Frick SJ, Eckhard / Siebenrock, Roman A.; Theobald SJ, Christoph (Hgg.): Urereignis Liebe. Große Theologen des 20. Jahrhunderts und die Frauen an ihrer Seite (QD 342).
Freiburg: Herder 2025. 303 S. Kt. 52,–.
Drei große Theologen führten über Jahrzehnte hinweg enge Freundschafts- oder/und Liebesbeziehungen mit Frauen: Die Jesuiten Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar mit Luise Rinser bzw. Adrienne von Speyr, der evangelische Theologe Karl Barth mit Charlotte von Kirschbaum. Die drei Beziehungen waren mehr oder weniger geheim, für den Lebensstand ihrer Protagonisten regelwidrig und anrüchig, außerdem in Dreiecksverhältnisse verstrickt: Rinser hatte eine weitere Beziehung zu einem Abt, von Speyr und Barth waren mit anderen Personen verheiratet. Das Buch schaut auf die Liebesbeziehungen mit der Frage, ob diese einen Einfluss auf die Theologie der drei Theologen hatten und welchen. Vorausgegangen waren zwei Tagungen in Innsbruck, auf denen diese Themen vorgestellt und diskutiert wurden.
Die Beziehungen waren sehr unterschiedlich: Von Speyr erzählte von Baltasar ihre mystischen Erlebnisse, dieser protokollierte und edierte sie; er hielt sie für große Theologie, was aber so kaum rezipiert wurde – seine eigene Theologie scheint wenig davon beeinflusst zu sein. Von Kirschbaum arbeitete Barth als Sekretärin und Assistentin zu, was seine Arbeit effizient machte, aber ein eigenständiges theologisches Denken oder ein Einfluss von ihr auf seine Theologie ist nicht überliefert. Bei Rahner findet sich am ehesten ein theologischer Niederschlag der Beziehung: Die von ihm schon früh (seit 1937) postulierte Einheit von Gottes- und Nächstenliebe darf oder soll sich – so betont er neu seit der Liebe zu Rinser (ab 1962) – am konkreten Du erweisen; ja, eine existentielle menschliche Liebe ist schon ein Vorgriff auf oder eine Realisierung der Gottesliebe (Roman Siebenrock, 266 ff.). Angedeutet findet sich auch Kritik an den Männern: Bei von Balthasar kann man an klerikalen Machtmissbrauch denken (Eckhard Frick SJ, 227); Barths Hausgemeinschaft ist mit zwei von ihm vielfach abhängigen Frauen doch recht patriarchalisch (Brigitte Boothe, 201).
Die ersten Beiträge des Buches beleuchten die Beziehungen historisch, wobei nur wenige Quellen existieren und manche von ihnen noch unveröffentlicht sind: Bruno Lautenschlager SJ zu Rahner/Rinser, Christiane Tietz zu Barth/von Kirschbaum, Manfred Lochbrunner zu von Balthasar/von Speyr. Danach kommen mehr deutende Beiträge, psychoanalytisch, theologisch, auch spirituell von der Unterscheidung der Geister her (Christoph Theobald SJ). Immer wieder scheint die Gewissensnot der Theologen auf, dass die als eng empfundenen Lebensformen Ehe bzw. Zölibat/Ordensgelübde durch die „Frauen an ihrer Seite“ gesprengt werden: Rahner ringt sich zu einem „Beides“ durch. Die Not der Ehefrau Barths ist deutlich sichtbar und wirft ein dunkles Licht auf den Mann, der ihr solches zumutet – Anni Findl-Ludescher, Lydia Maidl und Brigitte Boothe bringen Frauenperspektiven ein. Bei von Speyr bleiben freilich ihre Ehe und der Ehemann und außerdem die Qualität ihrer Beziehung zu von Balthasar blass. Die psychoanalytischen Deutungen (Lautenschlager, Frick) bleiben, auch wegen zu geringer biografischer Kenntnisse, ein wenig assoziativ, allerdings gut methodisch reflektiert und nicht spekulierend. Die „Triangulierung“ der unterschiedlichen Dreier-Konstellationen werden von Frick interessant auf eine breite Basis gestellt. Joachim Negel beleuchtet in einem schönen Text am Schluss – freilich ohne direkten Bezug zur Thematik des Buches –, was Freundschaft und Liebe auch theologisch bedeuten.
