Rezensionen: Wissenschaft & Bildung

Amman, Kira / Anhalt, Elmar / Ibrahim, Omar / Rucker, Thomas: Ignatianische Pädagogik. Eine Standortbestimmung aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive.
Stuttgart: Kohlhammer 2025. 221 S. Kt. 39,–.

Das vorliegende Buch basiert auf einem Forschungsprojekt an der Universität Bern aus den Jahren 2021 bis 2023 und wurde durch das Zentrum für Ignatianische Pädagogik in Ludwigshafen gefördert. Zu Beginn ihrer Einleitung verweisen die Autoren darauf, dass die Welt zu Beginn des 3. Jahrtausends aus technologischer, ökonomischer und politischer Sichtweise allein keine ausreichenden Antworten bereithält. In einer notwendigen „Kultur der Sorge füreinander“ (9) ist auch die Religion wieder ein Gesprächspartner in der Suche nach Sinnorientierung. Wie kann das neuzeitliche Person-Verständnis aus der Renaissance-Zeit innerhalb einer Religion, deren Konsens gewisse Glaubensinhalte sind, erhalten bleiben? Die Exerzitien betonen nun gerade den freien Menschen, der sich von falschen Anhänglichkeiten lösend in die Nachfolge Christi stellt, eine Nachfolge, die nicht mit Replikation zu verwechseln ist. Gott hat mit jedem Menschen, der von Anfang an Person ist, seinen eigenen Plan, hält seinen Weg bereit. Glaubensinhalte müssen gelebt, in Praxis umgesetzt werden. Zugleich bieten sie Orientierung, damit der individuelle Lebensweg aus den Exerzitien heraus rückgebunden ist an die kirchliche Gemeinschaft.

Aber gibt es überhaupt eine einheitliche Ignatianische Pädagogik? In den Veröffentlichungen des Ordens finden sich zum einen Aussagen, die von „Erziehung zu einer christlichen Lebensform“ sprechen, etwa mit dem Ziel des Menschseins für andere. Zum anderen wird auch wieder von einem Ansatz gesprochen, der mit der Eigenlogik moderner Erziehung in Übereinstimmung gebracht werden kann und der von einer Ausbildung eigener Positionen in Fragen der Religion spricht, also indirekt auch von der Option einer Ablehnung. Sich mit der christlichen Perspektive auseinanderzusetzen und damit auch inhaltlich anzueignen, ist kein Widerspruch zur Freiheit und Bildsamkeit des Heranwachsenden (und übrigens auch aller anderen im „Wachstum“ Befindlichen), sich zu dieser Perspektive zu positionieren. Ignatianische Pädagogik bleibt dann Gesprächspartnerin der Erziehungswissenschaft, wenn sich der Erzieher, wie es dem Exerzitienbegleiter zukommt, zurücknimmt und die begleitende Person dahin führt, dass sie im Sinne einer Charakterbildung einen moralischen Kompass ausbildet, vor dem ihr eigenes Leben verantwortet werden kann und muss.

Das vorliegende Buch ist wie versprochen eine Standortbestimmung, eine durchaus beeindruckende und anspruchsvolle Lektüre, die dem Leser gedanklich und auch sprachlich einiges abverlangt. Manche Redundanz erstaunt, zeigt aber, dass die Rezeption Ignatianischer Pädagogik durch die Erziehungswissenschaft weiter im Dialog vorangebracht werden sollte.

Gundolf Kraemer SJ

Paganini, Claudia: Der neue Gott. Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche.
Freiburg: Herder 2025. 191 S. Gb. 20,–.

