Schifffahrt am Bodensee: Bisher 31 unbekannte Wracks gefunden

Seit 2022 erforscht das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg im Projekt „Wracks und Tiefsee“ den Bodensee. Mithilfe moderner Methoden der Geophysik, einem Tauchteam sowie Tauchrobotern sind bereits jetzt einige interessante Neuentdeckungen gelungen – von kulturhistorisch bedeutenden Objekten bis hin zu modernen Wasserfahrzeugen.

Unterwasseraufnahme eines mit Sediment bedeckten, verfallenen Schiffswracks am Bodensee
Heck des Rumpfes der SD Friedrichshafen II am Grund des Bodensees. Alle Aufbauten und Einbauten wurden vor Versenken entfernt.© LAD im RPS/ISF der LUBW, Marcel Edel

„Das Projekt ist ein bislang einzigartiges Vorhaben im Bereich der Unterwasserarchäologie in Binnengewässern“, sagte Prof. Dr. Dirk Krausse, Landesarchäologe am Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart. „Ziel des Projekts ist die umfassende Erfassung, Dokumentation und denkmalfachliche Bewertung von Wracks in allen Tiefen des Bodensees“, erläutert Dr. Julia Goldhammer, Projektleiterin und Oberkonservatorin im Fachgebiet Feuchtbodenarchäologie des LAD in Hemmenhofen. Finanziell ermöglicht wird das Projekt vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg, der obersten Denkmalschutzbehörde des Landes.

Bis Ende 2024 wurden über 250 potenzielle Anomalien – also auffällige Bereiche – im bis zu 251 Meter tiefen Bodensee lokalisiert. Von diesen konnten bisher 186 systematisch untersucht werden. Die Auswertung ergab, dass 155 der überprüften Positionen auf natürliche Strukturen wie Sedimentanhäufungen oder Pflanzenbewuchs oder Objekte menschlichen Ursprungs wie Fischreiser zurückzuführen sind. In 31 Fällen handelte es sich tatsächlich um Wracks – darunter sowohl kulturhistorisch bedeutende Objekte als auch moderne Sportboote und Wasserfahrzeuge jüngerer Zeit.

Unterwasseraufnahme einer mit Sediment bedeckten Lastenkarre am Grund des Bodensees
Eine von einem Wrack gestürzte hölzerne Sackkarre am Seegrund des Bodensees LAD im RPS/Bodenseetaucher, Alexander Heidacher

An einer der Fundstellen zeigte sich ein weit verstreutes Trümmerfeld aus mindestens 17 Holzfässern, das ausschließlich über Sidescan-Sonar-Daten (Erläuterung siehe „Hintergrundinformationen“) identifiziert wurde. „Die Fässer sind zum Teil gut erhalten, einzelne Exemplare weisen Deckel, Böden und potenziell Fassmarken auf. Hinweise auf das zugehörige Transportschiff fehlen bislang, weiterführende Untersuchungen sind geplant“, berichtet die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, Alexandra Ulisch.

Zwei weitere Fundstellen betreffen größere metallene Schiffsrümpfe, die bereits in der bathymetrischen Auswertung (Erläuterung siehe Hintergrundinformationen) erkennbar waren. Beide Objekte wurden mithilfe von Tauchrobotern – sogenannten ROVs – dokumentiert. Aufgrund von Maßen und Lage könnte es sich bei diesen Wracks laut Ulisch um die Rümpfe der Schaufelraddampfer „SD Baden“ (ehemals „Kaiser Wilhelm“) sowie der „SD Friedrichshafen II“ handeln. Eine abschließende Identifizierung steht noch aus.

Eine Seltenheit in der Unterwasserarchäologie

Ein besonderer Fund gelang in großer Tiefe: Dort entdeckte das Team ein nahezu vollständig erhaltenes Lastsegelschiff. Mast und Rah sind noch vorhanden – „eine Seltenheit in der Unterwasserarchäologie“, wie die wissenschaftliche Mitarbeiterin berichtet. Aufgrund der Tiefe sei der Bewuchs mit Quagga-Muscheln (Dreissena rostriforma bugensis) bislang gering, wodurch sich zahlreiche Details erkennen ließen. Sichtbar seien unter anderem Klammern im Bugbereich, Belegstifte sowie ein Zahnkranz mit Sperrklinke. „Der Fund bietet einzigartige Einblicke in die Segeltechnik und den Schiffbau historischer Bodenseeschiffe und stellt ein bedeutendes Referenzobjekt für die Forschung dar“, sagte Ulisch.

