Sich selbst finden, anders leben

„Klösterreich“ – man denkt an Zeugnisse großer und reicher Kultur, an altehrwürdige Mauern aus einer Zeit, in der die monastische Kultur das katholische Land bestimmte. Zu den Menschen gehen, ihrem Suchen Gastfreundschaft geben – das ist die Kraft der Klöster heute.

Das Angebot: Lebenskunst und Lebenskultur

„Ich trau‘ mich nicht!“, meinte ein durchgestresster Bekannter auf meinen Vorschlag hin, „doch mal ins Kloster zu gehen“. Er gesteht: „Das will ich schon lange einmal machen. Aber die sind doch so anders.“ Was ist es, das Klöster, Ordensgemeinschaften, Stifte so anders erscheinen lässt? Kurz ver­mutet: Sie versuchen zu leben, was wir so nötig hätten. Nämlich anders. Die Angebote sind überall präsent.
„Klösterreich“, das ist ein solches An­gebot. Und mehr als eine historische Reminiszenz. Es wurde über Öster­reich hinaus bekannt als Zusammen schluss von 22 Klöstern und Stiften, die sich der besonderen Gastfreundschaft angesichts der vielen Kulturschätze verschrieben haben. „In den öster­reichischen und bayrischen Klöstern und Stiften kann der Mensch eintau­chen in ein tiefes Verständnis einer Le­benskultur über Jahrhunderte. Wer in einer der imposanten Klosterbibliothe­ken steht, einen Kaisersaal um sich hat oder eines der Ordensarchive durchstö­bern darf, wird über das angesammel­te Wissen und die damit verbundene Lebenskunst nur staunen können. Ro­manische, barocke bis hin zu moder­nen Kunsträumen verlangsamen den Atem, die Augen gehen weit auf und das Herz weiß: Hier bin ich nicht al leine. Da waren schon viele und wer­den noch viele kommen.“ So aus dem Mund einer jungen Historikerin, die für ihre entstehende Diplomarbeit ein Intro sucht. Und sie merkt an: „Es würde den Seelen heute guttun, hier einzu­tauchen.“

Der Kern von „Klösterreich“

Und Klösterreich heute? 2014 habe ich eine zehntägige Tour zu Fuß und aus­schließlich mit öffentlichen Verkehrs­mittel durch verschiedene Ordenshäu­ser in ganz Österreich unternommen. So kam ich von den Schulschwes­tern in Graz nach Wien bis hinauf in die Waldviertler Stifte Zwettl und Al­tenburg, von den Jesuiten in Linz in die Erzabtei St. Peter in Salzburg. Die Don-Bosco-Schwestern waren wie die Helferinnen am Weg nach Maria Kir­chental zu den „Missionarinnen Chris­ti“. Wir schauen noch bei Bruder Rai­mund in der Einsiedelei in Saafelden vorbei, bevor mich der Zug in Kärn­ten nach Villach zu den Franziskanern bringt. Von dort tragen mich die Füße wieder hinaus ins Kloster Wernberg. Zwölf Ordenshäuser sind von den 200 verschiedenen Ordensgemeinschaf­ten in Österreich nicht viel. Und doch wurde für mich der „Kern“ irgendwie sichtbar, spürbar. Mit einer inneren Neugierde und fünf Fragen war ich „ganz Ohr“: „Wo begegnet dir Mitte?  Wo Rand? Wo liegt die Quelle deiner Inspiration? Was ist der Ordensauftrag in einem Satz? Wo siehst du die Ge­meinschaft in 25 Jahren?“ Mit einem einfachen Smartphone habe ich die Antworten der mehr als fünfzig Or­densfrauen und –männer aufgenom­men und ins Internet gestellt. Unge­schminkt und ungeschnitten.

Wo ist Mitte? Wo ist Rand?

Das Suchen und Erleben der „Mitte“ in Gebet, Stille, Meditation, im Gottes­dienst, in der Lesung spiritueller Schrif­ten, im gemeinsamen Chorgesang, dem geistlichen Gespräch, der Begegnung auf Augenhöhe wurde überall ange sprochen. Es braucht Unterbrechung, Distanz zum Lauf durch den Alltag.
„Gerade der Rhythmus von Gebetszei­ten, Arbeitszeiten, Zeiten der Rekreati­on und Vertiefung macht ein Stück der Anziehungskraft der Klöster aus“, weiß der frühere Abt vom Stift Altenburg und Präsident von „Klösterreich“, Abt-präses Christian Haidinger. Er berich­tet mit Blick auf seine Gäste von einer gewissen Zertreutheit: „Was uns Or­densleuten aus der Sichtweise der Or­densregel als normal erscheint, ist für andere schon eine gewaltige Heraus­forderung: Essen bei Tischlesung oder in Stille.“ Und alles nicht im Vorbeige­hen, sondern mit Zeit dafür – als Aus­druck des geschenkten Lebens. Die­sen Anspruch zu leben, ist selbst für Ordensleute nicht immer einfach. Und das braucht der Mensch heute: Werte und die damit verbundene Anerken­nung. Das führt ihn in die Mitte. Eine sinnvolle Aufgabe und ein Alltag, der geprägt ist von Ein- und Ausatmen und nicht einem endlosen Dahinhe­cheln. „Es ist gut“, und nicht immer ein „es ist zu wenig“. Dazugehören. Teil eines sichtbaren und überschau­baren Ganzen sein.