In dem bisher unerforschten und meist tabuisierten Gelände bietet das Buch eine erste Annäherung. Der Versuchung, die drei Lieben sensationsheischend aufzublähen, widersteht es angenehm nüchtern. Da es doch recht wenig über die Liebesbeziehungen selbst berichtet (auch mangels Quellen), wird es seinem Titel („Urereignis …“) nicht ganz gerecht. Theologisch trägt das Buch nichts ein, was nicht zu finden ist. Blickt man auf die Eingangsfrage, bleibt der Ertrag freilich dünn. Die Lektüre jedenfalls lohnt sich und regt an.
Stefan Kiechle SJ
Sellmann, Matthias / Katsuba, Nikita (Hgg. im Auftrag der DBK): Wer wird Priester? Ergebnisse einer Studie zur Soziodemografie und Motivation der Priesteramtskandidaten in Deutschland.
Würzburg: echter 2024. 307 S. Kt. 16,90.
„Umsteuern“ ist eine der prägenden Vokabeln, die in der vorliegenden Studie immer wieder auftaucht, wenn es um Empfehlungen geht, insbesondere auch um Ratschläge an die Berufungspastoral, wobei an vielen Stellen einschränkend und zu Recht auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen wird, dass diese allein solches Umsteuern nicht leisten kann – dass also „die berufungspastoralen Empfehlungen in einen viel größeren Umsteuerungsprozess eingebunden sein müssten, wenn sie überhaupt Wirkung entfalten sollen“ (Clemens Blattert, 294).
In Teil I des vorliegenden Buches werden zunächst die Ergebnisse der o.a. Längsschnittstudie vorgestellt (13-79). Es folgen in Teil II die Deutungen und Empfehlungen aus pastoraltheologischer Sicht (81-112) sowie die Präsentation der Ergebnisfolien (Teil III: 113-178), auf die sich offensichtlich zumeist die Stimmen zur Studie im abschließenden Teil V beziehen (279-302). Dem sind fachwissenschaftliche Reflexionen vorgelagert (Teil IV: 177-278); sie unternehmen den Versuch, die Ergebnisse der Studie zu kontextualisieren – wobei dem Rez. die Anmerkungen aus der Katholizismusforschung (209-242) am instruktivsten erscheinen, weil sie die Veränderung und Krise des Priesterbildes in einen historischen Kontext stellen, der es verbietet, zurückliegenden Jahrzehnten als der „guten alten Zeit“ nachzutrauern. Thesenartig werden die Herausforderungen oder auch Paradoxien für die Berufungspastoral am Ende von Teil II in fünf Dimensionen dargestellt: Herkunft der Kandidaten aus eben jenem Milieu, das gesellschaftlich und innerkirchlich „austrocknet“; Lebensstil und gesellschaftliche Positionierung der Kandidaten; das spirituell fokussierte Selbstbild sowie die Spannung, die sich daraus in Hinblick auf die Zurüstung für den Berufsalltag ergibt, und schließlich Ungleichzeitigkeit zwischen „neuen und überraschenden Priesterbildern“ auf der einen Seite, die wenig zu erkennen sind, und der nach wie vor „sakral idealisierten“ römischen Perspektive auf den Priester, die weiterhin überwiegt (101 f.).
Aus der Perspektive des Forums II des Synodalen Wegs („Priesterforum“) merkt Sr. Katharina Kluitmann (299 ff.) nicht ohne Humor an: „In Deutschland ist es manchmal wichtig, Zahlen für das zu haben, was alle wissen. Das ist gelungen.“ Für den Rez. wird dieser Eindruck dadurch verstärkt, dass manche „Forschung“ (wird dieser Begriff nicht inzwischen doch etwas zu inflationär benutzt? Welche neuen Ergebnisse zum Thema Klerikalismus könnten denn zum Beispiel durch weitere „Klerikalismus-Forschung“ noch hervorgebracht werden?) auf stark wertgeladenen Prämissen beruht, die die Ergebnisse und insbesondere die Empfehlungen dann nicht mehr sehr überraschend erscheinen lassen. Kritisch merkt Kluitmann an, dass die Stichproben systemimmanent seien, mehrheitlich „absolute Insider, frisch geweiht, die meisten vor dem verflixten siebten Jahr.“ Sie fragt kritisch nach, wer im jüngeren Klerus überhaupt von dieser Studie erfahren habe. Für eine Zukunftsvision reicht ihr die Erfassung des Ist-Zustandes nicht. Auch dies ist keine Überraschung, zumal es nicht die Aufgabe von empirischer Wissenschaft ist, Visionen zu formulieren. Maximal kann sie an der Basis – auch sie selbst überraschende – Bewegungen mit auslösen, die das Zeug hätten, tatsächlich alle Beteiligten aus dem Tal der Ratlosigkeit herauszuführen, das sich auch für den Rez. nach der Lektüre dieses Buches noch nicht wirklich gelichtet hat.
