Christliches Leben spielte sich in der Vergangenheit nicht nur in Pfarreien und in Klöstern ab. Seit dem Mittelalter schlossen sich Menschen zu unterschiedlichen Formen von Gemeinschaften zusammen, die sich bestimmten religiösen und caritativen Aktivitäten widmeten. Viele solcher Gemeinschaften verschrieben sich der besonderen Verehrung eines Heiligen - im Spätmittelalter etwa dem Heiligen Sebastian oder der Heiligen Anna. Andere setzten sich für die im Mittelalter aufkommende Eucharistieverehrung ein. Zahlreiche Gemeinschaften machten sich auch gewisse wohltätige Zwecke zur Aufgabe: Sie kümmerten sich um Spitäler, sorgten für Arme, Kranke oder Reisende. Anders als die Ordenschristen legten die Mitglieder dieser Vereinigungen keine besonderen Gelübde ab.
Gemeinschaften dieser Art trugen unterschiedliche Namen. Langsam setzte sich aber der Begriff „Bruderschaft“ für sie durch. Das bedeutete aber normalerweise nicht, dass nur Männer Mitglied waren. Zur Bruderschaft gehörten fast immer auch Frauen. Hauptträger der mittelalterlichen Bruderschaften waren die Bürger in den Städten. Auf dem Land entwickelten sich die Bruderschaften langsamer. Die Mitglieder legten meist Geld an, um aus den Erträgen regelmäßig feierliche Gottesdienste finanzieren zu können. Nicht selten stellten sie auch einen eigenen Geistlichen an, der für sie Messen feierte und andere Gottesdienste hielt.
Beispiel Eucharistieverehrung
Besonders beliebt waren im ausgehenden Mittelalter Bruderschaften, die sich der Eucharistieverehrung widmeteten. Das Fronleichnamsfest mit der Prozession verbreitete sich. An vielen Orten wurden Bruderschaften zu den Trägern und Beförderern der Eucharistiefrömmigkeit. Sie hießen Corporis Christi-, Fronleichnams- oder Engelmess-Bruderschaft. Diese Bruderschaften sorgten nicht nur für eine feierliche Gestaltung des Fronleichnamsfestes. Meist am Oktavtag nach Fronleichnam (also eine Woche später) feierten sie ihr eigenes Bruder-schaftsfest. Jeden Donnerstag wurde zudem eine Messe gefeiert, die der besonderen Verehrung des Altarsakramentes gewidmet war - das so genannte „Engelamt“. Vor jeder dieser Messen zog man mit brennenden Kerzen in einer eucharistischen Prozession durch oder um die Kirche. Auch das Gedenken der verstorbenen Bruderschaftsmitglieder hatte in diesen Messen seinen Platz. Zusätzlich waren weitere Termine dem Totengedenken gewidmet. Regelmäßig versammelte man sich zu langen Totenvigilien. Starb ein Bruder oder eine Schwester, kümmerte man sich um die Beerdigung, betete gemeinsam für den Verstorbenen und ließ Seelenmessen feiern. Attraktiv war die Teilnahme an den Bruderschaftsaktivitäten auch, weil sie oft mit besonderen Ablässen verbunden waren.
Neben der großen Prozession an Fronleichnam und den kleinen Umgängen an den Donnerstagen waren weitere Prozessionstermine in Verantwortung einer Bruderschaft möglich. Ein gutes Beispiel ist die Corporis-Christi-Bruderschaft im unterfränkischen Königshofen im Grabfeld. Im Jahr 1484 erteilte der Bischof die Erlaubnis, an verschiedenen Terminen im Jahr Sakramentsprozessionen mit der Monstranz zu halten:
- am Bruderschaftstag durch einen von der Bruderschaft bestimmten Priester über den Markt,
- an jedem ersten Donnerstag im Monat durch den Kaplan der Bruderschaft auf dem Friedhof der Kirche,
- an den Festen Ostern, Pfingsten, Christi Himmelfahrt und Weihnachten, an Mariä Himmelfahrt und Mariä Lichtmess sowie an Kirchweih durch den Pfarrer oder seinen Kaplan auf der Straße vor der Stadt (Ludwig Remling: Bruderschaften in Franken, Würzburg 1986, 230).
Barocke Prachtentfaltung
Nach der Reformation und dem Konzil von Trient entstanden zahlreiche neue Bruderschaften. Während im Spätmittelalter die Initiative für Bruderschaftsgründungen meist von den Laien ausging, engagierten sich nun verstärkt auch die Kleriker und unterwarfen die Bruderschaften einer größeren geistlichen Kontrolle. Trotzdem agierten die Bruderschaften noch immer recht selbstbewusst. Bis in die Barockzeit stand das geistliche Leben der Bruderschaften oftmals in Konkurrenz zur Pfarrseelsorge. Besonders in Südeuropa errichteten die Bruderschaften auch eigene Andachtsräume, die so genannten Oratorien, in denen sie ihre Gottesdienste hielten. Die Bruderschaften traten als Träger unterschiedlicher Frömmigkeitsformen auf, etwa der Marienverehrung (so gab es zahlreiche Rosenkranzbruderschaften) oder der Herz-Jesu-Verehrung. Auch existierten Bruderschaften, die an bestimmte populäre Wallfahrtsorte gebunden waren und die Wallfahrten dorthin organisierten. „Erzbruderschaften“ wurden Bruderschaften genannt, denen es erlaubt war, an weiteren Orten „Ableger“ zu bilden.
Für die Bruderschaftsanlässe wurden in der Barockzeit große Summen ausgegeben. Man baute, schmückte und unterhielt das Oratorium, kaufte Fahnen, Kerzen und Prozessionslaternen, es waren Musiker zu engagieren, Blumenschmuck anzuschaffen und zum Teil umfangreiche Festdekorationen zu errichten. Auch Feuerwerk kam bei den Bruderschaftsanlässen zum Einsatz. Die Initiative für derartigen „Sakralpomp“ ging wiederum eher von den Laien aus, als vom Klerus.
Bruderschaften heute
Auch heute existieren an manchen Orten noch Bruderschaften, die sich einer bestimmten Frömmigkeit verschrieben haben. Manche von ihnen wurden von Zeit zu Zeit „wiederbelebt“. Daneben gibt es heute andere Formen von Gemeinschaft innerhalb der Kirche.
Manche Christen treffen sich regelmäßig zu Gebetskreisen. An vielen Orten gibt es Gruppen, die die Frömmigkeit von Taizé pflegen. Auch für den Gottesdienst übernehmen bestimmte Gruppen Verantwortung. Mancherorts wird von einem festen Kreis das Stundengebet gepflegt. Da und dort haben sich Ehrenamtliche zusammengeschlossen, um bei Beerdigungen - die oftmals an Wochentagen in den Morgenstunden stattfinden - den Ministrantendienst zu übernehmen. In Ostdeutschland haben sich zahlreiche Kirchbauvereine gebildet, die sich für den Erhalt ihres Gotteshauses einsetzen. Die Kirche braucht heute mehr von solchen Initiativen. Die Bruderschaften vergangener Jahrhunderte warteten nicht darauf, pastoral „versorgt“ zu werden, sondern sie nahmen ihr geistliches Leben selbst in die Hand.
Benjamin Leven