Konstruktiv mit Konflikten umgehenDemokratische Kultur an Grundschulen

Ein Wettbewerb will die demokratische Kultur stärken. Das können schon Grundschüler lernen, sagt Projektleiter Wolfgang Beutel.

Konstruktiv mit Konflikten umgehen
© Sven Kästner, Berlin

klasseKinder!: Sie betreuen den Wettbewerb „Demokratisch Handeln“ seit 30 Jahren. Wie demokratisch sind Ihrer Meinung nach die deutschen Schulen heute?
Wolfgang Beutel: Wir haben natürlich keinen repräsentativen Überblick. Aber der Ideenreichtum der Schulen – gerade der Grundschulen – ist groß. Jenseits der politischen Diskussion ist Demokratie in der Grundschule vor allem eine Alltagssache – so wie die Pädagogik auch. Schule prägt die Erfahrungen und Sozialisation einschlägig. Deshalb interessiert uns in diesem Wettbewerb, wie Schule mit dem Thema rational und demokratiebezogen umgeht. Mehrheitsabstimmung Klassensprecherwahl

Was kann Demokratiebildung schon in der Grundschule bewirken?
Schon in diesem Alter können und müssen Mädchen und Jungen substanziell Toleranz, Kompromissfähigkeit und Konfliktfähigkeit erlernen. Sie können ein Rollenbewusstsein üben, das eigene Interessen markiert, ohne diese gegenüber anderen überborden zu lassen. Kinder sollten den Perspektivwechsel lernen, um auch aus der Rolle des Gegenübers auf ein Problem schauen zu können, an dem sich ein Konflikt entzündet. Demokratie ist eine kultivierte Form der Konfliktbewältigung.

Das klingt sehr theoretisch, ein Beispiel bitte!
Wir hatten ein Projekt, mit dem Kinder die leidige Situation ihrer Schultoiletten verbessert haben. Sie haben originelle Filme gedreht und auf dieses Manko hingewiesen, eine Öffentlichkeits- AG gegründet und sind bis zum Bürgermeister vorgedrungen. Es hat zwei Jahre gedauert, aber die Kommune hat dann etwas geändert. Das ist eindeutig eine kultivierte, interessengeleitete und rationale Form, um in einer demokratischen Öffentlichkeit ein Problem vernünftig zu lösen.

Das klingt so, als hätten sich die Kinder auch im Ganztag engagiert. Sie interessieren sich also im Wettbewerb nicht nur für Unterrichtsprojekte?
Wir schauen auf die Schule als Institution, als Kultur- und Lebenswelt. Da gibt es Arbeitsgemeinschaften oder Schulregeln beispielsweise. Wie geht man mit der Bibliothek um? Wie sorgen die älteren Schülerinnen und Schüler für die jüngeren? Oder es geht um das Verhältnis zur näheren Umwelt: Gerade für Grundschule ist eine kommunalpolitische Intervention, wie der Kampf um bessere Toiletten, schon eine Frage der Politik. Die Kinder merken, dass sie ihre Interessen sachlich begründen müssen. So kann man einiges lernen für das große Ganze.

Spielen die Eltern in der schulischen Demokratiebildung eine Rolle?
Auf jeden Fall! Demokratie ist immer auch eine Generationenfrage. Das merken wir nicht erst, wenn wir über Renten diskutieren. Eltern haben oftmals andere Interessen an der Schule als die Kinder. Und die Grundschule muss produktiv mit der Verschiedenheit von Kindern und Eltern umgehen, darf keine unangemessenen Gerechtigkeitsverletzungen erzeugen. Das ist ein komplexes Geschäft.

Sie verlangen in Ihrer Ausschreibung „demokratische Handlungskompetenz“. Was verstehen Sie darunter?
Drei Dinge: erstens ein Bewusstsein davon, dass man selbst handeln muss. Zweitens ist auch eine Art Wertebildung nötig: Es gehört zur moralischen Überzeugung, nicht nur die eigenen Interessen zu vertreten, sondern zur Kenntnis zu nehmen, dass eine Gesellschaft mit ihren Konflikten konstruktiv umgehen muss. Und man braucht drittens die Fähigkeit und den Willen, das alles auch zu können, wenn es drauf ankommt. Also bei Konflikten nicht nach einem starken Führer zu rufen, sondern sich aus einem freien Urteil heraus zu engagieren. Das können Kinder früh erlernen.

Außerdem würdigen Sie „kritische Loyalität“. Dafür muss an der Schule aber eine Atmosphäre herrschen, in der Kritik willkommen ist.
Natürlich – die Perspektive einer Kollegin oder eines Kollegen kann eine Frage in einem neuen Licht erscheinen lassen. Bei der Beratung über herausfordernde Schüler oder Schülerinnen zum Beispiel, um eine schwierige Entscheidung nicht allein treffen zu müssen. Oder dass man gemeinsam über Fördermöglichkeiten nachdenkt. Das alles sind Dinge, bei denen Kritik auch im Team notwendig ist. Eine solche Atmosphäre stärkt auch die Kinder.

In der Gesellschaft sind autoritäre Stimmen lauter geworden. Spüren Sie in Zeiten von Populismus und AfD mehr Gegenwind an den Schulen als früher?
Pädagogik ist immer noch eine Bastion der Aufklärung, das merkt man in unserem Wettbewerb. Bei den Projekten dominiert der Wille zur gemeinsamen Problembewältigung. Allerdings weckt die Politik immer wieder überzogene Erwartungen an das Bildungswesen. Die Kultusministerkonferenz hat eine Empfehlung zur „Stärkung der Demokratiebildung“ beschlossen. Diese demokratische Bildung entsteht natürlich nicht auf der Grundlage einer Empfehlung. Dennoch ist diese Willenserklärung hilfreich. Auch sie zeigt, dass die Länder massiv in die Pädagogenausbildung investieren müssten. Und man muss sich damit auseinandersetzen, dass Demokratie Zeit, Wahrnehmung, Gespräche und Verstehen braucht. Das Gespräch führte Sven Kästner.  

Der Wettbewerb „Demokratisch Handeln“

wird seit 1990 für alle allgemeinbildenden Schulen in Deutschland ausgeschrieben und vom Bundesbildungsministerium gefördert. Gesucht werden Beispiele für demokratisches Engagement in der Schule und darüber hinaus. Etwa 50 Projekte werden zu einer „Lernstatt Demokratie“ eingeladen. Statt eines Geldpreises sollen die ausgewählten Schulen in dieser pädagogischen Veranstaltung Anregungen für die Fortschreibung ihres Projektes erhalten. In diesem Jahr müssen Projekte bis zum 30. November eingereicht werden. www.demokratisch-handeln.de

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