Von Andreas Schaub
Die heutige Altstadt ist geprägt durch das einzigartige Ensemble von Rathaus, Dom und dem dazwischenliegenden Katschhof. Hier atmet man Geschichte, die in die Zeit des ersten europäischen Herrschers, Karls des Großen, zurückreicht. An keinem anderen Ort sind Großbauwerke der Karolingerzeit in vergleichbarer Vollständigkeit auf uns gekommen. Allen voran die Marienkirche – der heutige Dom. Die auf den Hinweisschildern an der Autobahn verwendete Bezeichnung »Kaiserdom « ist allerdings irreführend. Zur Zeit, als Karl der Große Kaiser wurde (Krönung in Rom im Jahr 800), war Aachen kein Bischofssitz und die Kirche mithin kein Dom. Sie war vielmehr eine Stiftskirche, in der eine Klerikergemeinschaft zum Wohl von Herrscher und Reich wirken sollte.
»Lieblingspfalz« Karls des Großen
Der Ursprungsbau des Doms, der nach archäologisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nach 793 entstanden war, ist mit Ausnahme des ursprünglich kleinen Ostchors noch nahezu vollständig erhalten: Der oktogonale Zentralbau mit sechzehneckigem Umgang, der Westbau mit Vorhalle und das Atrium (heute Domhof) bilden den Kern der Kirchenanlage, die in späteren Jahrhunderten durch einen regelrechten Kapellenkranz im Süden und Norden sowie den gewaltigen Chor im Osten umgeben wurde. Eines der Prunkstücke ist zweifellos das originale bronzene Eingangsportal, heute am Westende der Vorhalle eingebaut, ursprünglich jedoch an deren Ostende platziert. Das Innere der Kirche strahlt in frisch restauriertem Glanz, der allerdings in dieser Form erst im späten 19. und frühen 20. Jh. entstanden war. Die beeindruckenden Goldglasmosaiken und die Marmorverkleidung gehen auf die wilhelminische Kaiserzeit zurück. Im Inneren ist es vor allem der Marmorthron im Obergeschoss, den die Touristenmassen – wir sprechen von bis zu 1,5 Millionen pro Jahr – mit dem großen Karl verbinden. Jüngste Forschungen lassen allerdings erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass der Stuhl weiter zurückreicht als in die Zeit der Ottonen um das Jahr 1000.
Nach den jüngsten archäologischen Grabungen zwischen 2007 und 2011 ist an mehreren Stellen des Umgangs die Sicht auf ältere Bauphasen ermöglicht worden. Durch Glasplatten im Nord- und im Südwestjoch kann man punktuell Einblick in die Römerzeit erhalten. Der Dom steht nämlich an einem Platz, der zwischen dem 2. und 5. Jh. von einem der größten Heilbäder des Imperium Romanum eingenommen wurde. Die sogenannten Münsterthermen erstreckten sich über einer Fläche von rund 6700 m2.
»Archäologisches Fenster« mit Resten der römischen Münsterthermen unter dem Nordjoch im Aachener Dom.
Andreas Schaub
Durch eines der Fenster sieht man ein apsidiales Kaltwasserbecken mit Ziegelboden. Bei näherem Hinsehen erkennt man im Scheitel der Apsis einen Riss, der sich auch im Boden und sogar in den karolingischen Spannfundamenten fortsetzt. Naturwissenschaftliche Untersuchungen konnten belegen, dass es sich um Spuren eines Erdbebens handelt. Diese Naturkatastrophe hatte sich während der Bauzeit ereignet, ohne nachhaltigen Schaden angerichtet zu haben, und fand im Jahr 803 sogar Eingang in die Reichsannalen, die offizielle Geschichtsschreibung. Den bedeutenden Aachener Kirchenschatz einschließlich des berühmten Proserpinasarkophags, in dem Karl der Große bestattet worden sein soll, kann man in der Domschatzkammer besichtigen.
Südlich und nördlich der Marienkirche sind weitere Bauten der frühmittelalterlichen Pfalz bekannt, deren Funktionen allerdings völlig unklar sind. Von ihnen haben sich keine obertägig sichtbaren Teile mehr erhalten. Ihre Grundrisse sind jedoch durch große Basaltplatten im Pflaster markiert.
Zwischen Dom und Rathaus befindet sich der Katschhof. Sein Name geht auf den dort ursprünglich platzierten Pranger (»Kaks«) zurück. In älteren Modellen der Aachener Pfalz ist dieser Platz als große Freifläche dargestellt. Neuere Untersuchungen zeigten jedoch, dass er seinen Ursprung erst im 12. Jh. hatte. Zuvor standen auch dort weitere Gebäude der Pfalz. Insbesondere scheint sich an dieser Stelle ein handwerklicher Hotspot befunden zu haben, wo neben Metall (Eisen und Kupfer) auch Knochen, Geweih und sogar Bergkristall produziert bzw. verarbeitet wurde.
Von einem verbindenden Gang zwischen Marienkirche und Königshalle (heute Rathaus) haben sich an der Westseite des Katschhofs noch einige Reste erhalten. Unmittelbar vor dem Rathaus steht an dessen Stelle aber das ursprüngliche Verwaltungsgebäude, das heute das neue Stadtmuseum »Centre Charlemagne « beherbergt.
