Es ist das erste Mal, dass das Molekül Indigotin, eine blaue Sekundärverbindung, auch bekannt als Indigo, auf so alten Fundstücken nachgewiesen wurde. Das Molekül entsteht durch die Reaktion zwischen atmosphärischem Sauerstoff und natürlichen Glykosidvorläufern, die aus den Zellvakuolen der Blätter von Isatis tinctoria L. freigesetzt werden. Die Entdeckung zeigt, dass diese Pflanze, obwohl sie nicht essbar ist, bereits vor 34.000 Jahren in einem komplexen Verfahren gezielt verarbeitet wurde.
Diese Entdeckung, die in der Fachzeitschrift PLOS One veröffentlicht wurde, gibt einen Einblick in die Komplexität der Interaktionen zwischen den ersten Homo sapiens und ihrer Fähigkeit, pflanzliche Ressourcen nicht nur als Nahrung, sondern auch für komplexe Funktionen wie Färben und medizinische Zwecke zu nutzen. Isatis tinctoria L. ist nämlich seit jeher für seine Verwendung als Färbe- und Heilpflanze bekannt.
„Anstatt Pflanzen nur als Nahrungsquelle zu betrachten, wie es oft der Fall ist“, erklärt Laura Longo, Archäologin an der Universität Ca' Foscari in Venedig, „hebt diese Studie ihre Rolle innerhalb komplexer Arbeitsabläufe hervor, die wahrscheinlich mit der Verarbeitung verderblicher Materialien für deren Verwendung in verschiedenen Phasen des täglichen Lebens der Homo sapiens vor 34.000 Jahren zusammenhängen. Unser multi-analytischer Ansatz eröffnet neue Perspektiven für das Verständnis der technologischen und kulturellen Raffinesse der Populationen der Jungsteinzeit, die es verstanden, eine unerschöpfliche Ressource, nämlich die Pflanzen, kompetent zu nutzen, da sie sich der Kraft der Pflanzen bewusst waren.“
Die Steinwerkzeuge aus dem Kaukasus
Die Entdeckung wurde durch mikroskopische Analysen alter Steinwerkzeuge aus der Höhle von Dzudzuana ermöglicht, die sich an den Hängen des Kaukasus in Georgien befindet. Die Werkzeuge stammen aus einer Schicht aus der Altsteinzeit, die auf etwa 34.000 Jahre datiert wird und im Jahr 2000 im Rahmen eines internationalen Projekts ausgegraben wurde, das damals von Ofer Bar-Yosef (Harvard University, USA), Tengiz Meshveliani, Nino Jakeli (Georgisches Nationalmuseum) und Anna Belfer-Cohen (Hebräische Universität Jerusalem, Israel) koordiniert wurde.
Offene Hypothesen: Medizinische Verwendung oder Farbstoff?
Die Blätter von I. tinctoria waren vermutlich kein Nahrungsmittel, da sie bitter und nährstoffarm sind. Viele Pflanzen haben jedoch medizinische Wirkungen, beispielsweise gegen Entzündungen, Tumore, Viren oder Schmerzen. Selbst Tiere – bis hin zu Insekten – nutzen Pflanzen gezielt zur Selbstheilung. Auch heute werden die Wurzeln und Blätter der Indigopflanze medizinisch genutzt, da sie Wirkstoffe mit heilenden und schützenden Eigenschaften enthalten. Daher ist es naheliegend, dass Menschen der Altsteinzeit ebenfalls Pflanzen zur Selbstmedikation verwendeten.
Die Pflanze I. tinctoria liefert den blauen Farbstoff Indigotin, der seit der Vorgeschichte bekannt ist und spätestens im Alten Ägypten nachweislich verwendet wurde. Schriftliche Belege hierfür finden sich im Stockholmer Papyrus. Ein Einsatz schon im frühen Jungpaläolithikum wäre zwar möglich, archäologische Nachweise fehlen jedoch. Farben spielten im Jungpaläolithikum generell eine wichtige Rolle, besonders mineralische Pigmente wie Rot, Gelb, Weiß und Schwarz in der Felskunst. Blau war dagegen selten und wurde in dieser Zeit nur vereinzelt nachgewiesen, beispielsweise bei Figuren aus Sibirien.
Indigotin, ein sekundärer Pflanzenstoff, wurde erstmals in jungpaläolithischen Mikrorückständen auf Steinkieseln nachgewiesen. Dies weist auf die gezielte Verarbeitung von Isatis tinctoria zur Gewinnung von Indigotin-Vorstufen hin. Dies ist der früheste direkte Beleg für die Nutzung einer nicht-nahrhaften Pflanze und zeigt, dass die Menschen jener Zeit komplexe Verhaltensweisen entwickelten, die über die reine Ernährung hinausgingen. Ob die Pflanze zur Gewinnung von Farbstoffen oder als Medizin genutzt wurde, bleibt offen.
Meldung Universität Ca' Foscari Venedig
Originalpublikation:
Longo L, Veronese M, Cagnato C, Sorrentino G, Tetruashvili A, Belfer-Cohen A, et al. (2025) Direct evidence for processing Isatis tinctoria L., a non-nutritional plant, 32–34,000 years ago. PLoS One 20(5): e0321262. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0321262