Miterlöserin?Maria ernst nehmen heißt Frauen stärken

Der Vatikan äußert sich über marianische Titel. Schön und gut. Doch wer Maria wirklich würdigen will, muss Frauen in der Kirche mehr zutrauen.

Alina Oehler
© Carsten Schütz

Der Vatikan hat mit einem neuen Dokument klargestellt, dass Maria nicht "Miterlöserin" genannt werden soll. Das löst bei manchen Emotionen aus. Die Muttergottes ist vielen Katholiken heilig, mit geradezu zärtlicher Frömmigkeit wird sie um Hilfe angerufen.

Die Marienfrömmigkeit gehört dabei zu den Dingen, bei denen man gerade von Protestanten auch im privaten Kontext immer wieder angefragt wird. Warum man Maria überhaupt brauche, man könne sich doch direkt an Jesus wenden? Und bete man sie nicht an, zum Beispiel im Rosenkranz?

Man muss dann gestehen: Das Konzept, Heilige nicht als Götter anzubeten, sondern als Fürsprecher anzurufen, ist von außen nicht einfach zu verstehen. Aber darum geht es ja: "Heilige Maria, Muttergottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes, Amen."

Ich finde diese Tradition ganz wunderbar. So verschieden, wie wir Menschen sind, so gibt es verschiedene Heilige, die man mal mehr oder weniger sympathisch findet und sich zum Vorbild nehmen kann. Und sie können auch Trost bieten. Der Glaube, dass man sie um Hilfe anrufen kann, sie einen auf dem eigenen Lebensweg begleiten – der ist ganz alt und wird gern gepflegt. Zu sehen ist das in so gut wie jeder Kirche, wo Kerzen vor ihren Statuen angezündet werden, Blumen abgelegt sind oder Teile der Figuren abgegriffen sind, weil Gläubige sie im Gebet berühren. Der Katholizismus ist eine Religion für alle Sinne.

Abbild der Liebe Gottes

Und natürlich brennen in jeder Kirche zahlreiche Kerzen vor einer Marienstatue. Dass Maria eine besondere Rolle hat, das wird jetzt im Advent auch wieder deutlich. Als Mutter Jesu wäre ohne sie das Heilswerk Jesu gar nicht möglich geworden. "Ohne ihr Ja", wie es immer wieder heißt. Auch ist sie "privilegierte Zeugin" der Kindheit Jesu, wie in dem neuen Dokument steht.

Als Jesus später am Kreuz stirbt, macht er sie zur Mutter seines Jüngers Johannes ("Siehe Deine Mutter...") – und so irgendwie auch zur Mutter aller, die an ihn glauben. Das hat sich über die Jahrhunderte in so schöne Kunstwerke gegossen, wie die Ravensburger Schutzmantelmadonna. Menschen aller Stände werden in ihrem Mantel verborgen und finden Zuflucht und Trost.

Maria strahlt einfach diese mütterliche Liebe aus, nach der man sich sehnt – und die ja auch ein Abbild der Liebe Gottes ist.

Da ihre Verehrung gerade im ökumenischen Gespräch polarisiert, ist das neue Papier aus Rom sicher ein wichtiges Zeichen, in der Verehrung vorsichtig zu sein und ihre Stellung nicht zu überhöhen. Dass sich Rom mit ihr beschäftigt, ist dabei ja nicht neu, immer wieder gab es Streitthemen, die lehramtlich entschieden wurden, einmal ihre "unbefleckte Empfängnis", dann ihre Himmelfahrt.

Ein Punkt bleibt aber außen vor. Was mir bei der Marien-Verehrung immer aufstößt: Wenn Maria und ihr Leben als Projektionsfläche für ein einseitiges, altertümliches Frauenbild missbraucht werden. Das wird besonders deutlich im so gern angestimmten Lied "Wunderschön prächtige". Was soll Maria nicht alles sein – "liebreich", "holdselig", "Reinste wie keine", "makellose" und: "allzeit sanftmütige, milde, grundgütige".

Hier frage ich mich schon, ob das einer Realitätsüberprüfung standhält. Als Mutter kann ich mir kaum vorstellen, dass Maria "allzeit sanftmütig" war – beispielsweise, als Jesus ohne Bescheid zu sagen in den Tempel ging und sie ihn stundenlang suchen mussten. Insgesamt bedient so eine übersteigerte Marienverehrung, die diese Frau auf ein unerreichbares Podest stellt, wohl auch männliche Wunschvorstellungen – oder nicht? Ich kann so eine Frau nicht sein und ich kenne auch keine, die so ist. Mich provoziert das jedes Mal.

Ist eine übertriebene Marienverehrung manchmal vielleicht auch eine Ausrede, diese Lücke zu füllen, weil das Weibliche sonst kaum präsent ist, zum ganzen Menschsein aber dazugehört?

Wenn man sich schon mit Maria beschäftigt, würde ich mir wünschen, dass auch der Blick auf etwas anderes gelenkt wird: Dass Gott einer Frau zwar so eine große Rolle im Heilsplan gegeben hat, die Frauen heute in der Kirche (ein paar ebenfalls längst verstorbene Kirchenlehrerinnen ausgenommen) aber nicht wirklich sichtbar sind. Maria stand unter dem Kreuz, aber wer kann sich heute eine Frau neben dem Papst vorstellen?

Ist eine übertriebene Marienverehrung manchmal vielleicht auch eine Ausrede, diese Lücke zu füllen, weil das Weibliche sonst kaum präsent ist, zum ganzen Menschsein aber dazugehört? Priesterinnen braucht es dafür nicht sofort, das ist natürlich ein heikles Thema. Die Kirchengeschichte zeigt mit Blick auf mächtige Äbtissinnen oder eben die Kirchenlehrerinnen: es ging auch mal anders. Wo ein Wille ist, wäre auch ein Weg. Papst Franziskus hat im Vatikan erste Spitzenpositionen mit Frauen besetzt, das kann aber nur ein Anfang sein.

Würde man Maria und ihren Mut wirklich ernst nehmen, muss man Frauen auch heute in der Kirche mehr zutrauen. Ob Maria nun "Miterlöserin" ist oder nicht.

COMMUNIO Hefte

COMMUNIO im Abo

COMMUNIO will die orientierende Kraft des Glaubens aus den Quellen von Schrift und Tradition für die Gegenwart erschließen sowie die Vielfalt, Schönheit und Tiefe christlichen Denkens und Fühlens zum Leuchten bringen.

Zum Kennenlernen: 1 Ausgabe gratis

Jetzt gratis testen