Noomi und Ruth: Die gute Schwiegermutter

Jede Pastorin begegnet irgendwann in einem Traugespräch dem Wunsch nach dem Trauspruch: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen: wo du bleibst, da bleibe ich auch.“ Ein wirklich schöner Satz, eine Liebes­ und Vertrauensbezeugung. Allerdings geht es in der Beziehung, in der dieser Satz gesagt wurde, nicht um einen Mann und eine Frau, sondern um Schwiegertochter und Schwiegermutter.

In der Bibel wird in dem kleinen Buch „Rut“ ihre Geschichte erzählt: Noomi und ihr Mann Elimelech, die aus Bethlehem stammen, leben mit ihren Söhnen Machlon und Kiljon in der Fremde. Nach Elimelechs Tod heiraten die Söhne zwei Frauen aus dem Volk der Moabiter, Orpa und Rut. Als dann aber auch Noomis Söhne vor ihr sterben, will sie zurückkehren in ihr Heimatland. Ihren beiden Schwiegertöchtern sagt sie: „,Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! Der Herr tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. Der Herr gebe euch, dass ihr Ruhe ndet, eine jede in ihres Mannes Hause.‘ Und sie küsste sie. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten und sprachen zu ihr: ,Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen.‘ Aber Noomi sprach: ,Kehrt um, meine Töchter!‘“ (Rut 1, 8ff.)

Orpa kehrt daraufhin schließlich um, aber Rut geht mit ihrer Schwiegermutter. Die beiden werden vieles erleben, am Ende wird Rut Boas heiraten, einen Israeliten. Sie wird einen Sohn gebären, einen Vorfahren des Königs David. Die Frauenbeziehung ist die Keimzelle einer starken neuen Familie!

Diese Geschichte ist sehr berührend, bis heute. Sie zeugt von einer Gemeinschaft von zwei Frauen, die eigentlich nicht zusammengehören. Schwiegermütter haben einen schlechten Ruf, auch in unserer Zeit: Sie lieben den Sohn am meisten, wollen nur das Beste für ihn, und keine Frau ist gut genug für ihn; eine Schwiegertochter stört... Auch die Mutter der Tochter hat einen schwierigen Stand: Gern wird gewitzelt, was für ein „Drache“ sie sei, wie sie den Schwiegersohn gängele. Und mit Blick auf die Enkelkinder kann es schnell Konflikte geben: Sie erlaubt Nutella, die Eltern wollen das nicht. Die Eltern lassen die Ins-Bett-Geh-Zeiten schleifen, die Schwiegermutter findet das falsch. Die Schwiegermutter hat das Gefühl, zu allem schweigen zu müssen, die Eltern empfinden ihre Einmischung als Entmündigung... Rut, Boas und Noomi gelang es offenbar, auch angesichts all der möglichen Spannungen einen Weg miteinander zu finden. Einen Weg, der von gegenseitiger Liebe und von Verständnis füreinander zeugt.

Als meine vierte Tochter geboren wurde, sagte der Arzt fast vorsichtig-tröstend: „Es ist wieder ein Mädchen.“ Vermutete er, ich sei nur noch einmal schwanger geworden, um einen Sohn zu bekommen? Und eine Bekannte sagte: „Machen Sie sich nichts draus, die Jungs kommen von ganz alleine!“ Und das ist ja dann in der Tat so. Inzwischen bin ich dreifache Schwiegermutter und habe die jungen Männer an der Seite meiner Töchter durchaus ins Herz geschlossen, weil ich sehe und erlebe, wie sie meinen Töchtern zur Seite stehen und dass meine Töchter sie lieben. Wie aber wäre es, wenn ich die „Jungs“ nicht mögen würde? Es gäbe sicher eine gewisse Entfremdung, ein Gefühl der Abwehr. Jede Mutter will das Beste für ihr Kind. Nachdem die Mutter die erste Lebensphase so innig begleitet hat, schaut sie sehr kritisch, mit wem das Kind den Rest des Lebens teilen will.

Vielleicht ist es das, was Schwiegermütter so schnell zur Karikatur macht: Sie lieben das eigene Kind und möchten es schützen. Wenn dann die Liebe des Kindes einem anderen Menschen gilt, der nicht den eigenen Vorstellungen entspricht, können sie sehr kritisch werden. Niemand kann so verletzen wie jemand, den wir sehr gut kennen, ja lieben. Und sicher ist es oft auch wahr, dass Mütter spüren: Der neue Partner, die neue Partnerin ist nicht wirklich gut für mein Kind. Gewiss steckt dahinter manchmal die Überzeugung: So gut wie ich kann niemand meine Kinder versorgen! Oder es gibt Eifersucht: Mein Kind liebt einen anderen Menschen mehr als mich! Oder es ist die Unfähigkeit, loszulassen: Die Phase der Kindererziehung ist vorbei, nun muss ich selbst wissen, wer ich bin. Mein Leben kann nicht völlig auf die Kinder ausgerichtet sein. Sie leben ihr Leben, dafür brauchen sie Freiheit – und ich als Mutter muss sie auch freigeben.

Gleichzeitig gibt es viele Schwiegermütter, die unendlich viel leisten, um ihre Kinder und Schwiegerkinder zu unterstützen. Ganz oft entwickeln sie eine eigene Liebe zu den Schwiegerkindern. Noomi aus der Bibel ist ein wunderbares Beispiel dafür. Sie scheint Orpa und Rut wirklich zu lieben. Sie will das Beste für die beiden, vor allem nach dem schweren Verlust ihrer Söhne. Es muss hart für Noomi gewesen sein, erst den Mann und dann die Söhne zu verlieren. Enkel wurden ihr nicht geboren, so zieht es sie zurück in die Heimat. Ja, das ist nachvollziehbar. Nun sucht sie wenigstens im eigenen Land Geborgenheit, bei Menschen, die sie kennt, in einer Sprache, die ihr vertraut ist. Dass beide Schwiegertöchter mit ihr in ein für sie fremdes Land gehen wollen, ist ein tiefes Zeichen der Zuneigung dieser Frauen zueinander. Solche Liebe kann wachsen, über Generationen hinweg. Geschichten darüber werden oft mündlich erzählt, von Großmüttern und Schwiegertöchtern auf der Flucht etwa. Aber auch im ganz normalen Alltag stützen viele Großmütter ihre Töchter und Schwiegertöchter bei der Kindererziehung. Und umgekehrt stützen viele Frauen ihre Mütter und Schwiegermütter im Alter, wenn sie Hilfe benötigen. Schade, dass solche Frauenfreundschaft ein seltenes Thema der Literatur ist. Umso wichtiger ist das Buch Rut!

Noomi ist die „beste Schwiegermutter der Welt“, so würde jedenfalls Hollywood sie nennen. Sie hat ihren Mann und ihre Söhne verloren. In Liebe gibt sie ihre Schwiegertöchter frei, wünscht ihnen das Beste, ja rät ihnen, neu zu heiraten. Das ist ein Zeichen großer innerer Freiheit. Orpa folgt diesem Wunsch, Rut fühlt sich wohl zu tief an Noomi gebunden. Als Rut nach langen Wirrungen Boas heiratet, einen Israeliten, und sich somit in Noomis Heimat verortet, und dann noch einen Sohn, Obed, zur Welt bringt, freuen sich viele Frauen mit Noomi. „Deine Schwiegertochter, die dich geliebt hat, hat ihn geboren, die dir mehr wert ist als sieben Söhne.“ (Rut 4,15) Wir tun gut daran, das Bild der Schwiegermutter positiv zu verändern.

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