Rezensionen: Philosophie & Ethik

Mächler, Ruth: Freiheit und Vertrauen. Von alten Ordensleuten für das Leben lernen.
Ostfildern: Patmos 2025. 192 S. Gb. 24,–.

Bücher übers Altwerden gibt’s im deutschen Sprachraum in großer Zahl. Braucht es noch eine weitere Publikation, kann man sich fragen? Ruth Mächler ist eine erfahrene Soziologin und Theologin. Dass ihr Buch inzwischen mehrfach nachgedruckt wurde, zeigt, dass sie Wichtiges zu sagen hat. Sie nimmt die Leserinnen und Leser in eine Welt mit, die den meisten Menschen fremd sein dürfte, aus der sich jedoch für die „weltliche“ Welt Vieles und Kostbares über Altwerden, Allein- und In-Beziehung-Sein, Gottsuche und Fruchtbarkeit im Alter lernen lässt.

In einer qualitativen Studie hat Ruth Mächler zwölf Jesuiten und neun Sacré-Cœur-Schwestern in Deutschland und Österreich befragt und versucht, eine Antwort darauf zu finden, wie hochbetagte Ordensleute die letzte Lebensphase bewältigen. Die Befragten waren im Schnitt 88 Jahre alt und hatten durchschnittlich 66 Jahre lang in ihrer Ordensgemeinschaft gelebt. Somit sind die Erfahrungen von 1313 Ordensjahren und 1760 Lebensjahren in das Buch eingegangen.

Sie hat die Antworten geordnet und für die Leserinnen und Leser in acht Abschnitten aufgeschlüsselt: 1. Eine Lebensentscheidung wird getroffen und durchgehalten. 2. Gute Vorbilder haben Kraft gegeben. 3. Suchen und Zweifeln gehören zu einem Leben aus dem Glauben dazu. 4. Ein starkes Motiv für das Ordensleben ist das Arbeiten für eine Sache, „die größer ist als ich selbst“. 5. Begrenzung und Freiheit stehen in einer paradoxen Spannung. 6. Krisen werden zum Segen. 7. Mit offenen Augen auf den Tod zugehen. 8. Der Wunsch und die Hoffnung, in der Welt Spuren zu hinterlassen.

In seinem Nachwort fasst Prof. Eckhard Frick SJ, Priester, Psychiater und Psychoanalytiker, den Wert des Buches treffend so zusammen, dass die Autorin diese Situationen dermaßen anschaulich und lebendig erzählt, „als könnten Leserinnen und Leser bei den Interviews zuhören. Sie bietet sich selbst als Modell für Resonanz und Reflexion an, indem sie einerseits den interviewten Ordensleuten die Initiative überlässt, anderseits aber ihr eigenes Erleben nicht nur mit den Befragten, sondern auch mit den Leserinnen und Lesern teilt“ (184).

Alle Interviewten haben sich den zentralen Fragen am Ende des Lebens in großer Ehrlichkeit gestellt, haben Krisen und Scheitern in ihren Antworten nicht ausgeklammert, doch genauso benannt, welche Aspekte ihrer Spiritualität sie im vorgerückten Alter tragen, wenn Gesundheit und Kräfte schwinden. Sie haben ehrlich erzählt, was sich gewandelt hat und worauf wirklich Verlass ist. In ihren Erfahrungen lassen sich Antworten auf die großen Lebensfragen erahnen, die sich im vorgerückten Alter jedem Menschen stellen. Wer danach auf der Suche oder gar davon umgetrieben ist, wird in Mächlers Buch viele wertvolle Impulse finden.

Hermann Kügler SJ

Gäb, Sebastian / Reisinger, Doris (Hgg.): Philosophie der Spiritualität / Philosophy of Spirituality.
Berlin: Schwabe 2024. 208 S. Kt. 42,–.

