Pollentia war eine der Städte, die nach der römischen Eroberung der Balearen durch Q. Caecilius Metellus im Jahr 123 v. Chr. gegründet wurden. Sie liegt strategisch günstig auf einer Landenge zwischen zwei großen Buchten nahe der heutigen Stadt Alcúdia. Die frühesten in Pollentia dokumentierten Bauwerke stammen aus den Jahren 70/60 v. Chr. Die Stadt erreichte zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. ihre größte Ausdehnung und umfasste eine Fläche von etwa 20 Hektar. Mit der Zeit entwickelte sich Pollentia zu einem der aktivsten römischen Häfen der Region.
Die neuen Erkenntnisse zu römischen Essgewohnheiten, veröffentlicht im International Journal of Osteoarchaeology, basieren auf einer außergewöhnlich gut erhaltenen zoologischen Fundgruppe, die in einer Senkgrube in einem Gewerbegebiet neben dem Forum von Pollentia entdeckt wurde. Die Senkgrube, die zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. datiert wird, war über ein unterirdisches Abwassersystem zur Abfallentsorgung mit einem Lebensmittelladen, einer Taberna verbunden. Diese wird als Popina interpretiert, eine Einrichtung, die der Öffentlichkeit Speisen und Getränke servierte. Die Keramikfunde in der Aufschüttung der Senkgrube deuten darauf hin, dass diese frühestens 10 v. Chr. ausgehoben und um 30 n. Chr. aufgegeben wurde.
Singdrossel
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In der Grube entdeckten die Archäologen zahlreiche Tierreste, darunter Schweine, Fische und Schalentiere. Am wichtigsten waren jedoch die insgesamt mindestens 165 Knochen der Singdrossel (Turdus philomelos), die am häufigsten vorkommende Vogelart im Befund.
Was diesen Fund so bedeutsam macht, ist das Muster der gefundenen Vogelknochen. Die Gruppe enthielt zahlreiche Brustbeine und Schädel, aber kaum fleischigere Gliedmaßenknochen wie Oberschenkel- oder Oberarmknochen. Dies deutet darauf hin, dass die Vögel so präpariert wurden, dass die wertvollsten Teile nicht beschädigt wurden und verzehrt werden konnten. Wahrscheinlich wurde das Brustbein entfernt und der Vogel flachgedrückt, eine Methode, die noch heute in der mediterranen Küche verwendet wird. Es scheint plausibel, dass die Drosseln in Pollentia pfannengebraten und nicht gegrillt wurden, wie es historische Rezepte nahelegen.
Obwohl an der Fundstätte auch große Mengen an Hühnern und Kaninchen gefunden wurden, erregte vor allem die große Anzahl an Drosselknochen – und ihr eindeutiger kommerzieller Kontext – die Aufmerksamkeit der Forscher. Der Lebensmittelladen, der mit in die Theke eingelassenen Amphoren ausgestattet war, die denen in den Thermopolien (antiken Fast-Food-Bars) von Pompeji ähnelten, deutet stark darauf hin, dass diese Vögel zum sofortigen Verzehr verkauft wurden.
Neue Sicht auf die Geschichte der römischen Essgewohnheiten
Klassische Quellen wie Apicius, Varro, Plinius und Columella beschreiben Drosseln oft als Delikatesse, die bei elitären Banketten serviert und sogar kommerziell gezüchtet und gemästet wurde, um ihren Wert zu steigern. Die Funde aus Pollentia stellen diese traditionelle Sichtweise jedoch in Frage. Das Vorkommen von Drosselresten in einem nicht elitären, kommerziellen Umfeld wie einer Taberna deutet darauf hin, dass diese Vögel weit verbreitet konsumiert wurden und Teil der alltäglichen Ernährung sowie der städtischen Lebensmittelwirtschaft waren. Offensichtlich nutzten römische Straßenhändler die saisonale Winterwanderung der Drosseln nach Mallorca, um ihr Angebot abwechslungsreicher zu gestalten. Während städtische Händler diese saisonale Ressource für den sofortigen Verzehr aktiv nutzten, wurden Drosseln von der Oberschicht das ganze Jahr über gezüchtet, oft mit Feigen gefüttert und in aufwendigen Gerichten serviert.
Die Studie unterstreicht die Bedeutung der Straßenimbisse in antiken Städten und macht deutlich, dass es notwendig ist, über Narrative, die sich auf die Elite konzentrieren, hinauszugehen, um die vielfältigen Formen der Ernährungspraktiken antiker Stadtgemeinschaften zu verstehen.
Originalpublikation:
Valenzuela, A. (2025). Urban consumption of thrushes in the early Roman city of Pollentia, Mallorca (Spain). International Journal of Osteoarchaeology. https://doi.org/10.1002/oa.3416