Unter ähnlichen Bedingungen lebende Schildkröten zeigen übereinstimmende Muster der Wachstumslinien, die wie Baumringe eine Chronologie ermöglichen. Diese könnte von lebenden Tieren über herpetologische Sammlungen bis hin zu archäologischen Funden reichen (Abb. 2).
Graphische Darstellung des Prinzips von TurtleChron.
K. Streit
Der Panzer besteht aus kohlenstoffhaltigem Keratin. Kohlendioxid aus der Atmosphäre wird von Pflanzen gebunden, die von Schildkröten gefressen werden. Dadurch lagert sich der Kohlenstoff im Keratin des Panzers ab – so konserviert ein Wachstumsring das isotopische Signal seines Entstehungsjahres. Das Signal jedes einzelnen Rings kann per Radiokohlenstoffdatierung analysiert werden, um Umweltveränderungen zu erfassen. Im Projekt TurtleChron wird diese Hypothese überprüft und die Umsetzbarkeit einer solchen Chronologie von Wachstumslinien im Schildkrötenpanzer untersucht. Zudem wird das Potenzial dieser Chronologie zur Kalibrierung von Radiokohlenstoffdaten und in der Paläoklimatologie erforscht.
Auf der Suche nach passenden Schildkröten
Zunächst galt es, eine geeignete Schildkrötenpopulation zu finden und die Wachstumsringe zu dokumentieren. Die Ringmuster innerhalb der Panzerplatten einer einzelnen Schildkröte sollten abgeglichen werden, gefolgt von einem Vergleich zwischen zwei gleichzeitig lebenden Individuen und schließlich zwischen Schildkröten, die nacheinander, aber überlappend lebten.
Für dieses Vorhaben wurde eine Schildkrötenspezies gesucht, die in der Nordhalbkugel weit verbreitet und für ihre zuverlässige Ringbildung bekannt ist. Die Galápagos-Schildkröten schieden aufgrund ihrer Äquatornähe und dem Fehlen von Jahreszeiten aus. Stattdessen fiel die Wahl auf die Maurische Landschildkröte (Testudo graeca), die im Mittelmeerraum weit verbreitet und auch privaten Haltern gut bekannt ist. Eine große Anzahl an herpetologischen Präparaten von erwachsenen, wild gefangenen Tieren, teils mit dokumentiertem Sterbedatum, wurde in der Sammlung des Naturhistorischen Museums in Wien gefunden, überwiegend aus Griechenland und Montenegro.
Im nächsten Schritt sollten die Wachstumsringe durch Makrophotographie und 3D-Modellierung mittels SFM (Structure from Motion) dokumentiert werden. Eine unerwartete Schwierigkeit trat auf: Die Mehrheit der Präparate war nicht als Trockenpräparat (Abb. 1), sondern in Alkohol konserviert. Wie es die Chemie vorschreibt, verdampfte der Alkohol aus den durchtränkten Schildkröten im Lichtzelt, was die Datenakquise mitunter humorvoller als erwartet gestaltete.
Herausforderungen der Grundlagenforschung
Die ersten Ergebnisse waren vielversprechend. Elisabeth Wächter, die Dendrochronologin im Team, konnte die Ringmuster einzelner Schuppen einer Schildkröte erfolgreich korrelieren (Abb. 3). Dies bestätigte einen Teil des Grundkonzepts. Doch es stellte sich als schwierig heraus, Schildkröten mit einer ausreichenden Anzahl von mindestens 30 Ringen zu finden, um eine statistisch valide Korrelation zu ermöglichen. Mit zunehmendem Alter nimmt das Wachstum der Schildkröten ab, die Ringe werden schmaler und sind mit Makrophotographie nur schwer dokumentierbar. Daher entschlossen wir uns, vielversprechende Exemplare in einem Labor des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) genauer zu untersuchen. Unter dem digitalen Mikroskop waren mehr Ringe sichtbar und konnten präziser dokumentiert werden.
Erste Abgleiche von Wachstumsringsequenzen innerhalb einer Schildkröte.
E. Wächter / dendro.at.
Trotz der verbesserten Datenlage korrelierten die Ringmuster jedoch nicht zwischen den einzelnen Hornschuppen. Diese Enttäuschung führte zu weiteren Untersuchungen. Die höhere Anzahl der erkennbaren Ringe könnte nicht das Wachstum im höheren Alter widerspiegeln, sondern kleinere Variationen («Mini-Ringe»), die durch Temperaturschwankungen im gleichen Jahr entstehen. Jedoch sollten diese zumindest innerhalb des gleichen Individuums auf allen Hornschuppen sichtbar sein. Eine Antwort darauf steht noch aus.
Die ursprünglich vielversprechenden Schildkröten mussten erneut unter das Mikroskop, doch dies waren die in Alkohol getränkten Feuchtpräparate. Während der kurzen Fahrt mit der «Bim» (wienerisch für Straßenbahn) vom Naturhistorischen Museum zum ÖAI verströmten sie ihren charakteristischen Geruch – die Wissenschaft bringt einen oft in unerwartete Situationen. Die Analysen stehen noch aus, und obwohl größere und kleinere Rückschläge Teil der Grundlagenforschung sind, darf dies die Freude an der Entdeckung nicht trüben. Es ist nicht überraschend, dass Schildkröten nur langsam ihre Geheimnisse preisgeben.
Autorin:
Dr. Katharina Streit
Österreichisches Archäologisches Institut
Österreichische Akademie der Wissenschaften