Der vorliegende Sammelband geht auf ein Münchner Kolloquium für Religionsphilosophie im Oktober 2022 zum Thema „Spiritualität mit und ohne Gott“ zurück. Das Kolloquium näherte sich dem Begriff und Phänomen Spiritualität aus religionsphilosophischer Perspektive. Je häufiger der Begriff in der Theologie, aber auch in den empirischen Sozialwissenschaften und in der Psychologie auftaucht, desto näher liegt der philosophische Blick auf ihn. Die einzelnen Beiträge ringen mit der Frage nach der Definition von Spiritualität, dem Verhältnis zum Religionsbegriff, zum Gottesbezug und/oder zu einem anders zu fassenden Begriffsgegenstand. Bewusst wird eine Definition von Spiritualität vorgegeben, die offen bleibt für die Pluralität der Phänomene, aber doch zugleich die Vielfalt begrifflich zu ordnen vermag. „Mein Ziel war es“, schreibt Reisinger in ihrem Eröffnungsbeitrag (9-27), „eine Definition von Spiritualität zu entwickeln, die sowohl religiöse als auch nicht-religiöse Spiritualitäten umfasst, ebenso wie ethisch fundierte und nicht fundierte Spiritualitäten. Darüber hinaus setzt meine Definition nicht zwingend die Existenz von etwas außerhalb des menschlichen Geistes voraus, schließt diese Möglichkeit aber auch nicht aus. Anstatt sich auf den Inhalt spiritueller Überzeugungen zu konzentrieren, konzentriert sie sich auf die Rolle, die Spiritualität im Leben spielt“ (24, Original in Englisch).

Die einzelnen Beiträge des vorliegenden Bandes ordnen sich weder explizit noch implizit dieser offenen Definition unter, aber sie kreisen um dieselben zentralen Fragestellungen. Dabei geht es durchaus auch kontrovers zu: Raphael Weichlein verteidigt religiöse Einstellungen gegen den Vorwurf der intellektuellen Unredlichkeit (97-114), Thomas M. Schmidt referiert mit Bezug auf Charles Taylor, Jürgen Habermas oder Georges Bataille die spirituellen Dynamiken in säkularer, von Individualisierungsprozessen gekennzeichneter Gesellschaft (63-80). Markus Wirtz nimmt Transhumanismus und Posthumanismus in den Blick (133-156), Markus Wynn sucht im kritischen Gespräch mit Augustinus und C.S .Lewis Zugänge zum Begriff der Ewigkeit angesichts von Verlusterfahrungen. „Es gibt“, so Wynn, „eine andere, umfassendere Lesart des Ewigkeitsbegriffes, und wenn wir die entsprechenden Hintergrundüberzeugungen akzeptieren, kann diese andere Lesart vielleicht hilfreich sein, wenn es darum geht, unsere Hoffnung auf eine dauerhafte und bedeutsame Verbindung zu den Menschen, die wir lieben, aufrecht zu erhalten“ (61). Weitere Beiträge widmen sich Hartmut Rosas Resonanztheorie, dem Verhältnis von individueller Spiritualität und gesellschaftlichen Krisen, der Möglichkeit einer Spiritualität ohne Religion u. a.m.

Es ist immer etwas mühsam, Sammelbände zu lesen. Einige Beiträge sind in englischer Sprache abgedruckt. Sie lohnen auch je einzeln die Lektüre, spätestens dann, wenn man anlassbezogen Einführung in eine der Fragestellungen erhalten will, die durch die religionsphilosophische Perspektive auf Spiritualität, Religion und dem Verhältnis zwischen beiden aufgemacht werden.

Klaus Mertes SJ

Jox, Ralf / Porz, Rouven: Wenn es ernst wird. Lebensentscheidungen von Kinderwunsch bis Sterbehilfe.
München: C.H. Beck 2025. 238 S. Gb. 24,–.

