücktrittsforderungen. Peymann wiederum forderte eine Aufarbeitung des "Deutschen Herbstes".

Bei aller Freude am kalkulierten Tabubruch war das Peymann'sche Theater jedoch kein reines Skandal- und Provokationstheater. Wichtiger als die Irritation war dem Theatermacher das Gemeinschaftserlebnis: Theater als Ereignis zwischen Menschen, zwischen Schauspielern und Zuschauern. "Ich kämpfe dagegen, dass die Gesellschaft sich selber auffrisst. Gegen den Zeitraffer, diese totale Verkürzung und Verknappung von allem und jedem, die Ungeduld einer Gesellschaft, die nicht mehr innehalten will. Das Wesentliche am Theater ist, dass es innehalten kann und zurückschaut, dass es Gegenpositionen bezieht. "

Transsubstantiation

Wie der Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann kam auch Peymann nicht umhin, den Vergleich zur katholischen Messliturgie zu suchen. Die Transsubstantiation – als "Veränderung der Welt in Sekundenbruchteilen" – und der auf sie folgende kollektive Moment des Staunens und der Stille faszinierten ihn: "Dieses Wunder der Metamorphose, dieses Verzaubern für den Augenblick, ohne dass es länger hält, verbindet uns mit der katholischen Kirche. Dann wird’s ja auch immer ganz still, das finde ich immer ganz doll, und dann ist der Leib Leib und das Blut Blut und die Glocke läutet. Im Theater erleben wir das jeden Abend – ohne Papst."

Nach langer Krankheit ist Claus Peymann, der "Theaterpapst", am 16. Juli 2025 in seinem Haus in Berlin-Köpenick verstorben.

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