Rezensionen: Geschichte & Biografie

Röwekamp, Georg: Christen in der Region Gaza. Eine vergessene Geschichte.
Freiburg: Herder 2025. 164 S. Kt. 20,–.

Die grauenhafte Situation in Gaza richtet den Blick auch auf die Christen dieser Region. Es ist eine sehr kleine christliche Gruppe übrig, die Unendliches erleidet, aber doch tapfer und in Solidarität mit anderen aushalten will. Georg Röwekamp, profunder Kenner des Heiligen Landes, zeichnet die Geschichte dieser Christen nach, um sie aus der Vergessenheit zu reißen und auch, um für heute ein politisches Zeichen der Solidarität zu setzen.

Der knappe Durchblick beginnt mit der vorchristlichen Geschichte Gazas, behandelt dann ausführlicher die frühchristliche Zeit – mit eindrucksvollen Zitaten aus den Schriften der frühen Mönche Gazas, u. a. von dem berühmten Dorotheus von Gaza. Diese waren meist Gegner des Konzils von Chalzedon, später setzte sich nach Kämpfen der orthodoxe Glaube durch. Eine antike Rhetorenschule blieb bis ins 6. Jahrhundert aktiv. Die literarischen Zeugnisse dieser Zeit sind reicher erhalten als die archäologischen. Seit der Islamisierung gab es viele Moscheen. Die Kreuzfahrer errichteten Festungen und Kirchen – die große Moschee von Gaza ist bis heute eine umgewidmete und erweiterte Kreuzfahrerkirche. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit kamen viele Pilger durch Gaza. 1799 besetzte Napoleon Gaza – die Stadt war übrigens jahrhundertelang weit größer als Jerusalem. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es auch eine Gemeinde lateinischer Christen. Nach der britischen Mandatszeit und dem Unabhängigkeitskrieg wurde der „Gaza-Streifen“ gebildet. Zu den 50.000 Einwohnern kamen etwa 200.000 palästinensische Flüchtlinge hinzu. Das Gebiet kam zunächst unter ägyptische, später unter palästinensische Verwaltung und ist seit 1967 von Israel besetzt.

Heute sind nur noch 0,05 % der Bevölkerung christlich. Röwekamp beschreibt im aktuellen Teil des Buchs die verschiedenen Gruppen und ihre beeindruckenden Aktivitäten, die auch viel soziale Arbeit für alle Armen beinhalten. Im Epilog deutet er die blutige Simson-Geschichte des Buches der Richter – sie spielt teilweise in Gaza – auf die aktuelle Situation, auch mit zahlreichen Abbildungen aus Kirchen. Simsons Kampf mit dem Löwen ist ein Vor-Bild für Christi Sieg über die Mächte der Unterwelt und sein Tragen der Stadttore ein Vor-Bild der Auferstehung. Einige Zeugnisse von Christen schließen das Buch ab. Pierbattista Kardinal Pizzaballa OFM, Patriarch von Jerusalem, zitiert in einer Predigt einen Christen aus Gaza: „Als Christen haben wir keine Gewalt im Blut. Wir wollen Christen bleiben und das Licht an diesem Ort bleiben.

Stefan Kiechle SJ

Schmitt, Éric-Emmanuel: Jerusalem. Meine Begegnung mit dem Heiligen Land.
München: C. Bertelsmann 2025. 221 S. Gb. 22,–.

2022 unternahm der französisch-belgische Philosoph und Schriftsteller Éric-Emmanuel Schmitt eine Reise zu den klassischen Pilgerstätten des Heiligen Landes. Anlass war eine Einladung des Leiters der Vatikanischen Verlagsbuchhandlung. Nach einem einleitenden Bericht über diese Vorgeschichte bilden zwei etwa gleich lange Abschnitte den Hauptteil des Buches, in denen Schmitt zunächst seine Eindrücke aus Judäa und Galiläa, anschließend aus Jerusalem beschreibt. Den Abschluss bildet die Darstellung der auf die Reise folgenden privaten Begegnung mit dem verstorbenen Papst. Franziskus hat auch ein knappes, in typisch kurialem Stil verfasstes Nachwort beigesteuert.

