"Chabos wissen wer der Babo ist" – diese Zeile hat den deutschen Rapper Aykut Anhan, Künstlername "Haftbefehl", so richtig berühmt gemacht. 2013 war wegen seines gleichnamigen Songs der "Babo" Jugendwort des Jahres, gemeint ist mit dem türkischen Wort ein Chef, ein Boss, eine Art Anführer im Straßenmilieu.
Seit Tagen beschäftigt eine Netflix-Dokumentation über das Leben des Deutschrappers die Öffentlichkeit. Die Diskussion hat auch das Feuilleton erreicht. Um was geht es? In 90 Minuten wird nicht nur das Leben Anhans beleuchtet, der als Kind türkischstämmiger Eltern in einer Hochhaussiedlung in Offenbach aufwuchs und früh seinen Vater an Suizid verlor. Nein, man sieht vor allem einen schwer kokainabhängigen Mann, dessen Sucht Familie und Umfeld massiv belastet. Das schockt und interessiert extrem viele. Ein neues "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"? Über vier Millionen Aufrufe hat der 90-minütige Film bereits, produziert hat ihn Elyas M'Barek, der beeindruckt ist von der "Kunst" des Rappers. Offenbacher Schüler fordern, die Texte von "Hafti" im Deutschunterricht zu behandeln.
Was so breit diskutiert wird, erreicht irgendwann auch die religiöse Bubble. Und die ist sich gerade nicht einig. Einige christliche Influencer wünschen dem suchtkranken Rapper, dass er zu Jesus findet. Das wiederum finden Accounts wie der einer angehenden Pastoralreferentin "so peinlich", weil mit Jesus ja nicht automatisch alles gut werde. Die Sache sei komplexer, Jesus sei ja gerade im Leid zu finden. Sie möchte sich am liebsten für diese Mitchristen entschuldigen.
Natürlich ist Leid komplex und auch ohne den Glauben kann man Hoffnung finden – aber heißt das, dass man diesen Weg deshalb nicht anbieten darf?
Ich finde das entlarvend. Muss, wer Theologie studiert hat, jedes Jesus-Bekenntnis erstmal kritisch ausbremsen, weil womöglich der Glaube "unreflektiert" und "fundamentalistisch" sein könnte? Aber warum eigentlich? Was ist denn falsch daran, Menschen in Not plakativ auf Jesus hinzuweisen? Hätten das die Jünger nicht auch getan?
Natürlich ist Leid komplex und auch ohne den Glauben kann man Hoffnung finden – aber heißt das, dass man diesen Weg deshalb nicht anbieten darf? Kann es nicht Ausdruck der eigenen Lebenserfahrung sein, die sagt: in meinen Tiefpunkten hat mich der Glaube wieder nach oben gebracht, ja, hätte ich die Geschichten von diesem Jesus aus Nazareth nie kennengelernt, wäre ich heute nicht so glücklich, wie ich es jetzt bin? "Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben", heißt es in der Apostelgeschichte. Warum ist es "übergriffig" geworden, ungefiltert von der eigenen Hoffnung zu erzählen? Zumal es beeindruckende Geschichten von Junkies gibt, die durch den Glauben clean wurden.
Wie sieht ein gutes Leben aus?
Mich hat das Haftbefehl-Biopic auch nachdenklich gemacht. Das tragische Leben eines suchtkranken Rappers, mit Texten, die Gewalt- und Drogenkonsum verherrlichen, ist vielleicht nichts für den Deutschunterricht – dafür aber etwas für das Fach Religion. Denn die Doku wirft wichtige Fragen auf: Darf man einen Menschen am Abgrund eigentlich so zeigen? Führt die Story nicht vor Augen, dass das von einigen Jugendlichen gehypte Leben, das er besingt, gerade ins Unglück führt? Wie sieht dagegen ein gutes Leben aus, eine wahre Heldenreise? Welche Werte wären dafür wichtig? Nebenthema außerdem: seine Frau. Ist sie stark, weil sie bleibt und alles erträgt, oder wäre es im Gegenteil stark, wenn sie geht?
Vielleicht ist das nicht für jeder Schulart geeignet, aber in Brennpunktschulen oder -klassen, wo der Religionsunterricht zwar noch Pflicht, aber oft besonders schwierig ist, kann ich mir das gut vorstellen. Aus eigener Erfahrung. Während eines Praxissemesters kam ich einmal in den Genuss, eine sogenannte BVJ-Klasse in Religion zu unterrichten. Das "Berufsvorbereitungsjahr" ist für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz (mehr) haben, aber noch der Schulpflicht unterliegen. Wir schauten den Film "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran". Resultat: In der Folgestunde konnten sich die Schüler nur noch daran erinnern, wie viel eine Prostituierte in Paris kostet. "Babo – Die Haftbefehl-Story" hätte sie vermutlich besser abgeholt und ein Gespräch über Werte und das "gute Leben" ermöglicht. Und vielleicht hätte da auch "Jesus" einen Platz gehabt.