„Die Ergebnisse belegen die Relevanz des methodischen Vorgehens: Nur durch die Kombination hochauflösender Datenerfassung und gezielter sonartechnischer Nachuntersuchung lassen sich natürliche Strukturen zuverlässig von technischen Objekten am Seegrund unterschieden“, sagt Projektleiterin Julia Goldhammer. Mit dem Projekt liege erstmals eine systematische und methodisch fundierte Untersuchung des Bodenseegrundes im Hinblick auf Unterwasserdenkmäler vor. „Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für ein archäologisches Inventar der Bodenseewracks und liefern wichtige Informationen zum Zustand und zur Gefährdung dieser bislang kaum erfassten Kulturgüter. Gleichzeitig leistet das Projekt einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung methodischer Standards für die Unterwasserarchäologie in Binnengewässern“, so Goldhammer.

Bug eines alten Schiffswracks unter Wasser mit sichtbarem Bewuchs
Bug des abgewrackten und versenkten ersten Salondampfers am Bodensee – der SD Baden/ehemals Kaiser Wilhelm – am Seegrund. Ansicht von Backbord LAD im RPS/WSP Überlingen

Die aufgefundenen und dokumentierten Wracks geben nicht nur Aufschluss über die Schiffsbautechnik, sondern auch über Transportgüter der bekannten Lastsegelschiffe auf dem Bodensee. Naturwissenschaftliche Analysen ermöglichen Aussagen zur Herkunft, Verarbeitung und Qualität der über den See transportierten Baumaterialien und Rohstoffe. So verbinden sich mit den Wracks weit mehr als nur historische Ereignisse. „Durch fundierte, gründliche archäologische Forschung gewinnen wir Einblicke in die Lebensverhältnisse vergangener Gesellschaften und können Aussagen zu vielen verschiedenen Aspekten der damaligen Welt treffen“, sagt Goldhammer.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, Alexandra Ulisch, resümiert: „Wracks sind weit mehr als nur verlorene Fahrzeuge – sie sind echte Zeitkapseln, die Geschichten und handwerkliches Können längst vergangener Tage konservieren. Egal ob Titanic, HMS Terror, Säntis oder Lady Jay: Alle Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass Wracks die Menschen faszinieren.“

Weitere Ergebnisse werden voraussichtlich zum Abschluss des Projekts im Sommer 2027 bekannt geben.

Hintergrundinformationen:

Das Projekt gliedert sich in mehrere Phasen. In der ersten Phase wurden flächendeckende aktuelle bathymetrische Tiefendaten analysiert. Unter Bathymetrie versteht man die topographische Vermessung von Gewässern, meist mithilfe von Fächerecholoten. Dadurch können Geländemodelle und Tiefenprofile erstellt werden. Im Projekt Wracks und Tiefsee wurden umfangreiche Datensätze des Instituts für Seenforschung (ISF) der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) unter anderem aus dem Projekt „Tiefenschärfe“ der IGKB ausgewertet, um potenzielle Wrackanomalien am Seegrund zu identifizieren.

Diese Datengrundlage bildet die Basis für die zweite Projektphase, die Anfang 2024 begann. Seitdem erfolgt eine gezielte, systematische Überprüfung der identifizierten Verdachtsstellen. Zunächst werden Anomalien, die ausschließlich durch bathymetrische Daten erkannt wurden, mithilfe von Sidescan-Sonar überprüft. Diese Technologie erlaubt eine fotorealistische Abbildung der Strukturen auf dem Seegrund und ermöglicht eine differenzierte Einschätzung der Anomalien.

Laptop zeigt Sonarbilder eines Schiffswracks auf dem Bodenseeboden mit Messdaten und Steuerungssymbolen
ROV-Liveaufnahmen des Lastsegelschiffs am Bildschirm an Bord der MS Kormoran des ISF der LUBW LAD im RPS, Alexandra Ulisch

Während die Bathymetrie vor allem Höhenunterschiede am Seeboden abbildet, liefert das Sidescan-Sonar Informationen über Form, Oberflächenstruktur und Materialbeschaffenheit. In einigen Fällen konnten große Schiffsstrukturen bereits anhand der Bathymetrie klar als Wracks identifiziert werden. Andere Verdachtsstellen zeigten lediglich geringe Erhebungen, deren Ursache auf natürliche Formationen, biologische Bewuchs-Strukturen oder technische Objekte wie Fischernetze zurückgeführt werden kann.

Nach der Überprüfung mittels Sidescan-Sondar erfolgt eine Betauchung der möglichen Denkmale entweder durch die Tauchgruppe des LAD oder mit Hilfe von Tauchrobotern. Eingesetzt wurden Tauchroboter des LAD, des Instituts für Seenforschung (ISF) der LUBW sowie der Wasserschutzpolizei Überlingen und der beauftragten Firmen Bodenseetaucher und Submaris.

Handelt es sich bei den angetroffenen Objekten um Wracks oder Ladung, die ein Kulturdenkmal darstellen, erfolgt eine ausführliche Dokumentation und abhängig von Zustand und Priorität ggf. weitere Untersuchungen. Eine Bergung einzelner Objekte ist derzeit nicht in Planung, da Bergung und Konservierung äußerst kostspielig sind. Der Fokus wird daher auf die Sicherstellung des Dokumentwertes gelegt.

Meldung RP-BW

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