In seinem 2003 auf Deutsch erschienenen, vielleicht bekanntesten Werk „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, das als gefällige, aber theologisch schlichte Versöhnungsgeschichte zwischen Islam und westlicher Jugendkultur angelegt ist, hatte Schmitt eine allegorisch-moralische Erzählung mit leicht esoterischer Färbung formuliert. Entgegen der nicht ganz vorurteilsfreien Erwartung des Rezensenten legt der Autor mit „Jerusalem“ nun ein geradezu intimes Glaubensbuch vor. Natürlich erläutert Schmitt historische Hintergründe und beschreibt Begegnungen mit den Mitgliedern seiner Pilgergruppe oder Persönlichkeiten wie dem Dominikaner-Archäologen Jean-Baptiste Humbert. Er spart auch nicht mit architektonischen Wertungen, wenn er etwa die Primatskapelle am See Genezareth als „hässlich und schmucklos“ (46) tadelt, der Kirche aller Nationen am Ölberg dagegen „eine kokette Eleganz“ (122) zuschreibt.

Im Mittelpunkt stehen aber die geistlichen Erfahrungen des ursprünglich agnostisch geprägten Autors. Schlüsselszene des Buches ist ein mystisches Erlebnis in der Grabeskirche, das Schmitt als unmittelbare, fast körperliche Begegnung mit dem Auferstandenen „in Form eines Geruchs, einer Wärme, eines Blicks“ (182) beschreibt. Diese Erfahrung wird zum Wendepunkt seiner Pilgerschaft.

Immer wieder knüpft der Autor an seine früheren Werke „Das Evangelium nach Pilatus“ und „Nachtfeuer“ an, in denen er sich bereits mit biblischen und mystischen Themen auseinandersetzt. „Jerusalem“ kann in diesem Zusammenhang als konsequenter Entwicklungsschritt gelesen werden: An die Stelle des literarisch ausgeklügelten Spiels mit Perspektiven tritt eine klar strukturierte autobiografische Erzählweise. Und an die Stelle der unbestimmten mystischen Ahnung einer göttlichen Macht tritt das ausdrückliche Bekenntnis zum christlichen Glauben.

Schmitts Pilgerbericht verdient Beachtung – nicht zuletzt wegen seines existenziellen Ernstes. Umso bedauerlicher ist es, dass der deutsche Verlag den ursprünglichen französischen Titel „Le défi de Jérusalem“ gekürzt hat. Denn gerade dieser „défi“, diese Herausforderung, prägt das Buch: die Herausforderung, die Spannungen zwischen eigener Biografie und Anspruch des Evangeliums zu gestalten; die Herausforderung, eine zeitgemäße Sprache für den Glauben zu finden; die Herausforderung, anderen Religionen mit Achtung zu begegnen und zugleich das eigene Christentum überzeugend zu bekennen.

Stephan Lüttich

Riedesel Freifrau zu Eisenbach, Valerie: Der Flieger im Widerstand. Cäsar von Hofacker, das Stauffenberg-Attentat und der Umsturz in Paris.
München: Piper 2024, 320 S. Gb. 22,70.