Sehnsucht nach der Mitte

Was kann man finden in diesem „Klös­terreich“. Die 85-jährige Ordensfau Klara im Kloster Wernberg brachte das für mich im Gespräch auf den Punkt: „Schauen Sie. Ich kann nicht mehr viel. Aber es macht mir Freude, mich um den Rosengarten zu kümmern.“ Sie lässt mich riechen. Es ist ihr Teil am Gan­zen des Klosters, das mit seinem Gäs­tehaus in wunderbarer Lage Menschen zu ihrer Mitte führen will. Die revitali­sierten Klostergärten sind heute Orte der Entspannung, der Entschleunigung, der Achtsamkeit und Vielfalt. Zwischen alten Mauern blühen Rosen, Sommer­blumen oder exotische Pflanzen, oft werden Heilkräuter oder Gemüse kulti­viert. Schon Pachomius († 346) hat ge­wusst: „Der Ort im Kloster, wo man Gott am nächsten ist, ist nicht nur die Kirche, sondern der Garten. Dort erfahren die Mönche ihr größtes Glück“.
Glück? Wer ist da nicht auf der Suche. Die meisten Gemeinschaften wurden so gegründet: „Richte die Menschen auf zum Glück.“ Und fast immer war der gesellschaftliche Rand der Platz dafür: Heimatlose, Einsame, Gehan­delte, Überflüssige, Getretene, Benutz­te. Es ist von Menschen die Rede. Da­mals wie heute. Von Menschen, die uns „am Rand“ begegnen. Dieser unge­schminkte und empathische Blick dort­hin macht Ordensleute auch ein Stück weit „anders“. Das kann ein Leben in der bürgerlichen Komfortzone in Frage stellen. „Komm und sieh“, sagt Bruder Fritz vom Friedenskloster Pupping in Oberösterreich zu mir und zeigt, wie die franziskanische Gemeinschaft zwölf Flüchtlinge direkt im Lebensalltag mit­leben lässt. „Da waren schon Menschen bei uns, die ganz neue Fragen in ihren Lebensalltag mitgenommen haben.“ Die Frage nach dem Rand bringt die Sehnsucht nach der Mitte erst so richtig in Schwung. Nach der tiefen Mitte, die an Gott „andockt“, sich dieser Dimen­sion bewusst öffnet. Und die zahllosen Kulturgüter zeugen von diesem dauern­den Ringen durch die Geschichte.

Ressourcen der Zukunft

Neben Mitte und Rand wird die Frage nach Lebensinspiration, Lebensauf­trag und dem Zukunftsbild zum eige­nen Leben in der Nähe einer Ordens­gemeinschaft neu entflammt. Gerade eine vertrauende und dankbare spiritu­elle Offenheit schreckt die heute dahin­galoppierende Seele auf, lässt Ordnung mit Unordnung ringen, Beziehung und Nähe mit digitaler Entfremdung ins Ge­richt gehen und Empathie, Menschen­liebe aufkeimen. In Salzburg hat mir die für Raumordnung zuständige Um­weltlandesrätin Astrid Rössler für Or­densleute mit auf den Weg gegeben: „Stille und Finsternis sind die Ressour­cen der Zukunft.“ Was meinte sie? Stil­le können wir zuorden, weil wir ganz tief spüren, dass die akustisch gefütter­te Betriebsamkeit an der Seele zehrt. Aber Dunkelheit, Finsternis? „Wir lei­den unter Lichtverschmutzung. Mensch und Tier sind aus dem Häuschen, weil wir zu viele Orte 24 Stunden aus­leuchten.“ Wie geht Reduktion? Wie geht langsamer? Eine Franziskanerin: „Nach 22 Uhr ist offline.“ Alles Hinwei­se: Orden und Ordensleute sind Resour­centrägerinnen und -träger auf Zukunft hin. Das spüren Menschen. Das ist es, was anzieht.
Mein Bekannter war übrigens sieben Tage im Kloster. Sein erster Satz danach: „Es war die Angst vor mir selber.“
www.kloesterreich.at
www.ordensgemeinschaften.at

Klösterreich

In „Klösterreich“, einem Verein zur Förderung der kulturellen und touristischen Aktivitäten der Klöster, Orden und Stifte Österreichs, sind 18 Stifte und Klöster zu­sammengeschlossen, meist aus den österreichischen Bundesländern, aber auch vier aus Deutschland, Ungarn und der Tschechischen Republik:
Niederösterreich: Stifte Altenburg, Geras, Göttweig, Heiligenkreuz, Herzogenburg, Klosterneuburg, Lilienfeld, Melk, Seitenstetten und Zwettl; Oberösterreich: Stif­te St. Florian, Kremsmünster, Schlägl und Marienschwestern vom Karmel, Linz; Steiermark: Stifte Admont, Rein und St. Lambrecht ; Kärnten: Kloster Wernberg; Deutschland: Abtei Waldsassen; Tschechische Republik: Abtei Raigern/Rajhrad; Ungarn: Erzabtei Pannonhalma, Abtei Zirc .  

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