Klaus Mertes SJ
Byrne SJ, Brendan: Leben in Fülle. Eine Begegnung mit dem Johannesevangelium. Aus dem Engl. von Ralf Klein SJ.
Ostfildern: Grünewald 2025. 576 S. Gb. 40,–.
Nachdem die Kommentare des australischen Jesuiten und Exegeten zu den synoptischen Evangelien erschienen sind, liegt nun auch seine Auslegung des Johannesevangeliums vor. Erfahrungsgemäß stellt das Vierte Evangelium in vielerlei Hinsicht besondere Verständnisprobleme dar (dazu einleitend 31-47), nicht zuletzt für die Verkündigung in den Gemeinden. Dieser will der Kommentar ebenso wie die vorhergehenden dienen: „Ich lege einen Kommentar in dem Sinne vor, dass er dem Text des Vierten Evangeliums durchgehend von Anfang bis Ende folgt. Im Unterschied zu den klassischen Kommentaren der biblischen Bücher hat er allerdings eher eine pastorale Zielsetzung“ (20). Nur in den Fußnoten finden sich die Hinweise auf die zu Rate gezogenen und/oder kontrovers diskutierten wissenschaftlichen Publikationen.
Die fortlaufenden, in nüchterner, verständlicher Sprache gehaltenen Kommentare werden gelegentlich mit „Reflexionen“ abgeschlossen. Immer wieder wirbt Byrne darin für die „Goldkörner“ (257), die er für zeitgenössische Leser und Leserinnen aus Texten heben will, die oft wegen ihrer Härte zunächst einmal – und auch zu Recht – schockieren. Byrne deutet sie durchgängig vor dem Hintergrund der laufenden Auseinandersetzung der Johannes-Gemeinde mit dem Ausschluss aus der Synagoge. Wie das funktioniert, lässt sich am dem Begriff „Welt“ verdeutlichen. Im Nikodemusgespräch ist sie Objekt der Liebe Gottes (121 ff.); in den Abschiedsreden ist sie Subjekt des Hasses (409-420), „schlimmer noch, es wird bald deutlich, dass der Hauptvertreter dieser feindlichen Welt in diesem Abschnitt die jüdische Führung ist, was das Risiko verstärkt, negative, wenn nicht sogar antisemitische Einstellung … zu vermitteln, erheblich verstärkt.“ Aber gerade der Blick auf die historischen Zusammenhänge macht es möglich, mit den Texten heute verantwortungsvoll umzugehen und dann doch „Goldkörner“ zu heben. Spitzenformulierungen wie etwa „niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6) können so ebenfalls vor falschen Aktualisierungen geschützt werden: „Die weisheitliche Tradition Israels und die Tora, in der diese zum Ausdruck kommt, sind nur dann Wege zum Leben, wenn sie auf ihn (Christus – KM) zeigen und in ihm ihre Erfüllung finden“ (384). Auch dieser Exklusivitäts-Anspruch ist also im Rahmen der innerjüdischen Debatten um die Auslegung der Tora zu verstehen, die der Sohn in den Sand schreibt, wenn sie zum Instrument der Verurteilung genutzt wird (vgl. Joh 8,1-8).
Brendan Byrne hat mit diesem Kommentar eine weitere Hilfe für eine exegetisch verantwortbare und zugleich gegenwartsbezogene Verkündigung des Evangeliums vorgelegt; allein schon deswegen eine besonders wichtige Hilfe, weil das Johannesevangelium wegen seiner Sperrigkeit, wegen seiner ironischen Einschübe (Joh 11,50), seiner gezielt eingesetzten Missverständnisse und wegen seiner Symbolik dazu anregt, am Text zu arbeiten, statt ihn bloß zu konsumieren – und so Schätze zu heben, die er tatsächlich bereithält, auch für die Leser und Leserinnen heute.
Klaus Mertes SJ