Cäsar von Hofacker, geb. am 11.3.1896 in Ludwigsburg, Cousin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, wurde am 20.12.1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Im deutsch besetzten Paris nahm er beim Attentat auf Hitler am 20.7.1944 eine führende Rolle ein. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war er als Reserveoffizier zur Luftwaffe eingezogen und nach Abschluss des „Westfeldzuges“ dem Verwaltungsstab des Militärbefehlshabers in Paris zugewiesen worden, dem Zentrum des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Frankreich. Nach dem missglückten Attentat auf Hitler wurde Hofacker verhaftet und am 29.8.1944 dem Volkgerichtshof vorgeführt. Dem standhaften Auftreten („Sie schweigen jetzt, Herr Freisler! Denn heute geht es um meinen Kopf. In einem Jahr geht es um Ihren Kopf!“) folgten weitere grausame Verhöre unter Folterbedingungen. Sicher ist, dass er auch unter der Folter keine Namen aus dem Kreis der Pariser Mitverschwörer nannte. Seine Frau Ilse Lotte sowie seine fünf Kinder wurden in Sippenhaft genommen und nach fast einem Jahr Trennung am 28.7.1945 wieder zusammengeführt.

Zweierlei zeichnet die vorliegende Biografie aus: Zum einen zeichnet die Autorin eine „Umkehr“ (282) nach. Hofacker war 1914 ein begeisterter Kriegsteilnehmer gewesen. „Aus tiefster Überzeugung, dass Deutschland eine führende Position unter Großmächten gebühre und dies nur durch eine Politik der Stärke zu erreichen sei“ (84) kämpfte er in der 1920er-Jahren für die „Wehrhaftmachung der Nation“. Während des Jura-Studiums radikalisierte er sich im rechtskonservativen Hochschulring, sprach sich für eine Diktatur aus, war von Hitler begeistert und trat der NSDAP in der Hoffnung bei, mitgestalten zu können. Nach dem Tod der Mutter fand der Sohn Alfred Texte seines Vater mit antisemitischen, antidemokratischen und nationalistischen Zitaten des Vaters aus den 1920er- und 30er-Jahren, die das Bild vom Helden des Widerstandes erschütterten. Umso bemerkenswerter ist es daher, nach der Erschütterung nun den Weg der Umkehr verfolgen zu können (insbesondere Kapitel 14 und 15). In einem Brief (an seine Kinder, April 1944) kommt die Frucht des Umdenkens zum Ausdruck: „Wir Deutsche werden uns umso mehr Achtung der Völker erwerben, wenn das, was wir tun, nicht gegen diejenigen christlichen Gesetze verstößt, die auch sie hochhalten“ (247). Das ist nicht zuletzt eine Mahnung für heutige Leser. Die Autorin zitiert abschließend eine Studie aus dem Jahr 2023, nach der heute „mehr als sechs Prozent der befragten Deutschen eine rechtsgerichtete Diktatur mit einer einzigen Partei und einem starken Führer zum Wohle aller (befürworten). 23 Prozent stimmen dieser Staatsform in Teilen zu – Tendenz steigend“ (282).

Zum anderen ist die Autorin eine Enkelin von Hofacker. Das gibt dem Buch den Charakter eines persönlichen Ringens um besseres Verstehen der Abwege und Umwege, die „mein Großvater“ gegangen ist. Der persönliche Bezug bleibt durchgehend erkennbar, ohne der sachgemäßen Darstellung der Ereignisse zu schaden. Vielmehr ergänzt die Autorin das Bild Hofackers durch bisher unveröffentlichte Briefe und Aufzeichnungen. Gerade der Duktus des persönlichen Ringens scheint mir das Buch vorbildlich zu machen. Es weist damit über das Verhältnis von Enkelin und Großvater hinaus. Heldenverehrung führt genauso wenig zu tieferem Verstehen wie Verurteilung vom moralischen Podest aus. Die transgenerationale Verbindung zu den Männern und Frauen des Widerstandes gehört zur deutschen Geschichte dazu. Wer die Ambivalenzen ihrer Lebensgeschichten in Verbundenheit und zugleich mit klarem Verstand erwägt, kommt den eigenen Fallen zur Selbstgerechtigkeit auf die Spur, die auch heute wieder zu Selbstüberhöhungen und damit auf allerlei Irrwege führen.

Klaus Mertes SJ

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