Triangulierung

Am 3. Juni 2025 meldeten die Medien, dass die diözesane Missbrauchs-„Aufarbeitungskommission-Ost“ aufgelöst wurde. Die verantwortlichen Bischöfe begründeten den Schritt mit dem Rücktritt mehrerer Mitglieder des Gremiums, so dass die Kommission nicht mehr entscheidungsfähig war. Sie verwiesen auch auf den jüngsten Jahresbericht der Kommission vom November 2024 und auf ein Minderheitsvotum von Betroffenenvertretern vom Februar dieses Jahres. Darin waren „anhaltende kommunikative Probleme“ und eine dysfunktionale Arbeit beklagt worden.

Der Vorgang ist in der jüngeren Geschichte der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche einmalig. Er löst aber wenig öffentlich vernehmbares Echo aus. Die naheliegende Frage, woran es denn gelegen haben mag, ist ja nicht beantwortbar, ohne die „kommunikativen Probleme“ im Einzelnen zu benennen. Dagegen spricht aber nicht zuletzt das Anliegen des Diskretionsschutzes, das auch durch nachträgliche Schlammschlachten verletzt würde. Fragen nach den „kommunikativen Problemen“ werden im Einzelnen nur, wenn überhaupt, intern geklärt werden müssen.

Es gibt aber noch einen anderen naheliegenden Grund für das Scheitern der Kommunikation, der nicht mit dem Scheitern der Kommunikation zwischen Personen zu tun hat, sondern mit der Struktur der Aufarbeitungskommissionen selbst, wie sie zwischen dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung (UBSKM) und der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am 20.4.2020 in der „Gemeinsamen Erklärung“ (GE) vereinbart wurde. So wie die Aufarbeitungskommissionen in der GE aufgestellt sind, ist das Scheitern der Kommunikation zwischen den Beteiligten geradezu vorprogrammiert, es sei denn, dass aus zufälligen Gründen oder auch aus Verfahrensgründen, die in der GE nicht vorgesehen sind und die nachträglich eingebaut wurden, eine gute persönliche Chemie zwischen den Beteiligten zustande kommt, die die strukturell gegebenen Risiken ausgleicht. Grundsätzlich gilt: Der GE fehlt die „Triangulierung“ der Arbeit in den Kommissionen: eine Instanz zwischen den Betroffenen und den Vertretern der Institutionen, die entscheidungsfähig ist und im Konfliktfall auch entscheidungsfähig bleibt.

Vorbildlich wurde eine trianguläre Struktur in der französischen „Unabhängigen Kommission für sexuellen Missbrauch in der Kirche“ (CIASE) unter der Leitung ihres Präsidenten Jean-Marc Sauvé umgesetzt. Die Unabhängigkeit der Kommission wurde dadurch garantiert, dass ihr Präsident mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet wurde, über die die von ihm – und nicht von den Bischöfen – eingesetzte Kommission dann frei verfügen konnte. Und schließlich gab Sauvé selbst eine trianguläre Struktur vor: Zur Kommission sollten weder Kleriker noch Betroffene gehören. Das ermöglichte der Kommission eine nach beiden Seiten hin unabhängige Kommunikation sowohl mit Betroffenen als auch mit Institutionsvertretern, ohne dass im Falle unüberwindlicher Differenzen die Arbeit der Kommission schachmatt gesetzt war.

Anders verhält es sich in den Aufarbeitungskommissionen der Diözesen in Deutschland. Abgesehen davon, dass es mehrere Kommissionen gibt, die ihrerseits unterschiedlich vorgehen, herrscht in vielen Kommissionen eine strukturell vorgegebene Rollendiffusion vor, die das Risiko erhöht, dass die Missbrauchskonstellationen reinszeniert werden. Dem ist eigentlich nur zu entkommen, wenn ein großes gegenseitiges Vertrauensverhältnis unter den Mitgliedern waltet. Das darf aber gerade im Verhältnis von Betroffenen und Institutionsvertretern nicht vorausgesetzt werden.

Grund für die dysfunktionale Aufstellung der Aufarbeitungskommissionen in den deutschen Diözesen ist m. E. die Entscheidung von UBSKM und DBK im Frühjahr 2020, das Modell der Betroffenenbeteiligung, wie es innerhalb des UBSKM vorgesehen ist, auf die Arbeit der diözesanen Kommissionen mehr oder weniger zu übertragen. Diese Übertragung funktioniert nicht. Der/die UBSKM versteht sich letztlich nicht als neutrale Instanz zwischen Betroffenen und Institutionen, sondern als Anwalt der Anliegen der Betroffenen. Gegen dieses Selbstverständnis ist auch nichts einzuwenden. Aber genau aus diesem Grunde befindet sich der/die UBSKM in einem anderen Verhältnis zu dem eigenen Betroffenenbeirat als die Diözesen zu ihren Betroffenenbeiräten.

Was folgt daraus? Die Auflösung der Aufarbeitungskommission-Ost fordert das System der Aufarbeitung als Ganzes heraus. Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen UBSKM und Bischöfen kommt man da nicht weiter. Vielmehr wäre jetzt die Gelegenheit gegeben, die GE vor dem Hintergrund der Erfahrungen der zurückliegenden Jahre zu überprüfen. Der Überprüfungs-Prozess müsste selbst triangulär aufgestellt sein, über eine Person oder Instanz, auf die sich UBSKM und DBK einigen. Das ist nicht zuletzt auch eine Frage an die Politik. Ansonsten steht zu befürchten, dass sich der Kreislauf des Scheiterns – von respektablen Einzel-Ergebnissen abgesehen – immer weiter dreht.

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