Die FPÖ kann sich gerade selten guter Umfragewerte erfreuen. Soeben ist der Parteiobmann Herbert Kickl mit fast 97 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt worden. Bei seiner Rede auf dem Parteitag der FPÖ hat der selbsternannte künftige "Volkskanzler" die Theologie des Apostels Paulus bemüht. Er habe jüngst den 1. Korintherbrief wieder gelesen und wolle die Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe für seine Politik aufgreifen. In einem kühnen Transfer wird dies auf die Bezüge der Senioren bezogen, die nicht gekürzt werden sollten, das Vorhaben der "Systemparteien" sei Verrat an der Arbeitsleistung der Älteren, aber auch die nachrückende Generation müsse gute und gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen erhalten.
Sowohl die Bestimmung der Höhe der Pensionsbezüge wie die politische Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen tangiert komplexe Fragen der Sachpolitik. Hier spielen viele Faktoren hinein, die es gerade in Zeiten einer anhaltenden Budget-Krise des Staates abzuwägen gilt. Fachliche Expertise und beratungsoffene Politik sollten nach konstruktiven Lösungen suchen. Die Trias von Glaube, Hoffnung und Liebe kann politische Optionen motivieren, zur Rechtfertigung konkreter politischer Vorschläge taugt sie nicht.
Nach dem Plakat mit dem brennenden Stephansdom, das die FPÖ als Retterin des "christlichen Abendlandes" inszenieren sollte, handelt es sich erneut um einen Fall von politischer Instrumentalisierung der christlichen Religion. Das aber verdient theologischen Einspruch. Abgesehen davon, dass zwischen dem Christen und Politiker Kickl und dem Apostel und Völkermissionar Paulus ein "garstig breiter Graben" (Lessing) von zwei Jahrtausenden klafft, der durch einen hermeneutischen Kurzschluss nicht schon überbrückt ist, sollte man sich durch die suggestive Rhetorik Kickls den Sinn für Unterschiede nicht vernebeln lassen.
Paulus war kein Politiker, sondern Wandermissionar, der allein auf die Überzeugungskraft des Wortes gesetzt hat. "Wenn ich schwach bin, bin ich stark." Paulus hat den Glauben an den Gekreuzigten gebunden. Der Gekreuzigte aber steht für eine Kultur des Mitleids mit den Schwachen und nicht für Strategien der Ausgrenzung und Inszenierungen politischer Stärke. Die Hoffnung richtet sich bei Paulus über die irdischen Wirklichkeiten hinaus auf die himmlische Polis, in der alle Getauften, die sich um einen evangeliumsgemäßen Lebensstil bemühen, ein Bürgerrecht haben. Und das paulinische Konzept der Liebe ermahnt zu Geduld und Mäßigung und zielt auf die Schau von Angesicht zu Angesicht.
Kickl begeht eine fragwürdige parteipolitische Vereinnahmung, wenn er Paulus für seine umstrittenen Optionen heranzieht.
Der gläubige Christ Herbert Kickl ist eingeladen, sich in seinem Lebensstil an der paulinischen Trias von Glaube, Hoffnung und Liebe zu orientieren. Er begeht aber eine fragwürdige parteipolitische Vereinnahmung, wenn er Paulus für seine umstrittenen Optionen heranzieht. Man muss es klar sagen: Das Projekt einer "Festung Österreich" steht quer zum Universalismus des Evangeliums. Die Engführung des Begriffs "Volk" auf eine ethnisch homogene Größe hat mit dem theologischen Terminus "Volk Gottes" nichts zu tun, der die Gemeinschaft der Gläubigen bezeichnet, die bekanntlich Grenzen von Völkern und Nationen überschreitet.
Es ist klar, dass die Migration von Menschen aus anderen Kulturen mit anderen religiösen Überzeugungen anhaltende gesellschaftliche Anstrengungen verlangt. Auch sind Akteure eines politischen Islam, die in Österreich nichts weniger als ein Kalifat errichten wollen, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln in die Schranken zu weisen. Aber "den" Islam pauschal unter Generalverdacht zu stellen und unverfroren eine "Remigration" zu fordern, verschärft die Polarisierung anstatt sie zu lindern.
Gewiss kann der Glaube politisches Engagement anstoßen. Aber die Unterscheidung zwischen Politik und Religion sollte nicht verwischt werden. Sie hält für alle Politiker – nicht nur für Herbert Kickl – die Lektion der Demut bereit. Die Sphäre der Politik ist menschlich, ihre Mittel sind vorläufig, die Sphäre der Religion zielt auf Gott und übersteigt den Radius des Irdischen. Sie hält zugleich die Differenz zwischen Gott und Mensch wach. Kein politischer Akteur, mag er sich auch "Volkskanzler" oder gar "Führer" nennen, ist ein Heilsbringer. Statt die Politik der "Festung Österreich" religiös zu überhöhen oder sich als unmittelbarer Sachwalter der Theologie des Apostels Paulus zu inszenieren, gilt es, diese Differenz in Erinnerung zu halten. Gerade heute.