Einen kleinen Spalt lässt die Autorin für ein gläubiges Verhältnis zu Gott offen. Im Vorwort formuliert sie, dass „die Tatsache, dass Menschen an einen Gott glauben, … zwar kein ausreichender Grund dafür [ist], von der Existenz dieses Gottes auszugehen. Genauso wenig genügt aber der Umstand, dass man erklären kann, warum Menschen an einen Gott glauben, um diesem Gott die Existenzberechtigung abzusprechen“ (8). Das Problem der Existenz stellt sich allerdings bei der großen Maschine namens „der neue Gott“ nicht weiter. Die Maschine existiert ja offensichtlich als von Menschen erschaffenes großes Ding, das die Grund-Bedürfnisse nach Einzigkeit, Allgegenwärtigkeit, Allwissenheit, Allmacht, Transzendenz, Nahbarkeit, Gerechtigkeit, Sinn und Fürsorge (so die thematische Reihenfolge der Kapitel) bedient, sogar besser bedient als die alten, ebenfalls zum Zwecke der von Grundbedürfnissen erdachten Götter des vordigitalen Zeitalters. Siehe z. B. 149: „Damit erweist sich die gerechte KI als genauso gut wie der gerechte Gott. Oder vielleicht sogar besser? Zumindest in Bezug auf das Theodizee-Problem könnte man das durchaus behaupten.“

Damit ist der Ton gesetzt: Götter, Gottheiten, Gott „gibt“ es, weil sie Funktionen erfüllen, die für Menschen grundlegend sind. Da dies der großen KI-Maschine mehr und mehr gelingt, kann sie auch „Gott“ genannt werden. Die Religionskritik macht diese Rede möglich. Einst beabsichtigte der Religionskritiker Feuerbach ja, der Menschheit die göttlichen Eigenschaften zurückzugeben, die sie um den Preis der Selbstentfremdung auf den Gottesbegriff projiziert hatte. Inzwischen hat sich der Wind gedreht. Religionskritik ist religions-affirmativ geworden, sofern die Religion die genannten Bedürfnisse der Menschen auch tatsächlich befriedigt. Einer tiefergehenden Kritik an diesem Religionsbegriff entzieht sich die Autorin allerdings. Am Ende hat sie ihren Lesern nicht mehr zu sagen als dies: „KI … erschafft am Ende (oder am Beginn) der Zeiten das Universum neu. Ob diese Geschichte Hoffnung oder Schreckensszenario sein mag, bleibt nun Ihnen, die Sie dieses Buch gelesen haben, überlassen“ (191). Dieser freundlichen Einladung traue ich nicht wirklich. Der Ton von Yuval Harari, dessen Bestseller „Homo Deus“ von Paganini einige Male zitiert wird, durchzieht auch ihren Text. Es ist der Ton des kategorischen Indikativ Futurs, nach dem Motto: Du kannst den neuen Gott mit hoffnungsvollen Erwartungen oder mit schreckensgeweiteten Augen kommen sehen – am Ende ist das aber egal, denn es wird ja so oder so kommen. Es gibt kein schlagendes Argument, um ihm dem Gottes-Titel abzusprechen.

Die einzelnen Kapitel folgen einer klaren Struktur. Im ersten Teil werden in gelegentlich sehr eklektischen Abhandlungen die jeweiligen Gottesprädikate (s.o.) religionsgeschichtlich durchgegangen, vom Polytheismus bis zum Monotheismus. Im Zweiten Teil folgt jeweils die Überprüfung, ob und wie dieselben Prädikate auf die KI übertragen werden können. Hier lernt der Leser viel über das, was KI tatsächlich schon kann und bald noch besser können wird – für mich der instruktivste Teil des Buches. Spannend wird es bei den göttlichen Eigenschaften Gerechtigkeit, Sinn, Fürsorge, weil hier die ethisch relevanten Fragen mit hineinspielen, die von der Autorin zusammen mit der KI allerdings auch konsequent nur von der menschlichen Bedürfnislage her beantwortet werden. So bleibt schließlich ein zwiespältiges Gefühl zurück: Zwar erfährt man manches über das Leistungsprofil der KI, aber man gerät zugleich in eine Faszination darüber, die mit einem „spirituellen Verhältnis zwischen Mensch und Technologie“ (vgl. Cover) verwechselt werden könnte. Und da gilt, jedenfalls für mich: Es ist bloß ein Wortspiel, KI einen Gott zu nennen. Denn KI ist nicht Gott, was immer sie auch zu leisten vermag.

Klaus Mertes SJ

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