Die zahlreichen Funde und Befunde zeigen an, dass bereits vor 3.000 Jahren die günstige Lage des Platzes unmittelbar an der Ohre und nahe deren damaliger Mündung in die Elbe geschätzt wurde. Die verkehrsgünstig gelegene Region an der unteren Ohre war während der späten Bronzezeit (etwa 1.300 bis 750 vor Christus) vom Aufeinandertreffen zweier großen Kulturgruppen geprägt. Es handelt sich um den Nordischen Kreis der Bronzezeit und die Lausitzer Kultur, deren Einflüsse sich in lokalen Gruppen, wie der sogenannten Elb-Havel-Gruppe und der Saalemündungsgruppe, manifestieren.
Eine Siedlung der späten Bronzezeit
Am leicht ansteigenden nördlichen Rand der Ohreniederung konnten auf der bisher untersuchten gut 5.000 Quadratmeter großen Fläche bereits 322 archäologische Befunde dokumentiert und über tausend Funde geborgen werden. Bei den Befunden handelt es sich überwiegend um Siedlungsgruben und Abfallgruben. Zum Teil wurden für die Epoche typische runde, ursprünglich mit Flechtwerk ausgekleidete Vorratsgruben für Lebensmittel sekundär zur Entsorgung verwendet. Drei Gruben sind anhand ihrer verziegelten Seitenwände sowie mittels Fragmenten von gebranntem Lehm und Holzkohlen in den Verfüllungen als Öfen zu identifizieren. Bei zwei der Ofengruben lassen gebrannte Lehmfragmente mit Abdrücken von Rundhölzern Rückschlüsse auf Ofenaufbauten beziehungsweise Ofenabdeckungen zu.
Der gefundene Panzer einer Sumpfschildkröte
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juliane Huthmann
Die dritte Ofengrube zeigte eine einzigartige Befundsituation: Am Grubenrand wurde neben einer Keramikscherben-Konzentration der Panzer einer Sumpfschildkröte freigelegt; Laboruntersuchungen werden zeigen, ob beziehungsweise wie das Tier zubereitet wurde. Mehrere größere Eingrabungen sind als Materialentnahmegruben zur Lehmgewinnung zu interpretieren.
Einige Gebäude der Siedlung konnten über Pfostengruben nachgewiesen werden. Anhand der konstruktiven Pfosten sind ein größeres Wohnhaus sowie kleinere Wirtschaftsbauten und Speicherbauten identifizierbar. Das nicht vollständig erfasste zweischiffige Hauptgebäude war 4 Meter breit und mehr als 6 Meter lang. Die sechspfostigen Speicherbauten hatten eine Größe von etwa 2 mal 3 Meter. Hervorzuheben ist ein eingetieftes Gebäude von 4 mal 3,3 Meter Größe. Eine Reihe von pyramidenförmigen Webgewichten lässt erkennen, dass es sich um ein Webhaus gehandelt hat. Auf einem stehenden Webstuhl wurden Stoffbahnen von ungefähr 60 Zentimeter Breite hergestellt.
Unter dem umfangreichen Fundmaterial der Wolmirstedter Grabung dominiert Gefäßkeramik: Für die späte Bronzezeit charakteristische rauhwandige Vorratstöpfe und Kochtöpfe sowie teilweise verzierte Krüge und Tassen. Daneben wurden vereinzelt bronzene Ringe sowie Pfrieme aus Bronze und Knochen geborgen. Überwiegend handelt es sich bei den gefunden Tierknochen – unter anderem von Rind, Schwein, Schaf/Ziege – allerdings um Speisereste.
Eine rätselhafte Bestattung
Irreguläre Siedlungsbestattung der späten Bronzezeit
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juliane Huthmann
Über reine Siedlungstätigkeit hinaus weist der Fund eines menschlichen Skeletts. Während die Toten in der späten Bronzezeit üblicherweise auf Scheiterhaufen verbrannt und auf Urnengräberfeldern außerhalb der Siedlungen beigesetzt wurden, kommen gelegentlich Köperbestattungen innerhalb von Siedlungsarealen vor. So auch in Wolmirstedt: In einer Siedlungsgrube fand sich ein Toter in Hocklage mit verdrehtem Kopf. Bei dem Toten handelt es sich um einen erwachsenen, kräftigen Mann, der etwa 1,7 Meter groß war. An den Knochen konnten bei der ersten Sichtung keine Traumata oder Mangelerscheinungen festgestellt werden. Über die Motivation für derartige ›irreguläre‹ Bestattungen herrscht Unklarheit. Sind sie Zeugnis ritueller Handlungen? Gab es mehrstufige Beisetzungsvorgänge? Spiegeln sie eine soziale Differenzierung wider?
Die Ausgrabungen in Wolmirstedt geben einen vielschichtigen Einblick in die Welt der späten Bronzezeit. Nach Abschluss der Geländearbeit und Auswertung von Grabungsdokumentation und Fundmaterial wird ein komplexes Bild einer Siedlung beziehungsweise einer Gehöftgruppe in einem kulturellen Grenzraum entstehen. Die Ausgrabungen des achtköpfigen Teams des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt werden noch bis zum 15. Oktober 2025 andauern.
Meldung Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt