Rezensionen: Kunst & Kultur

Puchner, Martin: Kultur. Eine neue Geschichte der Welt.
Stuttgart: Klett-Cotta 2025. 428 S. Gb. 35,–.

Kultur verbindet Menschen verschiedener geografischer Räume und schafft Nähe über lange zeitliche Distanzen hinweg. Davon berichtet dieses Buch in fünfzehn unterhaltsamen Kapiteln, die, chronologisch geordnet, politische, wirtschaftliche, philosophische und soziologische Entwicklungen an ausgewählten Objekten beleuchten. Eine Einführung und ein Epilog liefern den Leseschlüssel dazu.

Puchner bringt folgende Überlegung ein: Anders als die Evolution sei die Kultur den Menschen nicht einprogrammiert. Ihre Weiterentwicklung und Belebung hingen in jeder Generation von Menschen ab, die sie vermittelten und hervorbrachten. Die prominenten Akteure, die in diesem Buch vorgestellt werden, sind Meisterwerke der Kunst, historische Entwicklungen sowie Männer und Frauen, die sie erschufen. Sie stehen stellvertretend für viele, die in ihrer Gegenwart und darüber hinaus bewundert wurden und aus kultureller Überlieferung schöpfend weitere Entwicklungen angestoßen haben. Das Buch leistet, was Kultur will: Bildung fördern und zeitgenössische Fragen gewinnbringend vertiefen, ihre Wurzeln freilegen. Vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen so ganze Kulturlandschaften.

Das Buch beginnt mit der Chauvet-Höhle vor mehr als 37.000 Jahren. Dort entstand ein besonderer Ort, an dem die Menschen die zufälligen Abdrucke, die Tiere dort hinterlassen haben, um Holzkohlezeichnungen ergänzten und zu einem besonderen Ort machten, der rituelle Handlungen ermöglichte. Für die Nachwelt wurde die Höhle gerettet, weil Erdrutsche sie zwei Mal verschlossen haben. Bereits hier wird deutlich, dass Kultur in geeigneter Weise bewahrt werden muss. Neu entdeckt, konfrontiert sie die Forschenden mit einer Fremdheit, die erst durch mühsame Arbeit der Annäherung gedeutet werden kann.

So entwickelt sich der Erzählfaden des Buches. Die Wahl der Objekte, die um die gesamte Welt verstreut sind, zeigt, wie sehr unsere Welt globalisiert ist und der interkulturelle Einfluss bereits in der Antike begann. Die Beispiele werden gut kontextualisiert und miteinander verwoben. Wir erfahren nicht nur von Mohammed es-Senussi und der Ausgrabung der Büste Nofretetes, sondern werden in den historischen Hintergrund ihrer Entstehung und in die Kolonialgeschichte eingeführt, die zu einer regelrechten Sammelwut und zur Erfindung der Museen beigetragen hat. Die Büste der Nofretete in Berlin zeugt davon.

Die beschrieben Entwicklungen einschließlich der Wiederentdeckung des eigenen kulturellen Erbes im postkolonialen Nigeria am Beispiel des Autors und Theatermachers Wole Soyinkas, der Englisch schreibt, und des Dramatikers und Theatermachers Duro Lapidos, der seine Werke in Yoruba verfasste und als Befreiung verstand, werden um Traditionen Asiens erweitert. Stellvertretend dafür sei die Autorin des Kopfkissenbuches, Sei Shōnagon, genannt, die im 10. Jahrhundert am kaiserlichen Hof in Japan lebte und dort auf Papier, das zufällig in ihre Hände gelangte, in japanischer Silbenschrift eine Chronik verfasste, die keine Schlachten, sondern die Kultur ihrer Alltagswelt dokumentierte.

Deutlich zeigt der Autor die Tradition des Menschlichen, das wir alle teilen. Er wendet sich gegen vielfältige Formen der Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung, die im Laufe der Geschichte weltweit in allen Kulturkreisen entstanden sind. Das Buch wird zutiefst vom Geist der Aufklärung getragen und verzichtet doch keineswegs auf den Beitrag, den Religionen zur Weitergabe und zur Entwicklung der Kultur geleistet haben. Ein christliches Beispiel dafür sind die Klöster und Hildegard von Bingen.

Alexandra Wypich

Johannes vom Kreuz: Poesie und Prosa. Gesamtausgabe. 2 Bde. Hg. von Ulrich Dobhan OCD und Elisabeth Peeters OCD.
Freiburg: Herder 2024. 585 + 1262 S. Ln. im Schuber. 168,–.

Der hl. Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz, 1542 bis 1591) war Karmelit, Mystiker und Ordensreformator, Dichter und geistlicher Schriftsteller – seine Werke gehören zur großen Literatur Spaniens und zum Kanon der Weltliteratur. Seit Jahrhunderten in alle großen Sprachen übertragen, liegt hier eine neue Gesamtausgabe auf Deutsch vor, neu und sowohl präzise wie literarisch gut übersetzt, mit einer ausführlichen Lebensbeschreibung und hervorragenden Hinführungen und Kommentaren.

Bernhard Teuber, Hispanist in München, bezeichnet in seinem Geleitwort Juans Werk als „eine geistliche Hinführung zur Erfahrung mystischer Gottesbegegnung“ und trifft damit genau den Charakter dieser Literatur. Der erste Band führt nach der Biografie Juans in dessen Werk ein. Ausführlich wird der spirituelle und theologische Gehalt der Schriften Juans dargestellt, sein Weg als „ein göttlich-menschliches Liebesabenteuer“. Der „Dunklen Nacht“ und den mit ihr zu stellenden theologischen und psychologischen Fragen ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die mystische Poesie wird sprachwissenschaftlich gedeutet. Nach diesen Hinführungen bringt der erste Band die poetischen Schriften Juans, durchgehend spanisch – deutsch gegenübergestellt. Bei einigen sehr bekannten Dichtungen (Cántico espiritual, Noche oscura …) wird die klassische, sehr poetische Übersetzung Edith Steins gewählt. Anschließend werden die Gedichte im Detail kommentiert und erschlossen. Einige kleinere Schriften und die erhaltenen Briefe runden den Band ab.

Der zweite Band enthält die Prosawerke Juans, die vor allem von ihm selbst geschriebene Kommentare zu den Gedichten sind; vorangestellt wird jeweils eine neue, von den Herausgebern erstellte wortgetreue Übersetzung der Gedichte. Auch diese Prosawerke sind gut eingeleitet und werden mit reichen Fußnoten im Detail erschlossen.

Historisch-biografisch wird hervorragend gearbeitet – nachdem früher Johannes vom Kreuz rein hagiografisch erschlossen war. Die Bände sind edel ausgestattet – gibt es heute kaum noch. Nach einer ähnlichen Ausgabe zu Teresa von Avila haben die beiden Herausgebenden mit diesem Werk Großes geleistet. Es ist ein Buch zum Vertiefen, das einige Muße braucht – empfohlen nicht nur für literarisch Interessierte, sondern vor allem für geistlich Suchende.

Stefan Kiechle SJ

Wortberg, Christoph: Gussie. Roman.
München: dtv 2024. 287 S. Gb. 24,–.

Auguste Adenauer, geb. Zinsser, genannt „Gussie“, war die zwanzig Jahre jüngere zweite Frau von Konrad Adenauer. Beide heirateten am 25.9.1919 nach dem Tod von Konrads erster Frau Emma – mit der er drei Kinder hatte –, nachdem Gussie in Köln zur katholischen Kirche konvertiert war. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor. Die künstlerisch und musisch gebildete Frau engagierte sich in der Zentrumspartei, unterstützte vielfältige künstlerische und soziale Vereine und Organisationen und unterschrieb noch im Februar 1933 mit fünf weiteren Frauen einen Aufruf gegen Hass und Straßenterror der Nazis. Am 13.3.1933 tauchte ihr Mann, der von den Nazis sofort als Oberbürgermeister von Köln abgesetzt worden war, unter. Gussie blieb mit den Kindern zunächst in Köln, später fand die Familie unter prekären politischen Bedingungen eine Bleibe in Rhöndorf. Konrad Adenauer wurde nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet und inhaftiert. Es gelang ihm mit Hilfe von Freunden, zu fliehen und sich zu verstecken. Daraufhin wurde Gussie verhaftet und von der Gestapo verhört und misshandelt. Als sie mit Drohungen gegen ihre Töchter unter Druck gesetzt wurde, verriet sie den Aufenthalt von Konrad, um ihre Töchter zu retten. Die Fluchthelfer wurden inhaftiert und starben unter den Folgen der Haft. Gussie wurde im Frauengefängnis in der Abtei Brauweiler eingesperrt, Konrad wurde ebenfalls in Brauweiler inhaftiert. Aus Verzweiflung über ihren Verrat unternahm sie einen Suizidversuch. Sie überlebte zwar den Versuch, aber starb nach dem Krieg an den Spätfolgen.

„Gott der Herr nahm heute meine geliebte Frau, unsere gute Mutter, Schwiegermutter, Tochter, Schwester, Schwägerin Gussie Adenauer geb. Zinsser zu sich. Sie starb nach langer, schwerer, mit unendlicher Geduld ertragener Krankheit im Alter von 52 Jahren, gestärkt mit den Tröstungen der katholischen Kirche. Ihr Leben war Liebe und Güte, Rhöndorf am Rhein, den 3. März 1948“ (283). Mit der Todesanzeige schließt der Roman von Christoph Wortberg, Historiker, Germanist und Drehbuchautor. Er verdichtet Szenen aus dem Leben von Gussie Adenauer in Dialogen, bemüht sich dabei um größtmögliche Nähe zum historischen Geschehen. Alle Auszüge aus Reden, Radiosendungen und v. a. aus den Briefen sind selbstverständlich im Original zitiert. So entsteht ein erster, verlässlicher und berührender Gesamteindruck von dem Leben dieser bemerkenswerten Frau.

Es ist erfreulich, dass der Autor vor Beginn des Jubiläumsjahres (150 Jahre Konrad Adenauer) den Blick auf Adenauers Frau Gussie gelenkt hat. Sie verdient gerade auch im Jubiläumsjahr Aufmerksamkeit. Kürzlich wurde ihr Nachwirken in dem im ZDF ausgestrahlten Historienfilm „An einem Tag im September“ sichtbar: Konrad Adenauer und Charles de Gaulle kamen sich am 14.9.1958 in Colombey les Deux Eglises über tiefe Gräben erst näher, als es ihnen gelang, sich jenseits der strategischen Fragen ihre persönlichen biografischen Wunden zu zeigen. Konrads Wunde hieß Gussie. Die Erinnerung an sie schlug die Brücke zur deutsch-französischen Annäherung zu einem Zeitpunkt, als sie noch als illusorisch erschien. Über das Wunder des Gelingens der Versöhnung wird im Adenauer-Jubiläumsjahr noch viel gesprochen werden. Gussie sollte dabei nicht vergessen werden.

Klaus Mertes SJ

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