Beide Autoren stellen sich im Vorwort als klinische Ethiker vor, die an den Universitätskliniken in Lausanne und Bern in der Schweiz arbeiten. Sie stehen dort medizinischem Fachpersonal, Patienten und Patientinnen und deren Angehörigen in medizinisch schwierigen Entscheidungsfragen zur Seite. Gleich an mehreren Stellen betonen die Autoren, dass sie sich nicht als ein personell reduziertes Ethikkomitee verstehen, das Behandlungsempfehlungen ausspricht, sondern als Begleiter eines Beratungsprozesses.

Der Untertitel des Buches markiert die Spanne des Themenspektrums. Die beginnt bei der Zeugung von Kindern, der Geburt, der Sorge der Eltern um die Gesundheit des Kindes (Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik), der Identität und möglicher Irritationen (Familienplanung, Verhütung und Sterilisierung, Geschlechtszugehörigkeit), den psychischen Krankheiten, Künstlicher Intelligenz und der Angst davor, und endet bei den Problemen am Lebensende (Umgang mit dem Alter, der Vergänglichkeit, des Wunsches nach dem Tod – Suizid, Assistenz beim Suizid, Sterbefasten) und der Behandlung des toten Leibes (u. a. Organ- und Spermienentnahme). Im 12. und letzten Kapitel „Ethikkompetenz für die Medizin von morgen“ plädieren die Autoren nochmals für die klinische Ethik und den entsprechenden Beruf des klinischen Ethikers als einem „Beruf mit Zukunft“ (217), um den vielfältigen und herausfordernden Anforderungen des zukünftigen Klinikalltags gewachsen zu sein, damit gute Entscheidungen zum Wohle der Patienten und Patientinnen getroffen werden, die auch den Bedürfnissen des Gesundheitspersonals wie der Angehörigen gerecht werden.

Jox und Porz setzen vorwiegend auf eine prozedurale Ethik, die in strittigen Fragen keine inhaltlichen Vorgaben macht. Das entspricht dem Grundsatz, dass Beratung ergebnisoffen gestaltet werden sollte, weil andernfalls die Gefahr des Paternalismus besteht. Allerdings wäre der Hinweis hilfreich, dass auch bei solchen Prozessen eine Asymmetrie unter den Teilnehmern besteht – ein Voraus an Sachwissen etwa beim medizinischen Fachpersonal, das auch nur mit Einschränkungen vermittelt werden kann. Und zum anderen: Der Konsens als Ergebnis der gemeinsamen Deliberation garantiert noch nicht die Richtigkeit der Entscheidung in der gegebenen Situation. An einer Stelle konzedieren die Autoren, dass Konsens nicht das einzige Kriterium sein kann (221), ohne allerdings näher zu erläutern, welche anderen Kriterien noch zu berücksichtigen sind.

Das Buch bietet eine Fülle von hilfreichen Informationen und ist in einer verständlichen Sprache verfasst. Die 35 Fallbeispiele illustrieren auf eindringliche Weise, mit welch zum Teil schwierigen Fragen Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen und vor allem das medizinische Personal im Klinikalltag konfrontiert werden. Dass unter Umständen die Ergebnisse bei einigen Fallbeispielen nicht gänzlich zufriedenstellen können, liegt auch an den dilemmatischen Situationen, die beschrieben werden. Neben den Fallbeispielen finden sich verstreut 21 Infoboxen, in denen die Autoren Themen wie „industrialisierte Medizin“, Prinzipien medizinischer Ethik, „Social Freezing“, gesundheitliche Versorgungsplanung, internationale Rechtslage zur Lebensverkürzung usf. in knapper Form erläutern. Die Autoren dürften ihr Ziel mit dieser Publikation wohl erreicht haben, den an medizinethischen Fragen interessierten Leserinnen und Lesern ihr Berufsfeld eindrücklich vorzustellen und zugleich über existentiell bedeutsame Fragen der Lebensentscheidung im modernen klinischen Alltag zu informieren.

Josef Schuster SJ

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