Wie sind Schützen eigentlich? Wie sehen Sie, liebe Mitglieder der Schützengesellschaft, sich selbst?
Sind sie starke Menschen, die einiges aushalten und kraftvoll auftreten? Oder sind sie auch manchmal schwach und drohen zu zerbrechen.
Gut, das Auftreten nach außen vermittelt ein in jeder Hinsicht starkes Bild: Da prangen an Uniformen Orden und Ehrenzeichen. Da werden Symbole des Ansehens und des Erfolgs stolz getragen. Es ist eine Freude und ein beeindruckendes Bild, wenn sie gleich von der Kirche zum Schützenhof ziehen. Eine stolze lange Tradition wird da repräsentiert. Eine glanzvolle und erfolgreiche Geschichte.
Wie passt denn da, bei all dem Glanz, der Spruch dieser Woche dazu? Wie können wir angesichts eines ausgewachsenen Fackelzugs vom glimmenden Docht reden? „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“
Man kann sich die Situation, in der dieser Text entstanden ist, gut vorstellen:
Der zweite Prophet unter dem Namen Jesaja saß eines nachts an seinem Schreibtisch. Allerdings hatte er keinen Computer zur Verfügung, nicht mal eine Schreibmaschine und auch kein elektrisches Licht. Alles, was uns die Arbeit vereinfacht, hatte er nicht, das war um Jahrtausende noch nicht erfunden.
Auch war die Situation des Propheten angespannt. Jesaja stand in ständigem Kontakt mit den verschleppten Israeliten. Viele Nachrichten sind hin und her gegangen. Immer wieder hatte er von seinen Landsleuten im Exil gehört. Er hatte ihre Klagen und ihr Geschrei vernommen.
Sie waren als ein besiegtes Volk, nachdem sie einen verlustreichen Krieg endgültig verloren hatten, verschleppt worden. Die Heimat war gründlich zerstört. Dieses Volk war geknickt. Nichts Aufrechtes und Leuchtendes hatte es mehr an sich. Diesem geschlagenen Volk hatte der Prophet in Gottes Auftrag Gottes Wort zu verkündigen.
Und so sitzt Jesaja nun in der Nacht an seiner Arbeit und schreibt. Es ist spät geworden, der Docht der Öllampe glimmt nur noch. Jesaja ist müde, seine Augen sind vom langen Schreiben, vom schwächer werdenden Licht und der blakenden Flamme überanstrengt. Immer wieder hat er gebetet und auf Gottes Stimme gehorcht, um sich zu vergewissern, dass das, was er dort schreibt, Gottes Worte sind. Als Prophet ist es seine Aufgabe, den Menschen Gottes Weisungen und Ratschlüsse mitzuteilen. Nicht billigen Trost oder gar Vertröstungen soll er schreiben, sondern er sieht sich als Werkzeug Gottes.
Jesaja taucht hastig sein Schreibrohr in die Tinte ein. Seine müde Hand führt das Rohr, das er gerade erst neu angespitzt hat. Es kratzt über den Papyrus. Da – sein Schreibrohr knickt durch. Zu heftig, zu unkonzentriert hat Jesaja das Rohr benutzt. Das Schilf hielt der Beanspruchung nicht mehr stand.
Jesaja ist ärgerlich. Er merkt plötzlich seine Müdigkeit, seine angestrengten Augen, seine Unzufriedenheit. Ärgerlich zerbricht er das geknickte Rohr und wirft es weg. Er löscht den nur noch glimmenden Docht. Erschöpft stützt er seinen Kopf in die Hände.
Da offenbart ihm Gott Bilder des Gottesknechts, des Auserwählten Gottes, der den Geist Gottes besitzt und der Recht und Frieden bringen wird. Gottes Knecht wird den Menschen das Recht schaffen, nach dem sie verlangen. Endlich wird die Gerechtigkeit herrschen, nach der die Menschen schon so lange dürsten. Alles wird sich verändern, wenn der Knecht Gottes erscheint. Alles wird neu und gut werden.
Der Knecht Gottes wird das geknickte Rohr nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht nicht auslöschen, so denkt Jesaja. Anders als wir Menschen, die dem geknickten Rohr und dem glimmenden Doch den letzten Rest geben, wird der Knecht Gottes retten, was zu retten ist.
Wir werfen weg, was eine Macke hat, bringen zum Schrott, was nicht bester Technik entspricht und werfen zum alten Eisen, was in seiner Leistungsfähigkeit nicht modernsten Ansprüchen genügt.
Wie tröstlich ist es doch, dass Gottes Knecht so anders reagiert als wir Menschen. Wie gut ist es zu wissen, dass uns nicht der letzte Rest gegeben wird. Wir mögen noch so viele Macken und Fehler haben. Unsere Leistungsfähigkeit mag noch so eingeschränkt und überholt sein. Gott gibt uns dennoch nicht den letzten Rest. Nein, ganz im Gegenteil: Wir mögen noch so am Ende sein, wir mögen noch so viel falsch gemacht haben, wir mögen uns noch so nutzlos vorkommen: Wir sollen und wir werden wieder aufgerichtet werden.
Die Schützengesellschaft besteht nun über eine sehr lange und wechselvolle Zeit. Denken wir nur an die äußeren Ereignisse. Es waren glanzvolle Zeiten darunter, aber eben auch Krisenzeiten. Schauen wir als Beispiel doch nur auf die nationalsozialistische Zeit, den Zweiten Weltkrieg und die nachfolgende Neuorientierung. Unser Volk, unsere Stadt und doch wohl auch die Schützengesellschaft waren angeschlagen und geknickt.
Wenn wir gemeinsam zurückblicken, ist es einfach, die glanzvollen Zeiten in den Blick zu nehmen. Aber auch die anderen gehören dazu. Und es ist mit Blick auf diese Zeiten umso schöner, dass die Schützengesellschaft heute glanzvoll dasteht und nicht ausgelöscht wurde.
Nun, wie sind Schützen eigentlich? Wie sehen Sie, liebe Mitglieder der Schützengesellschaft sich selbst?
Sicher sind sie glanzvoll und stark. Aber jede und jeder weiß doch auch von seinen Schwächen. Gut, die trägt man nicht vor sich her, aber wir wissen, dass Gott den ganzen Menschen sieht. Und so beginnen sie dieses Schützenfest mit einem Gottesdienst. Sie stellen sich als einzelne und als Gesellschaft unter Gottes Begleitung. Und dabei vertrauen wir darauf, dass er mit seinem Segen bei uns ist, auch wenn wir nicht stark sind. Wir vertrauen darauf, dass er das geknickte Rohr nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht nicht auslöschen wird. Das stärkt jede und jeden einzelnen von uns, und das stärkt uns gemeinsam.