Gewalt in der Jungsteinzeit: Eine Form ritualisierter politischer Aufführung?

Eine neue Studie unter der Leitung der School of Archaeology der Universität Oxford hat möglicherweise die frühesten Belege für Siegesfeiern in der europäischen Vorgeschichte zutage gefördert und bietet eine bemerkenswerte neue Perspektive auf die neolithische Gewalt nicht nur als Konflikt, sondern als Form ritualisierter politischer Aufführung.

Zwei archäologische Fundstellen mit mehreren menschlichen Skeletten in ovalen Gruben, angeordnet in verschiedenen Positionen, mit Maßstäben zur Größenbestimmung
Draufsichten auf gewaltbedingte menschliche Massenablagerungen aus der späten Mittelneolithik im Elsass (Frankreich). ( A ) Grube 157 von Bergheim Saulager ( B ) Grube 124 von Achenheim Straße 2, RD 45© (A) Fanny Chenal, INRAP; (B) Philippe Lefranc, INRAP

In der in Science Advances veröffentlichten Studie wurden modernste Multiisotopenanalysen verwendet, um die Identitäten von Personen zu rekonstruieren, die in Massengräbern im Elsass im Nordosten Frankreichs aus der Zeit um 4300–4150 v. Chr. gefunden wurden. Die Ergebnisse stellen herkömmliche Interpretationen prähistorischer Gewalt als wahllos oder rein pragmatisch infrage.

Bei Ausgrabungen in Achenheim und Bergheim kamen erschreckend viele Überreste zutage: vollständige Skelette mit Spuren schwerer, exzessiver Gewaltanwendung sowie Gruben mit abgetrennten linken Oberarmen. Dieses Behandlungsmuster – absichtliche Tötung und Trophäenbeute – entsprach jedoch nicht den typischen neolithischen Massakern oder Hinrichtungen. Die Forscher schlagen stattdessen eine Neuinterpretation vor: Den Tötungen lag demnach ein strukturiertes Ritual zugrunde, das nach Konflikten den Feind demütigen und den sozialen Zusammenhalt stärken sollte.

Die Isotopensignaturen der Knochen und Zähne der Opfer wurden mit denen von Personen verglichen, die auf konventionelle Weise bestattet worden waren. Die Ergebnisse zeigten, dass die Opfer andere Ernährungsgewohnheiten hatten, Anzeichen höherer Mobilität aufwiesen und physiologischem Stress ausgesetzt waren. Dies deutet darauf hin, dass sie Außenseiter waren.

Interessanterweise wiesen die abgetrennten Gliedmaßen, die vermutlich von gefallenen Kämpfern stammten, lokale Isotopenwerte auf, während die gefolterten Individuen mit vollständigen Skeletten offenbar aus einer anderen Region kamen.

Gewalt als Spektakel

Diese Unterscheidung stützt die Vorstellung eines zweistufigen Rituals: Im Kampf getötete lokale Feinde wurden zerstückelt und als Trophäen zurückgebracht, während andere – vermutlich Gefangene – gewaltsam hingerichtet wurden. Letzteres beschreiben die Forscher als eine Form neolithischen politischen Theaters.

Professor Schulting sagte dazu: „Diese Erkenntnisse deuten auf eine tief verwurzelte soziale Praxis hin, bei der Gewalt nicht nur als Mittel der Kriegsführung, sondern auch als Spektakel, zur Erinnerung und zur Behauptung der Dominanz eingesetzt wurde.“

Indem die Studie die komplexen sozialen und kulturellen Rollen aufzeigt, die Gewalt in der Jungsteinzeit spielte, fügt sie der Menschheitsgeschichte ein fesselndes neues Kapitel hinzu, in dem die Nachwirkungen von Krieg und Ritualen unser Verständnis der frühen Gesellschaft bis heute prägen.

Meldung University of Oxford

Originalpublikation:

Teresa Fernández-Crespo  et al.,Multiisotopenbiographien und Identitäten von Opfern kriegerischer Siegesfeiern im neolithischen Europa. Sci. Adv. 11 , eadv3162 (2025). DOI: 10.1126/sciadv.adv3162

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