Das imposante Rathaus war ursprünglich das eigentliche palatium, die Königshalle der Pfalz. Nach Teilabriss im 13. Jh. wurde der gotische Neubau der Königshalle auf dem alten Grundriss errichtet und um 1350 fertiggestellt. Seit dieser Zeit ist es der kommunale Verwaltungssitz, aber auch Ort der Krönungsmahle der in Aachen gekrönten Häupter.
Das aufgehende Mauerwerk ist heute noch bis in 8 m Höhe karolingerzeitlich. Von dem an der Ostseite der Halle befindlichen Treppenturm sind noch vier der sechs Geschosse bis in ca. 20 m Höhe in ihrem ursprünglichen Zustand. Seine heutige Bezeichnung »Granusturm« geht auf die Renaissance zurück, als man das Bauwerk noch mit einer legendären antiken Person namens Granus, einem angeblichen Bruder Neros, verbinden wollte. Während das Rathaus inzwischen für museale Zwecke erschlossen wurde, ist der Granusturm nicht öffentlich zugänglich
Ohne Römer kein Karl
Die Schaufassade des Rathauses blickt auf den Markt, die größte Freifläche innerhalb der Altstadt. Wie erst seit wenigen Jahren bekannt ist, geht seine Ausdehnung im Wesentlichen auf ein spätrömisches Castrum zurück, das am Ende des 3. Jh. dort entstanden war. Die Umfassungsmauer bildete ein sich dem Kreis näherndes Polygon, das mit Rundtürmen versehen war. Ein Teil der Mauer mit Ansatz eines der Türme kann man an der Ostseite des Marktes, im Untergeschoss eines gastronomischen Betriebes, unter einer großen Glasplatte sehen.
Blick durch die Rommelsgasse auf den Markthügel mit Granusturm. Der Name geht auf die Renaissance zurück, als man das Bauwerk mit einer legendären antiken Person namens Granus, einem angeblichen Bruder Neros, verbinden wollte.
Andreas Schaub
Grabungen seit 2011 haben gezeigt, dass das Castrum erst im 12. Jh. abgetragen wurde. Die karolingische aula regia war also in die beeindruckende, fast 5 m breite Wehrmauer integriert. Man kann vermuten, dass die noch weitgehend unbekannte Frühphase der Pfalz unter dem Vater Karls des Großen, Pippin dem Jüngeren, innerhalb dieser Wehranlage bestanden hat. Frühmittelalterliche Siedlungsspuren finden sich aber nicht nur auf dem Markt, sondern nahezu in der gesamten Altstadt, sodass eine Siedlungskontinuität seit römischer Zeit problemlos belegt werden kann.
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Mit Barbarossa wird die Pfalz zur Stadt
Der Abbruch des Castrums und die sich daran anschließende Etablierung des dadurch frei werdenden Platzes als Markt erfolgte etwa zeitgleich mit der Umgestaltung des Katschhofs zum Platz. Diese Entwicklung ist kaum mit einer Umstrukturierung der Pfalz, sondern bereits mit der Neuausrichtung der Siedlung als mittelalterliche Stadt zu erklären. Abgeschlossen wurde diese Entwicklungsphase durch den auf Geheiß Friedrich Barbarossas im Jahre 1171 begonnenen Bau der ersten Stadtmauer. Dieser ältere von zwei Mauerringen ist im Stadtbild anhand einer durchgehenden Straße, dem sogenannten Grabenring, gut erkennbar.
Nur an wenigen Stellen ist noch originale Bausubstanz obertägig erhalten. Ihr Verlauf ist jedoch an vielen Stellen durch Markierungen im Pflaster kenntlich gemacht. Inzwischen wurde damit begonnen, an markanten Punkten Logosteine der »Barbarossamauer« zu platzieren und diese Stellen mit Erklärungstafeln zu versehen. Im Norden der Altstadt ist die Stadtumwehrung noch am besten nachvollziehbar. Am Templergraben, zwischen der Eilfschornsteinstraße im Nordwesten und der Pontstraße im Nordosten, sind noch einige Kurtinenabschnitte teilweise erhalten.
Vor einem Seminargebäude der RWTH, am Templergraben 90, ist ein weiteres »Archäologisches Fenster« entstanden, das Einblick in die Wehrarchitektur bietet. Dort ist ein Teil des ursprünglich etwa 25 m breiten und bis zu 8 m tiefen Grabens mit feindseitiger Grabenböschungsmauer (»Konterescarpe «) konserviert.
Heiß gebadet
Kannte man Aachen bisher vor allem als Ort der »Lieblingspfalz« Karls des Großen, war seine römische Vergangenheit fast ausschließlich mit dem Heilbadewesen verknüpft worden. Den die Altstadt querenden heißen Mineralquellenzug hatten die Römer immerhin schon an zwei Stellen erschlossen. An Quirinus- und Kaiserquelle entstand mit den Büchel- und den Münsterthermen ein mehr als 11 000 m2 umfassender Bäderbezirk. Einblicke in die Münsterthermen kann man, wie bereits gesehen, bei einem Dombesuch erhalten. Von den Büchelthermen ist heute nur noch ein transloziertes Mauerfragment von einem der Thermalbadebecken sichtbar. In dem eigens dafür im Schaufenster einer Buchhandlung in der Buchkremerstraße eingerichteten »Archäologischen Fenster« ist neben der Mauer auch ein Bildschirm angebracht, auf dem eine Präsentation zum römischen Badewesen in Aachen zu sehen ist.
Den restlichen Rundgang durch Aachen gibt es exklusiv in der AiD 3/2025