Keineswegs leichtgläubigKurt Tucholsky und Franz Werfel in Lourdes

Ein Skeptiker mit Tränen in den Augen. Ein Flüchtling mit einem Gelübde. Zwei Schriftsteller begegnen dem Wunder von Lourdes.

Lourdes
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Ein befreundeter Jesuitenpater erzählte mir kürzlich, er habe während seines Urlaubs das "Pyrenäenbuch" von Tucholsky gelesen und sei davon höchst angetan. Die Sonntagsmesse war eben zu Ende gegangen, wir standen am Eingang der Kirche, wo er die Besucher zu verabschieden pflegte, und weil viele dem Pater die Hand geben wollten, war keine Zeit für ein längeres Gespräch.

Brillianz und Präzision

In Schülertagen hatte ich "Panter, Tiger & Co." begeistert gelesen. Ich fand Tucholsky damals vor allem witzig. Ich weiß nicht, weshalb ich später einen Bogen um ihn gemacht habe. Es hing wohl mit dieser Witzigkeit zusammen. Ich las nun das "Pyrenäenbuch" und sah, dass ich ihm Unrecht getan hatte. Der Witz ist bloß der Effekt seiner stilistischen Brillanz, und die verbindet sich mit sachlicher Präzision.

Kurt Tucholsky (1890–1935) wohnt Ende der Zwanzigerjahre in Paris. 1927 reist er für einige Wochen nach Süden, besucht einen Stierkampf in Bayonne, das Jesuitenkloster in Loyola und gelangt unter anderem nach Lourdes. Dort, im Februar 1858, war der vierzehnjährigen Bernadette Soubirous die Mutter Gottes erschienen. So jedenfalls hat sie es bezeugt. 1933 wurde sie heiliggesprochen. Als sie damals auf Geheiß der Erscheinung die Erde in der Grotte aufkratzte, sprang daraus eine Quelle hervor, der wundersame Heilungen nachgesagt wurden. Heute besuchen jedes Jahr sechs Millionen Pilger den Wallfahrtsort.

Tucholsky, jüdischer Abstammung, hatte sich 1918 protestantisch taufen lassen. Er war, was die Kirche und den Klerus anbelangte, ein Skeptiker und besichtigte Lourdes einigermaßen misstrauisch. Er hatte sich gut vorbereitet, einige Bücher gelesen, darunter auch die letzte Schrift von Joris-Karl Huysmans, der mit dem Roman "À rebours" (1884) bekannt geworden war. In seinem Lourdes-Buch erkennt Huysmans in dem grässlichen Kitsch der Kirchen und der Andenkenläden die "rachsüchtigen Possen eines Dämons". Tucholsky zitiert das und widerspricht: "Es ist nicht der Teufel, der Lourdes so scheußlich gemacht hat. Es ist der Bürger."

So kritisch Tucholsky auch das Phänomen Lourdes beurteilt: Es bleibt ein unerklärlicher Rest, es bleibt ein Wunder.

Doch dann sieht er das Elend der oftmals Schwerkranken, hört die endlos sich wiederholenden Gebete, erlebt die Prozessionen mit der Monstranz, die Verzückung der hoffnungstrunkenen Pilger, bis ihm, dem Zweifler, die Tränen kommen. Keineswegs ist er leichtgläubig. Er diskutiert mit klugen Argumenten den therapeutischen Effekt der Bäder, vor allem die Wunderheilungen, aber so kritisch er auch das Phänomen Lourdes beurteilt: Es bleibt ein unerklärlicher Rest, es bleibt ein Wunder.

Tucholsky reist weiter durch die Berge, erkundet Andorra und gelangt nach Albi, wo er staunend vor der Kathedrale steht: "Diese Kathedrale hat mich an gar nichts erinnert – doch: an eins. An Gott. Ihr Anblick schlägt jeden Unglauben für die Zeit der Betrachtung knock-out."

Dreizehn Jahre später, im Sommer 1940, kam ebenfalls ein jüdischer Schriftsteller nach Lourdes. Für ihn allerdings war es keine Vergnügungsreise. Franz Werfel (1890–1945) befand sich auf der Flucht vor den Nazis und ihren Helfern. Im Herbst gelang ihm der Fußweg über die Pyrenäen nach Spanien und von dort nach Lissabon, wo ihn ein Schiff ins sichere Amerika brachte. Dort, in Los Angeles, ist er 1945 an einem Herzinfarkt gestorben. In Lourdes gelobte er, falls er gerettet würde, einen Roman über Bernadette Soubirous zu schreiben.

Ein Wagnis

"Das Lied von Bernadette" erschien 1941 und wurde auf der Stelle ein großer Erfolg. Im Vorwort schreibt Werfel: "Ich habe es gewagt, das Lied von Bernadette zu singen, obwohl ich kein Katholik bin, sondern Jude. Den Mut zu diesem Unternehmen gab mir ein weit älteres und viel unbewussteres Gelübde. Schon in den Tagen, da ich meine ersten Verse schrieb, hatte ich mir zugeschworen, immer und überall durch meine Schriften zu verherrlichen das göttliche Geheimnis und die menschliche Heiligkeit – des Zeitalters ungeachtet, das sich mit Spott, Ingrimm und Gleichgültigkeit abkehrt von diesen letzten Werten unseres Lebens."

Werfel hätte dieses großartige Buch nicht geschrieben, würde er Bernadette nicht glauben.

Werfel schildert das Leben des Mädchens mit Anteilnahme, ja, mit großer Liebe. Zwar ist er erkennbar darum bemüht, nicht naiv-wundergläubig zu sein. Er behandelt sein Thema mit gebührendem Ernst und großer Sorgfalt. Virtuos erzählt er von den Querelen, die Bernadettes Erscheinungen bis in die höchsten Stellen der staatlichen Administration auslösen, wie auch von der Verlegenheit, in die die Kirche dadurch gerät. Mir scheint klar: Er hätte dieses großartige Buch nicht geschrieben, würde er Bernadette nicht glauben.

Am Ende ist es der immer weiter wachsende Zustrom der trostbedürftigen, auf eine Wunderheilung hoffenden Kranken, der den Staat dazu zwingt, die bis dahin gesperrte Grotte freizugeben. Und die Kirche kann nicht umhin, nach langem Zögern die Geschehnisse in Lourdes als Wunder anzuerkennen. Ihr Richtspruch jedoch ist für Katholiken nicht verbindlich, man muss nicht daran glauben. Ich jedenfalls habe meine Zweifel.

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